shanghai
3. Liga
Vorbei, bald zumindest - 2024 neigt sich dem Ende.
Endlich?
Kann man nicht so einfach sagen:
Als MSV Fan wird man diesem Jahr, denke ich, in zwei Formen begegnen: Der ersten Jahreshälfte mit einem kurzen trockenen Schlag mitten auf die Zwölf, garniert mit einem herzlichen: „Du A….loch!“, der zweiten einem herzlichen: „Wow, das war ja wohl der Hammer!"
Was ein Jahr.
Dem tiefsten Absturz in der Vereinsgeschichte folgt eine souveräne Tabellenführung mit über den Saisonverlauf wechselnden Bestwerten.
Dem Crash im Sommer - den ich hier nicht mehr tiefer besprechen werde, denn bei Sch… reicht es, wenn man sie erkennt, man muss sie nicht noch an die Wand hängen – dem Crash folgte ein tiefer Einschnitt.
Mit Ingo Wald ging die prägende Figur des vergangenen Jahrzehnts von Bord, was mich schon sehr bewegte. Mit ihm ging eine Führungsfigur, die sich Zeit für ausführliche Gespräche nahm, dabei stets offen wirkte, immer am denken und machen. Aber auch ein Mann, der hinter der kleinen Statur Unmengen Energie und einen extremen Willen verbarg und auf dieser Basis durchaus sehr dominant werden konnte. Gerade letztere Eigenschaft mag zuweilen nicht immer nur produktiv gewirkt haben. Insbesondere ging mit Ingo Wald aber ein sehr, sehr präzise denkender Manager, dem der MSV durch diese Präzision schlicht sein Überleben verdankt. Sportlich hinterließ er aber einen Totalverlust - man wird wohl erst in einigen Jahren wissen, was dieses Erbe zusammen betrachtet wirklich wert war. Ich traue mir zumindest nicht zu, das jetzt abschließend zu beurteilen. Eines möchte ich zu diesem Zeitpunkt aber schon sagen: Wenn eine Organisation nach dem Abschied der zentralen Führungsfigur umgehend besser zu laufen scheint als zuvor, spricht das entgegen landläufiger Meinung nicht automatisch gegen den alten Kapitän, denn das geht so nur, wenn dieser das Schiff in einem grundsätzlich manövrierfähigen Zustand übergeben hat: Das war offensichtlich der Fall. Dafür, und für alles was Ingo Wald über die Jahre an persönlichem Einsatz gezeigt, und an Managementexpertise eingebracht hat, an dieser Stelle noch einmal meinen ausdrücklichen Dank.
Denn: Wir haben nun einen neuen Vorstand, mit einem neuen Vorstandsvorsitzenden, der sich zuletzt deutlich weiter im Hintergrund positionierte, als ich das zunächst erwartet hatte. Wald hatte ihm als Abschiedsgeschenk noch mit Michael Preetz den mit Abstand weltläufigsten und erfahrensten Geschäftsführer wohl aller Regionalligisten mitgegeben, und dieser begrüßte mit Christian Koke zudem noch einen gut profilierten Marketing-Chef an Bord. Und was will man sagen: Dieses Team Preetz/Koke/Stiefelhagen scheint einfach zu passen. Seit Monaten funktioniert dieser „neue“ MSV mit einer völlig neuen Geräuschlosigkeit. Gute sportliche Nachrichten gehen einher mit passenden neuen Marketingformaten und zumindest einer ausreichenden wirtschaftlichen Stabilität.
Was noch zu passen scheint ist das neue Team auf dem Feld. Das alte verschwand bis auf wenige Ausnahmen in unterschiedlichste Richtungen – war letztlich wohl einfach besser so.
Mit Hirsch wurde ein ausgewiesener Regionalligaexperte mit Stallgeruch geholt und Preetz, Schmoldt bauten um und für ihn nun etwas fast völlig Neues zusammen.
