Qualifikation: Polen - Deutschland

Dieses Thema im Forum "EM 2016" wurde erstellt von ChristianMoosbr, 12 Oktober 2014.

  1. ChristianMoosbr

    ChristianMoosbr 3. Liga

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    Man hat schon viel schlechtere Spiele der Nationalmannschaft gesehen, dennoch spricht das 2 - 0 der Polen in Warschau eine deutliche Sprache: massenweise eigene herausgespielte Chancen, denen es aber an Klarheit und Eindeutigkeit mangelte. Statt dessen suchten die eigenen Angreifer entweder übereilt den Abschluss oder zerfaserten sich heillos im dichten Riegel der polnischen Abwehr. Hoher Druck, aber geringe Kreativität. Deren Buden hingegen das Resultat hoher individuellen Vermögens bei sonst mehr als schlichter Spielanlage. Piszczek und Lewandowski genügte jeweils eine geniale Vorbereitung, um Milik und Mila absolut tödlich für unsere Abwehr in Szene zu setzen. Miliks präziser Kopfball ist dabei ebenso Klasse wie später das Hineinlaufen von Mila in den lässigen Kurzpass Lewandowskis, aber in beiden Fällen versagt die deutsche Abwehr zuvor auf ganzer Linie vorwiegend deshalb, weil sie völlig unkonzentriert und statisch im Modus "Dienst nach Vorschrift" verbleibt. Gemeinsam mit dem wilden und vergeblichen Angerenne gegen den Kasten der Polen ergibt sich das deutliche Bild, dass es hier in allen Mannschaftsteilen an der Ernsthaftigkeit gefehlt haben könnte.

    Ein Gegner, dem man den Triumpf sehr gönnt. Und vielleicht hat das vorübergehende Abrutschen aus dem Bereich der Gruppe, welcher die Qualifikation bedeutet, auch mal eine heilsame Schockwirkung. Wieviel sie jetzt nachlegen können am Dienstag, darauf wird es ankommen. In Gelsenkirchen sollte es schon fetzen gegen Irland, und unsere Truppe muss aufzeigen, dass dieser Abend in Warschau ein eindeutiger Ausrutscher gewesen ist. Und dass man sich auf den kürzlich in Brasilien erworbenen Verdiensten nicht weiterhin auszuruhen gedenkt.

    Probleme wurden in noch selten gehörter kritischer Klarheit ausgerechnet vom RTL-Experten Jens Lehmann direkt im Interview mit dem Bundestrainer benannt: die Aussen sind es, an denen es mangelt, ausserdem fehlt, wenn es darum geht, sozusagen "neue" Teilnehmer (Bellarabi, Durm Rüdiger) zu integrieren, eine Abstimmung der Laufwege, und die Situation mit dem sehr fluiden Positionswechsel im Sturm kann zu einer Verwirrung führen, welche für eigene Angreifer grösser ist als für gegnerische Verteidiger. Götze, Bellarabi oder Müller, die Polen nahmen es, wie es kam, und klärten die Situationen zumeist durch schlichtes Verharren um den eigenen Torwart herum. Ein mögliches Fazit geht wieder auf die Zentraler-Stürmer-Ja/Nein-Diskussion, und Lehmann liess durchblicken, dass es für ihne eine Option dahingehend wäre, dass die ganzen Laufwege einfacher nachzuvollziehen sind, wenn du vorne drin auch mal einen hast, der dort zuverlässig anzuspielen ist. Hier blieb Weltmeister Thomas Müller nicht von Kritik verschont, dem Lehmann ansagte, dass er das vielleicht noch mehr üben muss. Auch am Stellungsspiel von Manuel Neuer fand der Ex-Weltklasse-Torwart noch Verbesserungswürdiges.

    Sehr interessant der Vorhalt Lehmanns, an Löw gewandt, dass man genug Zeit gehabt habe, um sich hinsichtlich wünschenswerter Entwicklungen bei der Dauerbaustelle Aussenverteidiger etwas zu überlegen. Es klang an, dass der RTL-Experte die gefundene Lösung mit Rüdiger und Durm als einen nicht tragfähigen Kompromiss empfand, womit er sicherlich richtig liegt. Rüdiger ist mehr oder weniger überfordert damit, das schnelle Umschaltspiel über seine Seite nach vor zu bringen, Durm hingegen unterlaufen massive Patzer im direkten Spiel gegen seine Gegner, wenn die den Ball haben. Wie er sich vom Polen Lewandowski mit dem uralten Bauerntrick, den Arm etwas rauszustellen, abfertigen lässt, und beim zweiten Gegentor quasi auf dessen Rücken mitgeschleppt wird, ohne dabei irgend etwas verhindern zu können, das sah schon richtig schlecht aus.

