Yike
verstorben
Tücken einer großen Rast
Was Fußballfans beachten sollten, damit sie bis Freitag nicht aus dem Tritt kommen
von Holger Kreitling
Früher begann der Tag mit einer Schußwunde - so heißt es in einem Gedicht von Wolf Wondratschek. Aber was seit fast drei Wochen geschieht, ist auch nicht schlecht. Da beginnt der Tag um 15 Uhr mit einem Pfiff. Manchmal sogar erst um 16 oder 17 Uhr, kurz vor der blauen Stunde. Die Schule ist längst aus, manches Betriebstor steht offen, Angestellte rücken die Bildschirme zurecht. In den Biergärten im Süden sitzen die Männer selig vor dem zweiten Weißbier, und vor dem Fernseher wird es gemütlich. WM-Anpfiff!
Man muß jetzt nur einmal daran denken, was die deutsche Mannschaft in vier oder zwölf Minuten alles zustande bringt, sapperlot. Irgendwie waren ja alle Stunden vorher nur Vorbereitung und schnöder Alltag, aufstehen, frühstücken, arbeiten, Kinder versorgen, was immer, um 15 Uhr ging es erst los, es wurde Frühspiel, es wurde Mittelspiel, es wurde Spätspiel. Und dazwischen Zwischenspiel, die Experten im Fernsehen überbrückten die nutzlose Zeit, bis zu den weiteren Ereignissen.
Spät abends dann Ausklang und letzte Erhebungen vor dem Kühlschrank, der WM-Tag ist aus, aus, aus, es war wieder ein schönes Stück Arbeit. Das könnte jetzt munter so weitergehen, aber halt, heute ist der erste Tag der WM ohne ein Fußballspiel, nicht mal ein klitzekleines Spielchen, eine Auszeit aus Organisationsgnaden, und da wollen wir den Tag einmal anders beginnen. Was also tun mit der vielen fußballfreien Zeit?
Von Arztbesuchen ist abzuraten, da wird womöglich gestreikt. Sich den politischen Nachrichten zu widmen, kann einen gefährlich aus dem optimistischen Strom herausreißen, auf dem wir doch nach Berlin schwimmen wollen. Am besten spielt man selber ein bißchen Fußball. So wie Kinder im Folgerausch der deutschen Spiele sofort auf die Bolzplätze drängen, lohnt sich der kurze Mittwochs-Kick. Bahn frei der Phantasie: Wär' doch gelacht, wenn man diese fabelhaften Podolski-Klose-Spielzüge nicht mal hinbekäme, draußen im Garten, mit Heinz und Rüdiger von nebenan. Oder ein kleines Lahm-Dribbling. Zum Patriotismus gehört Identifikation und Engagement, in diesen zwei spielfreien Tagen kann ein jeder Größe zeigen. Psst, wir Journalisten tun das auch, die Nationalmannschafts-Beobachter spielen, bis sie wie David Beckham aussehen, allerdings nicht wie beim Freistoß gegen Ecuador, sondern mehr wie danach, als der Kapitän vor Erschöpfung spie.
Ansonsten dienen Mittwoch und Donnerstag der schmerzfreien Alltagsbewältigung. Es ist doch viel liegengeblieben, auch im Haushalt, die Flaschen müssen zurückgebracht werden, was soll der steife Nachbar denken? Praktischerweise lassen sich heute und morgen flugs die Vorräte auffüllen, wenn Jürgen Klinsmann seinen Recken frei gibt, können wir das auch. Gottlob ist es so heiß, daß die Wäsche schnell trocknet, nicht auszudenken, man müßte sich mehr darum kümmern, nun, wo doch alle Frauen auch rasant bei der Fußball-Sache dabei sind. Bügeln bitte erst nach dem Endspiel.
Im Übrigen soll man die langsam vertröpfelnde Zeit genießen, die wachsende Unruhe bemerken, das träge Zusteuern auf ein nicht allzu fernes Ereignis. Etwas fehlt. Schönes Gefühl. Bald vorbei. Denn natürlich sind die nächsten zwei Tage nur ein kurzer Stopp in diesem herrlichen WM-Sommer, ein Stillstand wie bei Zügen, die kurz mitten im Grünen halten und nach einer Weile wieder an Fahrt aufnehmen. Es darf jetzt kein Trott entstehen. Ihr Zuschauer, vergeßt die gute, große Sache nicht. Übermorgen, 17 Uhr, sind wieder Fußball-Stunden. Keine Ausrede, kein Verzagen. Nervosität gilt ebenso wenig wie Bangemachen. Das wird ein guter Tag.
Artikel erschienen am Mi, 28. Juni 2006
http://www.welt.de/data/2006/06/28/935211.html
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Wie werdet ihr die fussballfreie Zeit überbrücken?