Im Zentrum dieser neuen Idee stand wohl ein bekanntes Gesicht: Intuitiv erwartet wurde Michelbrink, aber es war MSV-Routinier Fleckstein der mit Kapitän Hahn das Epizentrum und Herz der neuen Mannschaft bildete. Das mit dem Routinier ist bei einem 25-jährigen natürlich durchaus fraglich, aber Flecki strahlte schon in der Vorbereitung mit wirklich jeder Faser aus: Hier bin ich, und auf mich werdet Ihr euch verlassen können! Das hat mich beeindruckt. Neben sich hat er allerdings mit Hahn auch jemanden stehen, auf den der Begriff Routinier in jeder Form zutrifft, und der das ebenfalls – wenn auch mit kleinem Anlauf - voll auf den Platz brachte, inklusive einem ganz besonderen Talent: In unserem sehr auf Sicherheit im Zentrum bedachten Konzept hat er die wichtige Fähigkeit, als Hummels der Regionalliga zu erkennen, wann es gilt, auch mal selbst vorne den Matchball zu setzen. Das, was die beiden zusammen jetzt schon eine ganze Halbrunde lang abliefern macht Spaß – erst Recht, weil man weiß, dass mit Uzelac, Egerer, Müller und Bitter Spieler da sind, die jederzeit auf ebenfalls hohem Niveau einspringen können, wenn einer ausfällt. Beide gleichzeitig wollen wir dagegen wohl eher nicht verlieren, aber die Absicherung bleibt beachtlich.
Hinter den beiden wurde ein enger Zweikampf zwischen Eigengewächs Braune und Routinier (er ebenfalls eindeutig) Kunz erwartet – den Didi Hirsch früher und klarer als von den meisten erwartet für Braune entschied. Auch nach der kleinen Fehlerserie stärkte Hirsch ihm weiter den Rücken. Aus meiner ganz persönlichen Freude an Braune, insbesondere dessen ständigem Willen, das Spiel anzuschieben, habe ich nie einen Hehl gemacht. Für mich passt das also vollkommen – die Tatsache, dass wir auch den Niederrheinpokal wieder mit echtem Fokus spielen, schafft zudem auch für Kunz eine bedeutende Bühne.
Das Zentrum muss für Hirsch eine Festung sein – Florian Egerer, Jesse Tugbenjo und der nachverpflichtete Kilian Pagliuca verkörpern diesen Anspruch alle mit Gardemaßen nahe an den 1,90 – doch ein anderer stahl ihnen zunächst klar die Show: Was war das für ein Saisonstart von Jakob Bookjans, der für seine Gegenspieler einfach deutlich zu schnell im Kopf war. Bekam er im letzten Drittel den Ball, dann brannte umgehend der Baum. Schnell wurde deutlich, dass dieses Spiel, allgemeine Panik zu erzeugen, auch seine Partner auf außen, Youngster Symalla und Patrick Sussek beherrschten. Symalla dabei der absolute Senkrechtstarter: Tempo in den Beinen, Tempo am Fuß, Tempo im Kopf: Große Freude. Sussek ebenfalls bärenstark am Ball, Räume erkennend und dabei außergewöhnlich abschlusssicher. Als geregelter Spielaufbau noch eher die Ausnahme war, wirbelten die drei alleine uns mit tollen Aktionen die Punkte ins Netz.
Einer fiel genau in dieser Phase völlig durchs Raster, einer, den viele, wie schon erwähnt, als den zentralen Spielgestalter erwartet hatten: Jonas Michelbrink! Es ist schon viel darüber geschrieben worden, wie der im Regionalligaumfeld klar Hochbegabte systembedingt zum richtigen Mann am falschen Platz wurde. Bittere Phase für ihn. Umso wichtiger, dass er gegen Rödinghausen, auf Schlacke und gegen Wiedenbrück das Thema „richtiger Mann“ noch einmal spektakulär unterstreichen konnte.
Einer fehlt noch unter den Durchstartern gerade der ersten Phase: Can Coskun – der unangefochtene Platzhirsch auf der linken Verteidigerposition. Mert Göckan, der in Bocholt eindrucksvoll zeigt, dass man ihn durchaus auch auf den Platz lassen darf, muss sich trotzdem bisher einfach hinten anstellen. Lange her, dass man an einem Außenverteidiger beim MSV so viel Spaß haben konnte, wie an Coskun. Das liegt daran, dass er sein Kerngeschäft versteht und (bis auf seltene Ausnahmen) total zuverlässig abarbeitet, aber gleichzeitig in der Lage ist, brandgefährlich und mit großer Spielübersicht unser Spiel nach vorne zu pushen. Für mich persönlich ist die Kombi Coscun/Sussek das klar beste Außenduo der Liga.
