Ähmm...
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Gemüter kochen über, sind enttäuscht, frustriert, am Ende. Klar, wäre auch schlimm, wenn nicht. Alles Fans, die wieder einmal diese Arena verlassen, ohne Punkte, ohne Hoffnung, und vor allem: Ohne Willen. Ich kann euch jetzt schon sagen, daß eine Nacht Schlaf ausreichen wird, um dieses Spiel objektiv bewerten zu können. Ich versuch das immer sehr schnell, weil ich mittlerweile gemerkt habe, dass kurzfristiges Herumposaune nichts bringt. Seid alle versichert, daß mir das Gegentor mehr oder minder das Herz zerrissen hat. Aber weder kam ich in die Bredouille Hellmich-Raus, Bommer-Raus, oder Schmeißt-sie-gleich-doch-alle-raus schreien zu wollen. Denn an denen lag es heute, wohlgemerkt nicht.
Dieses Spiel war sehr komisch. Trotz weniger, bis gar keiner 100-prozentiger Torchancen habe ich 80 Minuten geglaubt ein gutes Spiel meiner Mannschaft zu sehen. Woran lag das eigentlich? Warum konnte ich mir eklatante Betrachtungsfehler erlauben? Und warum hätte ich bei einem 0:0 klatschend in der Kurve gestanden, und dieser Mannschaft aus voller Überzeugung applaudiert? Rollen wir das Feld einmal von hinten auf:
Tom Starke: Auch wenn einige Blitzbirnen hier anderer Meinung sind: Das war eine exzellente Torhüterleistung. Der Mann hat mit seinen Vorderleuten geredet, die wenigen Großchancen vereitelt, und wirkte in sich souverän. Keine Sorge, ich weiß was Tom Starke sonst an Leistungen abgeliefert hat. Aber allen, die auch heute wieder einen Sündenbock ausmachen wollen, sei gesagt, daß es an dem Kerl mal so gar nicht lag.
Tobias Willi: Fantastischer kämpferischer Einsatz, der leider auf Kosten des Spielsystems geht. Tobias Willi zwingt seine Mitspieler auf ihn aufpassen zu müssen. Das ist ok, wenn er nach vorne so gefährlich wäre, daß man das in Kauf nehmen könnte. Kann man aber nicht, da Tobias Willi über das spielerische Niveau eines Zweitliga-Spielers nie hinauskommen wird. Will man einen Gegner einschnüren, an die Wand spielen, dominieren, und das konstruktiv, so ist Tobias Willi fehl am Platz. Als Zerstörer, Ackerer und Vorreiter in Sachen Einstellung gilt es den Typen in Partien ins Feld zu werfen, wo der MSV sich auf das beschränken muss, was er kann. Also: Kämpferisch top, spielerisch leider eine mittelprächtige Katastrophe. Mittlerweile ist seine Fehlerquote aber viel geringer geworden.
Michael Lamey: Sie lassen ihn auf der Seite alleine, was leider dazu führt, dass er dauerhaft in der Kritik steht. Nicht, daß er heute ein gutes Spiel abgeliefert hätte, ich kann aber leider nicht bei einem 5-er Mittelfeld verlangen, daß mein rechter Außenverteidiger das Spiel ankurbelt, um dann sauer zu sein, wenn es ihm nicht gelingt. Letzten Endes hat er das 0:1 entscheidend mitfabriziert, und dementsprechend eine schlechte Leistung abgeliefert.
Björn Schlicke: War komischerweise der schlechtere der zwei Innenverteidiger. Meistens gut geholzt, im Spielaufbau wie immer mittelprächtig bis nicht vorhanden.
Avalos: Iulian Filipescu die Zweite. Er traut sich mittlerweile mehr, hat sich die Sicherheit geholt, um auch nach vorne mitarbeiten zu können. Er läuft Bälle ab, er spielt mit. Es war absolut in Ordnung.
Adam Bodzek: Befindet sich sicherlich in einem Hoch. Schönes Spielverständnis, absolut willens, Arbeiter par excellence. Unbedingt halten, wir bräuchten mal langsam wieder einen zweiten Andreas Voss, und vor allem eine legitime Nachfolge Mihai Tararaches.
Ivica Grlic: Glücklos, mit vielen, fehlerhaften Versuchen nach vorne, aber immer gewillt, das Ruder an sich zu reissen. Kämpferisch, wie mittlerweile immer, ein absolutes Vorbild. Schade, daß es ihm heute nicht vergönnt war, ein weiteres Tor seinem Konto gutschreiben zu können. Wäre dieser Drecksfreistoß doch irgendwie reingegangen...