    Vielleicht mal eine Idee, bei dem Überangebot von offensiv ausgelegten Mittelfeldspielern auf selbige zurückzugreifen, wenn es um die Besetzung der Aussenverteidigerpositionen geht. Dass auch schnelle Aussenstürmer ganz gut dafür umzufunktionieren sind, weiss man. Vielleicht wäre hier mehr Kreativität zu fordern, statt dass Löw nur moniert, dass die Sorte Spieler, die ihm da vorschwebt, derzeit in den Vereinen auf entsprechendem Niveau leider nicht spielt. Wo Lehmann definitiv recht hat: Durm und Rüdiger überzeugten zu null Prozent. Dafür Bellarabi mit einem Klasse Debüt als Angreifer. Wenn das schief ging: an ihm lag es nicht. Ich würde auch den Patzer von Neuer beim ersten Tor nicht überbewerten, er steht am Ende einer Fehlerkette, bei der er eigentlich nur noch schlecht aussehen kann. Aber beide Tore der Polen sowieso echte Klassebuden, worwiegend dank der herausragenden Vorbereiterqualitäten.

    Berichterstattung: man braucht eine Fernbedienung, liest entweder sein Buch oder schaltet um, während der alles begleitende Käse im Vorfeld und danach aufgewärmt wird. Albern das stilisierte "Duell" Lewandowski gegen Neuer, aber derartige Trash-TV-Elemente werden ja auch längst im Öffentlich-Rechtlichen hervorgebracht und von den Gebühren zahlenden Zuschauern klaglos hingenommen, vielleicht sogar heimlich gern gesehen. Jedenfalls täten sie es bei einem Privatsender nicht, wenn es nicht Zuschauer binden können würde. Die Kurzberichte waren auf in etwa dem Stand der Informationsdichte, die es sonst auch bei ARD und ZDF gegeben hat. Der Modus der Qualifikation ist an sich verwirrend und nach dem zweiundsiebzigsten Tor im sechzehnten Kurzbericht weiss kaum noch einer, was er gerade alles geguckt hat. Mehr als überflüssig aber, noch einleitende touristische Kurzimpressionen zu den Teilnehmerländern anzuflanschen.

    Ein absoluter Gewinner des Abends aber neben den Polen: Jens Lehmann. Reine Sachkompetenz, völlig unterkühlt und ohne jegliche aufgesetzte Scherzhaftigkeit. Grossartig, wie er mit erstarrter Mimik einfach neben dem unlockeren Florian König, der ja sonst wohl auch Kochshows moderiert, stand und auf keinen Anbiederungsversuch auch nur im geringsten einging. Keine einzige lustige Platitüden, keine schwerfälligen Rückverweise auf gute alte eigene Zeiten: Jens Lehmann sprach zum Thema, kurz und präzise, wusste immer was Interessantes, und hielt es so knapp wie nur irgendwie möglich. Sogar satirisch entlarvendes Potential hatte sein trockener Hinweis vor Spielbeginn, dass die beiden Moderatoren wegen der möglicherweise etwas spektakuläreren Bilder mitten in das Schussfeld hinter dem Netz beim Warmmachen platziert wurden. Cool wie Lehmann gar nicht erst versuchte, bei der gängigen Sonderangebotswitzigkeit solcher Anmoderationssituationen irgendwie mitzumachen. Statt dessen formulierte er griffig seine Spieleindrücke und die damit verbundenen weiterführenden Fragen, und liess es auch dabei. Wenn keine überstrapazierte Masche daraus wird, so wie seinerzeit leider bei Netzer geschehen, könnte Lehmann im frei empfangbaren Fernsehen sogar richtiger Kult werden, jedenfalls neue Massstäbe setzen.
     