Rechts hinten hatte zunächst Leon Müller die Nase vorn, bot dort ebenfalls einen beeindruckenden Zug Richtung Tor, und Tempo und Physis in wichtigen Defensivaktionen – allerdings wiederholt auch durchaus kuriose Glitches in den Halbräumen. Die brachten nach überstandener Verletzung einen weiteren „Überlebenden“ wieder ins Spiel: Joshua Bitter – und der biss sich dann fest. Mit 27 kommt nicht jeder Antritt Joshs wie zu den Zeiten, als er hier einfach nur „die Maschine“ gerufen wurde, aber wenn er rollt, dann rollt er weiterhin und er scheint dabei eine neue Balance für sich gefunden zu haben. Mit der konnte er ganz entscheidende Offensivpunkte setzen, während er weiter hinten robust aufräumt. Fühlt sich gut an.
Im Sturm war man grundsätzlich mit dem Gefühl in die Saison gegangen, mit Wegkamp eine Torgarantie vorne drin zu haben – doch irgendwie realisierte genau die sich nach ganz starkem Start nicht mehr. Wegkamp blieb wertvoll, da er arbeitete und ihn nie ein Gegner alleine lassen würde, aber Tore wollten ihm nicht mehr gelingen.
Gegen Mitte der Saison begann sich unser Spiel auch deshalb zu bewegen. Zu den zwar erfolgreichen, aber wenig eleganten Kick&Rush-Mustern gesellten sich zunehmend besser koordinierte Pressingelemente und mehr Ruhe im Ballbesitz. Damit ging der Stern des Malek Fakroh auf – und stieg bis in den Nationalmannschaftshimmel. Das vorher schon druckvolle Auftreten Maleks zeigte in dem Moment, in dem die zweite Kette konsequent mitarbeitete, zunehmend auch zählbare Wirkung. Die Gegner kamen unter Stress, der erzeugte Zuordnungsfehler und Räume und in die stieß Fakroh und es fielen Tore – aus einer „so lala“-, wurde allmählich eine „ok“-, und schließlich eine Top-Offensive.
Diese Veränderung rückte drei weitere Spieler ins Blickfeld. Florian Egerer wuchs in die Rolle des konsequenten Abräumers und der haltenden Sechs, Steffen Meuer spielte uneitel und effektiv dessen Vorhut – und schließlich konnte auch Tugbenjo zeigen, warum er geholt worden war: Mit ihm kam ein Spieler auf den Platz, der das Spiel einerseits beruhigen konnte, andererseits sowohl mit dem Ball am Fuss als auch passend, spielerisch nach vorne verlagern konnte.
Aber diese Entwicklungen hatten auch wieder „Opfer“. Am offensichtlichsten Bookjans: Unsere Lebensversicherung des Saisonstarts fiel aus der Startelf. Ich denke jeder wünscht sich wieder den Bookjans der ersten Spiele, der die Gegner fast nach Belieben auseinanderspielte und im Zweifelsfall dann selbst abschloss. Tatsächlich wird ihm aber wahrscheinlich niemand mehr diese Räume bieten. Um seinen Stern wieder heller leuchten zu sehen, müssten wir nach meinem Eindruck das durchaus einleuchtende Konzept, in dem er gegen einen langsam ermüdenden Gegner die zweite Welle führt, noch einmal im Detail überarbeiten. So wie wir es bisher gespielt haben, wurde er wieder und wieder zu weit nach hinten gezogen, und der Weg nach vorne wurde so zu lang.
Der zweite, der kaum noch in Erscheinung trat, war Kilian Pagliuca. Und ich glaube, er wird es auch weiter sehr schwer haben an Tugbenyo, Bookjans und Meuer vorbei zu kommen. Gleichzeitig brauchen wir wie bei Michelbrink zur Absicherung der Mission Aufstieg zwingend Spieler solcher Qualität in der Hinterhand – bin gespannt, ob es Hirsch gelingt, das weiter auszubalancieren.
Fehlen neben den Dauerverletzten Zahmel und Boutakrith, die quasi Neuzugänge sein werden, noch Moritz Montag, Louis Hartwig und Batuhan Yavuz. Das Batuhan Yavuz primär die Nachwuchsklausel erfüllen würde, war klar, ich denke, damit kann er angesichts der Konkurrenz auch leben. Hartwig hätte man denke ich mehr zugetraut – im Saisonendspurt zeigte er, dass es ihm als klassischer Mittelstürmer zwar etwas an Physis fehlt, er da durch seine Technik aber durchaus Qualitäten hat, mit denen er treffen kann – in der spielenden Rolle dauern manche Entscheidungen im Moment aber zu lange. Bei Montag könnte ich mir gerade wegen seines Tempos dagegen durchaus noch mehr Spielzeiten vorstellen. Dafür müsste er aber aus meiner Sicht diese Geschwindigkeit auch noch entschlossener in die Rückwärtsbewegung einbringen – bei Ballverlust MSV verhält er sich für mich zu spekulativ offensiv.
