10 Jahre Kollektiver Wahnsinn - Ein Nachruf

Boris

Soziale Unruhe
"Ein Traum ist unerläßlich, wenn man die Zukunft gestalten will." Victor Hugo, 1802 - 1885

Wie die Zeit rennt!

10 Jahre ist die Saison nun also her, 2004/2005, in der wir nach ganzen 5 Jahren Oberhaus-Abstinenz unsere große Abschiedstournee aus Liga Zwei offiziell für eröffnet erklärt haben. Nach ganzen 17 sehenswerten lokalen Auftritten und noch mal 17 weiteren Zusatzterminen für unsere ferneren Fans aus der Republik, feierte man also das ein Jahr haltende Comeback in der Königsklasse der nationalen Sportveranstaltungen. Was für eine turbulente Zeit beim MSV. Noch nie hat es einen so großen Umbruch in nur so kurzer Zeit gegeben. Der Verein wurde komplett umgekrempelt, unser Wedaustadion umgebaut und die Ultraszene neu (re)formiert. Der Meidericher Spielverein war plötzlich modern. Angekommen im 21. Jahrhundert. Zurückblickend ein absolut spannendes Jahrzehnt für das persönliche MSV-Fandasein. Den Abschluss der Saison 2004/05 bildete eine noch nicht dagewesene Bootsfahrt nach Köln, die in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Nachdem man bereits am 32. Spieltag in Frankfurt aufgestiegen war, interessierten die nachfolgenden Ergebnisse gegen Karlsruhe und Köln kaum noch. Der Aufstieg war ohnehin in trockenen Tüchern, die Konzentration sowieso verflogen, die Frisuren gefärbt, die Gedanken schon in Liga Eins.

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Letzte Auswärtstour nach Köln

Mit dem Aufstieg 2005 gipfelte schließlich alles in einer Aktion, die in Deutschland meines Wissens nach vorher nur ein anderer Club auf die Beine gestellt hat. Bei einer Choreographie zum Heimspielauftakt gegen Stuttgart sollte es letztendlich nicht bleiben. Schnell fasste man den Entschluss, dass der Spielverein zu jedem Heimspiel etwas besonderes verdient hat. Was zwischenzeitlich allerdings auch mal wieder zu Disputen und Abspaltungen innerhalb der Gruppe führen sollte. Aber auch wenn es an den Kräften und vor allem an den Nerven gezerrt hat, waren Ultras Duisburg nach außen hin wieder in aller Munde. Denn fast schon erwartungsgemäß avancierte die Kurve von Spiel zu Spiel zum Marktplatz der Sensationen, was vom Publikum mit mehr und mehr Anerkennung für unsere Aktionen gewürdigt wurde. Mit Disziplin und Geduld war es nur eine Frage der Zeit, bis auch das letzte Zebra verstanden hat, dass die Pappe zum Einlaufen hochgehalten und nicht vorher zerknüllt wird. Aber auch der Verein zeigte sich kooperativ, kam uns in vielen Fragen entgegen und eröffnete uns Möglichkeiten, die sicherlich einigen Ultragruppierungen der Bundesliga nicht mal im Traum eingefallen wären. Nicht zuletzt auch aufgrund der Zusammenarbeit mit einem loyalen Fanbeauftragten, den es in dieser Form zuvor für Duisburg noch nicht gegeben hat. Dabei standen Spaß an der Sache und die Euphorie immer an vorderster Stelle.

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Flyer zum dritten Heimspiel 2005/06

Euphorie – Ein Begriff der zwei, drei Jahre zuvor in Duisburg nur im Fremdwörterbuch zu finden war. Von Politik die nach Außen getragen wurde, zu damaligen Zeiten? Keine Spur! Natürlich gab es in der Gruppe Mitglieder die ihre verschiedensten politischen Standpunkte vertreten haben. Dennoch zog man für Duisburg an einem Strang. Und klar hatte man große Fresse im eigenen Block wenn es gegen Gruppierungen und Einzelne ging, die unseren Auftritten keinen Respekt zollten. Zusätzlich bestärkt in unserem Elitarismus – nicht zuletzt weil man als 50 Mann und Frau starke Gruppe sprichwörtlich den Ton in der Kurve angab, unterstützt von einem großartigen Capo-Triumvirat um Pyro, Bibo und später auch Maddin – legte man sich mit allen an, denen man nicht passte. Aber anstatt politische Ohrfeigen am Container, gaben sich die innovativen Köpfe von UD lieber Bleistift und Entwürfe in die Hand, um Woche für Woche mit neuen Ideen die nächsten Choreoarbeiten nach vorne zu peitschen. Klassische Support-Ansichten kamen dabei auf Band und Fahne zu Wort und Bild, auch Hommagen an Spieler, allerdings oft auch kritische Themen gegen DFB, Presse und auch mal gegen die Vereinspolitik.