  2. Sebastian

    Sebastian Regionalliga

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    Ich habe nur die zweite Hälfte gesehen, daher sind meine Aussagen nur beschränkt gültig.

    Dennoch war das Spiel für mich in Ordnung. Offensiv gut miteinander gespielt, klar geht das noch besser, jedoch war zum Beispiel Spritzigkeit vorhanden, etwas was ich vermisste, wenn Özil und der zuletzt recht langsame Klose auf dem Platz standen. Belarrabi mit guten Aktionen.

    Der Grund für die Niederlage waren zum Hauptteil kämpfende Polen, die nach dem Führungstreffer in alles reingegrätscht sind und dabei erstaunlich häufig (fast immer) fair den Ball eroberten.

    Klar, die beiden Tore waren zu einfach... aber für eine Umstellung auf den Außenverteidigerpositionen ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt. Daher kann ich Lehmanns Kritik mit den 8 Wochen WM-Zeit überhaupt nicht nachvollziehen. Zum Einen und das darf ich als Jemand sagen, der vor und während der WM viel zu Kritisieren hatte, ist Löw und die DFB-Mannschaft Weltmeister geworden. Mit Durm und einem gelernten, aber unerfahrenen Rechtsverteidiger wären wir es nicht geworden, behaupte ich einfach mal. Zum Anderen war zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht klar und auch nicht zu vermuten, dass Lahm aufhört. Zwar wurde Lahm häufig im defensiven Mittelfeld eingesetzt, aber das ist/war ein anderes Thema.

    Fazit: Ich finds gut, die Mannschaft musste sich zwangsläufig umstellen, neue Aussenverteidiger, ein neuer Mittelstürmer, genau dafür haben wir jetzt Zeit. Und mal ehrlich, wir werden in dieser Qualifikationsgruppe unter die ersten Zwei kommen. Da tut diese Niederlage gar nicht so weh. Die Polen sahen in den letzten Spielen (z. B. WM 2006) immer gut gegen und aus, jetzt haben sie es geschafft. Kein Beinbruch!
     
  3. Easy_R

    Easy_R Landesliga

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    Das Problem in der Offensive war überraschenderweise Schürrle - da ging fast nichts. Bellarabi mit einem guten Debüt, Müller diesmal ohne Fortune; Götze hätte ich mir auch stärker vorstellen können. Im Mittelfeld fehlte das Überraschungsmoment, Kroos etwas behäbig, kein guter Abschluss.
    So ungern es mancher hören mag: hier hätte ein gesunder Mesut Özil mit seinen mitunter genialen Einfällen uns gut getan. Über die Ausfälle unserer 6er, vor allem von Khedira (bei Schweinsteiger bin ich skeptisch, was seine Rückkehr anbelangt) brauchen wir hier nicht viele Worte zu verlieren - der Maschinenraum ist unterbesetzt, trotz Kramers guter Ansätze.
    Die Abwehr hat größtenteils funktioniert, aber beim 0:1 hat mich Neuers falsches Timing überrascht - das passiert ihm selten. Beim 0:2 hatte Durm auch mit Lewandowskis Arm zu kämpfen - aber was soll's.
    Fazit für's Phrasenschwein: wer die Tore macht, gewinnt.
     
  4. ChristianMoosbr

    ChristianMoosbr 3. Liga

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    Bezüglich der Kritik Lehmanns wegen der Aussenverteidiger würde ich es so interpretieren, dass er sich keinesfalls vorstellt, dass dort jetzt fix und fertig die neuen Leute spielen und etwa einen Phillip Lahm zu hundert Prozent ersetzen. Aber Durm, zum Beispiel ist es ja in Dortmund auch nicht gelungen, völlig zu überzeugen, seine Mängel in der Defensive auf dem Niveau sind damit offenkundig. Und Rüdiger ist eigentlich gar kein Aussenverteidiger, zudem zu unerfahren, um solch einem breites Spektrum von Aufgaben unter diesem Druck gerecht werden zu können.