Aber in der Summe passt das Paket einfach – irre Halbrunde – meiste Siege, wenigste Niederlagen, beste Abwehr, bestes Torverhältnis, Bundesliga-taugliche Heimkulissen, denkwürdige Auswärtsauftritte - die ganze Liga feiert Fussballfeste mit blau weiß, in ganz Deutschland liest man, wie der MSV Zuschauerrekord für Zuschauerrekord bricht. Das ist toll. Fussballherz was willst Du mehr?
Nun, hier wird mindestens ein Ruf aufkommen: Spielerische Entwicklung! Die in der Hitze rund um die Spiele oft eher undankbar verlaufenden Diskussionen zu diesem Punkt, wurden durch den ausführlichen Taktik-Podcast am Ende der Runde noch einmal eingeordnet, detaillierter aufgearbeitet und präzisiert – inklusive des klaren Respekts vor den bislang gelieferten Ergebnissen.
Meine Erwartung ist, dass wir das System nicht gravierend verändern werden, sondern weiter eher graduell anpassen – einfach weil der Ergebnisdruck so gigantisch ist, und eine Spielidee, einmal verlassen, nicht einfach wieder hergezaubert werden kann. Am ehesten sehe ich persönlich Entwicklungspotenzial in einem 4 1 4 1, oder 3 4 2 1 mit zwei abgesicherten, offensiver agierenden Mittelfeldspielern – aber vermutlich kommt es ganz anders.
Das ist aber eigentlich nebensächlich:
2024 geht zu Ende und an diesem Ende besteht jeder Grund anzunehmen, dass diese Mannschaft und dieser Trainer tatsächlich in der Lage sind, den Wiederaufstieg zu realisieren. Sie wären die ersten, denen das so gelänge. Was kann schöner sein, als mit dieser Perspektive ein Jahr, das mit einem Zusammenbruch begann, zu verlassen.
Allerdings besteht genauso jeder Grund anzunehmen, dass dieser Aufstieg nicht gelingt, wenn wir auch nur an einer Stelle den zweiten Schritt vor dem ersten machen wollen, irgendwo zu früh die Zügel schleifen lassen. Wir haben eine tolle Hinrunde erlebt, mit der wir aber leider noch nicht annähernd aufgestiegen sind.
Der Druck wird ab jetzt zudem mit jedem Spieltag steigen, da Rückschläge immer schwerer zu korrigieren sind.
Für diesen absoluten Hammerweg, der da ansteht, sollten wir den Jungs jeden Funken Energie und Vertrauen mitgeben, den wir in uns finden können. Lasst uns die Ränge füllen und dort zusammen den Schrecken vom Niederrhein und die ganz große Liebe feiern. Lasst die Schals durch die Luft wirbeln, den M - S - V erschallen, damit, wo immer es nötig sein wird, Zebra-FM wieder sagen kann: " Und jetzt kommt auch die Kulisse wieder.", und sich auch diese Saison die Enis Hajris und Michael Gadarwskis finden, die genau dann da sind, wenn wir sie brauchen. Lasst uns dementsprechend optimistisch sein, und immer offen für Überraschungen.
Allen Zebras wünsche ich ein gesegnetes Weihnachtsfest mit vielen tollen Erinnerungen an das, was seit dem Sommer passiert ist, und dann einen guten Rutsch ins neue Jahr. Und dann geht es mit Begeisterung, Fokus und Optimismus in Richtung Realisierung unseres großen Traums! Jeder einzelne Schritt zählt.
Gerade weil das so ist, so viel vor uns liegt, verabschiede ich mich von Euch in die besinnliche Zeit noch einmal mit einem kurzen Durchschnaufer, mit dem für mich weiterhin schönsten Duisburg Lied, und sage: Lasst es Euch gut gehen!
Euer Zebra Shanghai
Endlich?