Christian Tiffert: Nicht vorhanden. Schade, aber anscheinend mehr eine Frage des Charakters als der spielerischen Fähigkeiten. Seine Körpersprache war schonmal eine andere, ich kann mich an Spiele erinnern, wo er vorneweg marschiert ist. Wenn er die Saison abschenken will, soll er das tun, und das Spielfeld verlassen.
Blagoy Georgiev: Wir befinden uns in der Endphase der Saison und müssen konstatieren, daß er sein persönliches Ziel wohl verfehlt hat. Trotz großartiger Einstellung heute, scheint er nicht bereit zu sein Verantwortung auf seine Schultern zu laden. Das sieht alles sehr gefällig aus, führt aber zu nichts.
Maicon: So gut, wie er am Ball ist, so schlecht ist er in seiner Vorwärtsbewegung. Es macht Spaß ihm zuzusehen, wie er mit dem Spielgerät umgeht. Ich habe aber auch schon in Paris ein paar Ballartisten für Geld auf der Straße herumturnen sehen, und keinen hätte ich in meiner Mannschaft gewollt. Dieses Spiel hat was mit Effektivität zu tun.
Claudiu Niculescu: Nicht vorhanden.
Klemen Lavric: Nun ja, er hat geackert, er ist mehr gelaufen als sonst, aber immer noch zu wenig, um einem Bundesliga-Team weiterhelfen zu können. Da ich die ganze Geschichte eh für zweischneidig halte, entscheide ich mich mal fürs Schweigen.
Taktik: Man mag darüber streiten, ob ein 4-5-1 die richtige Wahl war, Fakt ist, daß Rudi Bommer für seine Verhältnisse relativ früh erkannt hat, daß es so nicht funktioniert. Folgerichtig nahm er Tiffert vom Platz, brachte Lavric und setzte in der Endphase alles auf eine Karte. Nun ja, genutzt hat es nichts, hätten sie die Hütte gemacht, wäre hier Friede-Freude-Eierkuchen und Rudi Bommer ole.
Ich könnte jetzt kurz erzählen, warum ich glaube, daß diese Mannschaft spielerisch einen Schritt nach vorne gemacht hat. Tue ich aber nicht, weil das alles seit geraumer Zeit eh für den Arsch ist. Wir befinden uns nicht mehr in der Mitte der Saison, wo man noch schön hin und her diskutieren kann. Dieser Sport reduziert sich auf sein Ergebnis. Dementsprechend hat der MSV heute ein weiteres Mal bewiesen, was er nicht kann: Agieren. Sie haben ein richtiges Problem, wenn es darum geht, einen Gegner zu knacken, ihn so unter Druck zu setzen, daß ein Tor fast zwangsläufig ist. Dafür, daß muss man festhalten, haben sie viel zu wenig Freistöße gezogen und sich zu sehr auf ihre spielerischen Fähigkeiten verlassen. Ich fand es richtig das Kurzpassspiel durch die Reihen zu ziehen, und ich fand es gut, daß sie für ihre Verhältnisse relativ häufig den Abschluß aus der zweiten Reihe gesucht haben. Gleichzeitig spricht dies aber auch für ein hohes Maß an Einfallslosigkeit, wenn es darum geht den finalen Pass in die Spitze zu spielen, und es spricht dafür, daß sich diese Mannschaft zu wenig bewegt. Sie war nicht abgewichst genug, um Dinge zu provozieren, die unter Umständen zum Erfolg geführt hätten, auch wenn der Wille durchgehend vorhanden war. Schade, ich hatte mit einer anderen, offeneren Karlsruhe-Mannschaft gerechnet, mit einer, die sich auf einen Schlagabtausch eingelassen hätte. Stattdessen haben sie Cottbus gespielt, dabei zwischendurch ihre spielerischen Fähigkeiten aufblitzen lassen und wenigstens einmal eine ihrer zahlreichen Kontermöglichkeiten sauber gespielt. Das, und das ist bitter, hat heute gereicht.
Als Fan stellt sich für mich die Frage, wie es jetzt weitergeht? Ist Bochum clever, dann warten sie in ihrem eigenen Stadion auf Konter. Wollen sie ihren Zuschauern etwas bieten, so hat der MSV berechtigte Hoffnungen auch dort etwas zu holen.
Ich breche Fußball, so wurde es mir beigebracht, immer auf eine einfache Formel herunter: Ist die Mannschaft gewillt, bin ich es auch. Sie hat mir, bei aller spielerischen Einfallslosigkeit und bei aller fehlenden Durchschlagskraft gezeigt, daß sie den Kampf weiter mitmachen will. Also werde ich nach Bochum fahren, mir die Seele aus dem Leib schreien und auf irgendetwas hoffen. Auf was, das kann ich mir ja jetzt 10 Tage lang überlegen.
Gruß aus Essen
Micha