Was Fußballfans beachten sollten, damit sie bis Freitag nicht aus dem Tritt kommen
von Holger Kreitling
Früher begann der Tag mit einer Schußwunde - so heißt es in einem Gedicht von Wolf Wondratschek. Aber was seit fast drei Wochen geschieht, ist auch nicht schlecht. Da beginnt der Tag um 15 Uhr mit einem Pfiff. Manchmal sogar erst um 16 oder 17 Uhr, kurz vor der blauen Stunde. Die Schule ist längst aus, manches Betriebstor steht offen, Angestellte rücken die Bildschirme zurecht. In den Biergärten im Süden sitzen die Männer selig vor dem zweiten Weißbier, und vor dem Fernseher wird es gemütlich. WM-Anpfiff!
Man muß jetzt nur einmal daran denken, was die deutsche Mannschaft in vier oder zwölf Minuten alles zustande bringt, sapperlot. Irgendwie waren ja alle Stunden vorher nur Vorbereitung und schnöder Alltag, aufstehen, frühstücken, arbeiten, Kinder versorgen, was immer, um 15 Uhr ging es erst los, es wurde Frühspiel, es wurde Mittelspiel, es wurde Spätspiel. Und dazwischen Zwischenspiel, die Experten im Fernsehen überbrückten die nutzlose Zeit, bis zu den weiteren Ereignissen.
Spät abends dann Ausklang und letzte Erhebungen vor dem Kühlschrank, der WM-Tag ist aus, aus, aus, es war wieder ein schönes Stück Arbeit. Das könnte jetzt munter so weitergehen, aber halt, heute ist der erste Tag der WM ohne ein Fußballspiel, nicht mal ein klitzekleines Spielchen, eine Auszeit aus Organisationsgnaden, und da wollen wir den Tag einmal anders beginnen. Was also tun mit der vielen fußballfreien Zeit?
Von Arztbesuchen ist abzuraten, da wird womöglich gestreikt. Sich den politischen Nachrichten zu widmen, kann einen gefährlich aus dem optimistischen Strom herausreißen, auf dem wir doch nach Berlin schwimmen wollen. Am besten spielt man selber ein bißchen Fußball. So wie Kinder im Folgerausch der deutschen Spiele sofort auf die Bolzplätze drängen, lohnt sich der kurze Mittwochs-Kick. Bahn frei der Phantasie: Wär' doch gelacht, wenn man diese fabelhaften Podolski-Klose-Spielzüge nicht mal hinbekäme, draußen im Garten, mit Heinz und Rüdiger von nebenan. Oder ein kleines Lahm-Dribbling. Zum Patriotismus gehört Identifikation und Engagement, in diesen zwei spielfreien Tagen kann ein jeder Größe zeigen. Psst, wir Journalisten tun das auch, die Nationalmannschafts-Beobachter spielen, bis sie wie David Beckham aussehen, allerdings nicht wie beim Freistoß gegen Ecuador, sondern mehr wie danach, als der Kapitän vor Erschöpfung spie.
Ansonsten dienen Mittwoch und Donnerstag der schmerzfreien Alltagsbewältigung. Es ist doch viel liegengeblieben, auch im Haushalt, die Flaschen müssen zurückgebracht werden, was soll der steife Nachbar denken? Praktischerweise lassen sich heute und morgen flugs die Vorräte auffüllen, wenn Jürgen Klinsmann seinen Recken frei gibt, können wir das auch. Gottlob ist es so heiß, daß die Wäsche schnell trocknet, nicht auszudenken, man müßte sich mehr darum kümmern, nun, wo doch alle Frauen auch rasant bei der Fußball-Sache dabei sind. Bügeln bitte erst nach dem Endspiel.
Im Übrigen soll man die langsam vertröpfelnde Zeit genießen, die wachsende Unruhe bemerken, das träge Zusteuern auf ein nicht allzu fernes Ereignis. Etwas fehlt. Schönes Gefühl. Bald vorbei. Denn natürlich sind die nächsten zwei Tage nur ein kurzer Stopp in diesem herrlichen WM-Sommer, ein Stillstand wie bei Zügen, die kurz mitten im Grünen halten und nach einer Weile wieder an Fahrt aufnehmen. Es darf jetzt kein Trott entstehen. Ihr Zuschauer, vergeßt die gute, große Sache nicht. Übermorgen, 17 Uhr, sind wieder Fußball-Stunden. Keine Ausrede, kein Verzagen. Nervosität gilt ebenso wenig wie Bangemachen. Das wird ein guter Tag.
Artikel erschienen am Mi, 28. Juni 2006
http://www.welt.de/data/2006/06/28/935211.html
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Wie werdet ihr die fussballfreie Zeit überbrücken?