Kann man nicht so einfach sagen:
Als MSV Fan wird man diesem Jahr, denke ich, in zwei Formen begegnen: Der ersten Jahreshälfte mit einem kurzen trockenen Schlag mitten auf die Zwölf, garniert mit einem herzlichen: „Du A….loch!“, der zweiten einem herzlichen: „Wow, das war ja wohl der Hammer!"
Was ein Jahr.
Dem tiefsten Absturz in der Vereinsgeschichte folgt eine souveräne Tabellenführung mit über den Saisonverlauf wechselnden Bestwerten.
Dem Crash im Sommer - den ich hier nicht mehr tiefer besprechen werde, denn bei Sch… reicht es, wenn man sie erkennt, man muss sie nicht noch an die Wand hängen – dem Crash folgte ein tiefer Einschnitt.
Mit Ingo Wald ging die prägende Figur des vergangenen Jahrzehnts von Bord, was mich schon sehr bewegte. Mit ihm ging eine Führungsfigur, die sich Zeit für ausführliche Gespräche nahm, dabei stets offen wirkte, immer am denken und machen. Aber auch ein Mann, der hinter der kleinen Statur Unmengen Energie und einen extremen Willen verbarg und auf dieser Basis durchaus sehr dominant werden konnte. Gerade letztere Eigenschaft mag zuweilen nicht immer nur produktiv gewirkt haben. Insbesondere ging mit Ingo Wald aber ein sehr, sehr präzise denkender Manager, dem der MSV durch diese Präzision schlicht sein Überleben verdankt. Sportlich hinterließ er aber einen Totalverlust - man wird wohl erst in einigen Jahren wissen, was dieses Erbe zusammen betrachtet wirklich wert war. Ich traue mir zumindest nicht zu, das jetzt abschließend zu beurteilen. Eines möchte ich zu diesem Zeitpunkt aber schon sagen: Wenn eine Organisation nach dem Abschied der zentralen Führungsfigur umgehend besser zu laufen scheint als zuvor, spricht das entgegen landläufiger Meinung nicht automatisch gegen den alten Kapitän, denn das geht so nur, wenn dieser das Schiff in einem grundsätzlich manövrierfähigen Zustand übergeben hat: Das war offensichtlich der Fall. Dafür, und für alles was Ingo Wald über die Jahre an persönlichem Einsatz gezeigt, und an Managementexpertise eingebracht hat, an dieser Stelle noch einmal meinen ausdrücklichen Dank.
Denn: Wir haben nun einen neuen Vorstand, mit einem neuen Vorstandsvorsitzenden, der sich zuletzt deutlich weiter im Hintergrund positionierte, als ich das zunächst erwartet hatte. Wald hatte ihm als Abschiedsgeschenk noch mit Michael Preetz den mit Abstand weltläufigsten und erfahrensten Geschäftsführer wohl aller Regionalligisten mitgegeben, und dieser begrüßte mit Christian Koke zudem noch einen gut profilierten Marketing-Chef an Bord. Und was will man sagen: Dieses Team Preetz/Koke/Stiefelhagen scheint einfach zu passen. Seit Monaten funktioniert dieser „neue“ MSV mit einer völlig neuen Geräuschlosigkeit. Gute sportliche Nachrichten gehen einher mit passenden neuen Marketingformaten und zumindest einer ausreichenden wirtschaftlichen Stabilität.
Was noch zu passen scheint ist das neue Team auf dem Feld. Das alte verschwand bis auf wenige Ausnahmen in unterschiedlichste Richtungen – war letztlich wohl einfach besser so.
Mit Hirsch wurde ein ausgewiesener Regionalligaexperte mit Stallgeruch geholt und Preetz, Schmoldt bauten um und für ihn nun etwas fast völlig Neues zusammen.