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Poster zur Rückrunde 2005/06

Die Vorbereitungen für eine Choreo waren nicht selten wie der Tanz auf dem Drahtseil. Tage- und nächtelang wurde gemalt, geklebt, geschnitten, gesprüht und gegrillt. Manchmal wurde sogar noch bis morgens in den Spieltag gewerkelt. Und nicht nur einmal zahlte man Lehrgeld, wenn der Ablauf technisch nicht wie gewollt über die Bühne ging. Dass Farbe und Folie nicht allein nur aus Mitgliedsbeiträgen, Buseinahmen und der Choreokasse finanziert werden konnten, wurde schnell klar. Mit Spendenaktionen und dem Verkauf von Kollektiver Wahnsinn-Postern, Buttons, Shirts und Hoodies konnte zumindest ein Großteil der Materialkosten gedeckt werden. Unbezahlbar dagegen war der Preis den die Mitglieder von Ultras Duisburg und Freunde damals in Arbeit, Stress und Rumfahrerei investiert haben. Letztenendes dann doch honoriert, durch diese kurzlebigen Momente, wenn sich zum Einlaufen die Renegades auf dem Zaun in trauter Eintracht mit ihren Werken wogen.

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Choreo Hamburger SV

Zwar war nach nur einem Jahr Erstligazugehörigkeit der Spuk wieder vorbei. Dennoch war diese prägende und lehrreiche Saison ein Meilenstein für die Ultraszene in dieser Stadt. Was insbesondere auch der mehr als ausufernden Absch(l)ussveranstaltung am Halterner Silbersee mit einem preisgekrönten Markus Kurth geschuldet war. Nachträglich gab der sportliche Abstieg am Ende der Gruppe die Möglichkeit, sich wieder auf das Wesentliche zu besinnen um im letzten Jahr des Bestehens von Ultras Duisburg 1998 für neue Schandtaten zu sorgen. Ich erinnere mich gerne an diese Spaßfabrik zurück, wo nichts kompliziert und vieles möglich war. Ein Zustand von dem Duisburg heute weit entfernt ist.

 
Das Poster habe ich damals im Stadion beim Chris, nach einem kleinen spontanen Interview/Quiz in der Kurve, gewonnen. Ich wusste nichts, da erste Saison, aber ich habs noch!
 
... eine Zeit, in der alle nur den MSV im Kopf hatten!
Wer hat das denn heute nicht?
Danke, sehr ergreifender Bericht. Mein KW-Shirt liegt noch im Schrank. Für mich, und viele andere auch, vermutlich mit 98 die beste MSV-Saison der Neuzeit, was sicher auch Verdienst der UD98 war. Ich hab den Eindruch, damals war die Ultraszene irgendwie transparenter. Gerade, was ihre Hauptintension anging. Heute bin ich mir da oft nicht mehr so sicher.
Ich denke gerne an die geilen Choreos, großartige Spiele und Spieler zurück, aber auch, wie wir uns alle haben nach Strich und Faden verar.schen lassen. Was früher Euphorie war, ist einer Katerstimmung gewichen.
Rückblickend habe ich den Eindruck, wir durften kurz am Himmel schnuppern bevor wir an die Hölle verkauft wurden.
 
'Waren Ultras Duisburg wieder in aller Munde'..frei zitiert 'Wir Ultras' etc.
Mag Penny pinching sein, und ich habe grossen Respekt vor dem was ihr da geleistet habt, aber warum immer dieses Bestehen auf 'Ultras' und 'Ihr' ?
Kann aber auch geloescht werden..vielleicht geht es tatsaechlich einfach mal nur um das was ihr, und das meine ich ernst, bewundernswert geleistet habt.
Wie gesagt..'Ihr'....
 
... unterstützt von einem großartigen Capo-Triumvirat um Pyro, Bibo und später auch Maddin – legte man sich mit allen an, denen man nicht passte.

Du vergisst aber die unermütlichen "Kämpfer" und Gründungsmitglieder um 97, 98, die schon 8,9, 10 Jahre zuvor, wie sagt man so schön heute, "in der Szene" Erfahrung gesammelt haben und da mit dem MSV unterwgs waren. Erst durch sie wurde dieses Ganze mit ihrer Hingabe und mit ihrem Handeln möglich gemacht ...
 
Ich weiß noch, wie mein "alter" Papa auf einmal mit diesem Kollektiven Wahnsinn Hoodie auftauchte. Bis dahin hatte er immer nur Hemden oder Pullover an. Einen Moment, den ich nie vergessen werde! Er hat dieses Sweatshirt so geliebt, dass wir es ihm auf seine allerletzte Reise mitgegeben haben.
 
Schade dazu das Interview mit der Kohorte im Blickfang Ultra 25.....

Naja sei es drum, der Pullover passt zum Glück auch heute noch!
 
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