    Das Argument, dass Löw ja Weltmeister geworden ist, kann man zwar nicht umgehen, aber es ist dennoch ein Totschlagargument. Ich finde es nicht nur ansprechend, sondern sehr notwendig, dass ein Jens Lehmann mal wieder versuchte, aus der Ecke rauszukommen, wo die Keule "aber die sind ja Weltmeister geworden" nicht automatisch den Knockout bedeutet. Zudem, dass kann man glaube ich auch noch mal in Betracht ziehen, ohne sich gleich in Verdacht zu bringen, dass man ein fieser Denkmalschänder ist, die Aussenverteidiger schon ein Thema vor der WM waren, und es letztendlich dort auch Spiele gegeben hat, bei welchen die Kompromisse, welche Löw aufsuchte, überhaupt nicht überzeugten. Die Weltmeisterschaft wurde auch aufgrund diverser Korrekturen im Turnierverlauf dann möglich, man wird sich erinnern.

    Was Khedira angeht, so würde ich zunächst mal nicht mehr mit dem rechnen, und ein dickes Fragezeichen steht auch hinter Schweinsteiger. Für mich ist hier ohne Frage die Zeit gekommen, wo neue Leute ins Team integriert werden müssen, sowohl im Bereich der Aussen, als auch zentral. Bei Kramer gelingt dies, bei Bellarabi mutmasslich auch, wenn er das Einstiegsniveau bestätigt. Aber es bleibt für mich bei dem, was auch Kahn schon sagte, wenn auch so übervorsichtig, dass darüber gar keine Irritationen aufkamen: je eher man drauf verzichtet, jetzt alles und jedes unter dem Aspekt der gewonnenen Weltmeisterschaft zu sehen, umso besser.

    Vor allem sollte man in neuen Akteuren gar nicht mehr den Vergleich mit denen suchen, deren Statthalter sie vorgeblich nur sind: Kramer z.B. macht gute Spiele, da hat das Trainerteam einen interessanten Mann gescoutet. Ihn immer an Schweinsteiger und Khedira zu messen, ist sinnlos. Im Optimalfall wird er sein eigenständiges Profil in der Mannschaft zur Geltung bringen. Je weniger er dabei "Vorgänger" auf dem Rücken mitschleppt, umso besser.
     
  5. Zebra

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    Habe bei Facebook ein Interview eines polnischen Senders mit Mario Götze gesehen. Götze tritt vor die Kamera, der Reporter stellt auf Deutsch mit polnischem Akzent die Frage "Könnte man sagen, dass der Weltmeister ist einer kleinen Krise ist?", Götze fährt sich durch die Haare, lacht, und geht einfach wieder. Großartig :D

    Wieviel hat eigentlich die Entwicklung der Technik, mit Hilfe derer König und Lehmann vor dem Spiel virtuell durch einige Spielszenen auf dem Rasen gegangen sind, gekostet? Unnötiger Schnickschnack, der nicht halb so echt wirkte, wie er es wohl hätte tun sollen.
     
  6. xantener

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    Seit dem auch noch der drölfte der Quali durch die Aufstockung zur EM kommt, hat die Quali doch total an Reiz verloren. Theoretisch kannste drei bis vier Spiele verlieren und immer noch zur EM fahren :gaehn:
     
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  7. Sebastian

    Sebastian Regionalliga

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    Das denkt Hans Sarpei zu Lehmanns Kritik:
    http://yhoo.it/1w2Q9d3

    Natürlich soll das Weltmeister-Argument kein Totschlag-Argument sein und auch weiterhin soll Kritik erlaubt sein (kritischer Austausch dient auch der Leistungsförderung), dennoch bin ich weiterhin der Meinung, dass die Aussage von Lehmann Quatsch ist.
    "Ihr hattet während der Weltmeisterschaft acht Wochen Zeit, um auf den Außenverteidiger-Positionen etwas zu entwickeln. Das ist euch nicht gelungen!"
    Jetzt wird Löw vorgeworfen, während der wichtigsten Wettkampfphase nichts ausprobiert zu haben? Bzw. keine Lösung für die Zukunft gefunden zu haben? Im Endeffekt hat er ja mit Mustafi etwas ausprobiert und zum Glück (zu Mustafis Pech) musste er doch noch Lahm auf rechts hinten stellen. Dieses Argument Lehmanns führt ins Leere.

    Ob jetzt unbedingt Durm und Rüdiger die besten Kandidaten für diese Positionen sind, darüber lässt sich ausführlich diskutieren.
     
    Zuletzt bearbeitet: 13 Oktober 2014
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