Im Zentrum dieser neuen Idee stand wohl ein bekanntes Gesicht: Intuitiv erwartet wurde Michelbrink, aber es war MSV-Routinier Fleckstein der mit Kapitän Hahn das Epizentrum und Herz der neuen Mannschaft bildete. Das mit dem Routinier ist bei einem 25-jährigen natürlich durchaus fraglich, aber Flecki strahlte schon in der Vorbereitung mit wirklich jeder Faser aus: Hier bin ich, und auf mich werdet Ihr euch verlassen können! Das hat mich beeindruckt. Neben sich hat er allerdings mit Hahn auch jemanden stehen, auf den der Begriff Routinier in jeder Form zutrifft, und der das ebenfalls – wenn auch mit kleinem Anlauf - voll auf den Platz brachte, inklusive einem ganz besonderen Talent: In unserem sehr auf Sicherheit im Zentrum bedachten Konzept hat er die wichtige Fähigkeit, als Hummels der Regionalliga zu erkennen, wann es gilt, auch mal selbst vorne den Matchball zu setzen. Das, was die beiden zusammen jetzt schon eine ganze Halbrunde lang abliefern macht Spaß – erst Recht, weil man weiß, dass mit Uzelac, Egerer, Müller und Bitter Spieler da sind, die jederzeit auf ebenfalls hohem Niveau einspringen können, wenn einer ausfällt. Beide gleichzeitig wollen wir dagegen wohl eher nicht verlieren, aber die Absicherung bleibt beachtlich.
Hinter den beiden wurde ein enger Zweikampf zwischen Eigengewächs Braune und Routinier (er ebenfalls eindeutig) Kunz erwartet – den Didi Hirsch früher und klarer als von den meisten erwartet für Braune entschied. Auch nach der kleinen Fehlerserie stärkte Hirsch ihm weiter den Rücken. Aus meiner ganz persönlichen Freude an Braune, insbesondere dessen ständigem Willen, das Spiel anzuschieben, habe ich nie einen Hehl gemacht. Für mich passt das also vollkommen – die Tatsache, dass wir auch den Niederrheinpokal wieder mit echtem Fokus spielen, schafft zudem auch für Kunz eine bedeutende Bühne.
Das Zentrum muss für Hirsch eine Festung sein – Florian Egerer, Jesse Tugbenjo und der nachverpflichtete Kilian Pagliuca verkörpern diesen Anspruch alle mit Gardemaßen nahe an den 1,90 – doch ein anderer stahl ihnen zunächst klar die Show: Was war das für ein Saisonstart von Jakob Bookjans, der für seine Gegenspieler einfach deutlich zu schnell im Kopf war. Bekam er im letzten Drittel den Ball, dann brannte umgehend der Baum. Schnell wurde deutlich, dass dieses Spiel, allgemeine Panik zu erzeugen, auch seine Partner auf außen, Youngster Symalla und Patrick Sussek beherrschten. Symalla dabei der absolute Senkrechtstarter: Tempo in den Beinen, Tempo am Fuß, Tempo im Kopf: Große Freude. Sussek ebenfalls bärenstark am Ball, Räume erkennend und dabei außergewöhnlich abschlusssicher. Als geregelter Spielaufbau noch eher die Ausnahme war, wirbelten die drei alleine uns mit tollen Aktionen die Punkte ins Netz.
Einer fiel genau in dieser Phase völlig durchs Raster, einer, den viele, wie schon erwähnt, als den zentralen Spielgestalter erwartet hatten: Jonas Michelbrink! Es ist schon viel darüber geschrieben worden, wie der im Regionalligaumfeld klar Hochbegabte systembedingt zum richtigen Mann am falschen Platz wurde. Bittere Phase für ihn. Umso wichtiger, dass er gegen Rödinghausen, auf Schlacke und gegen Wiedenbrück das Thema „richtiger Mann“ noch einmal spektakulär unterstreichen konnte.
Einer fehlt noch unter den Durchstartern gerade der ersten Phase: Can Coskun – der unangefochtene Platzhirsch auf der linken Verteidigerposition. Mert Göckan, der in Bocholt eindrucksvoll zeigt, dass man ihn durchaus auch auf den Platz lassen darf, muss sich trotzdem bisher einfach hinten anstellen. Lange her, dass man an einem Außenverteidiger beim MSV so viel Spaß haben konnte, wie an Coskun. Das liegt daran, dass er sein Kerngeschäft versteht und (bis auf seltene Ausnahmen) total zuverlässig abarbeitet, aber gleichzeitig in der Lage ist, brandgefährlich und mit großer Spielübersicht unser Spiel nach vorne zu pushen. Für mich persönlich ist die Kombi Coscun/Sussek das klar beste Außenduo der Liga.
Rechts hinten hatte zunächst Leon Müller die Nase vorn, bot dort ebenfalls einen beeindruckenden Zug Richtung Tor, und Tempo und Physis in wichtigen Defensivaktionen – allerdings wiederholt auch durchaus kuriose Glitches in den Halbräumen. Die brachten nach überstandener Verletzung einen weiteren „Überlebenden“ wieder ins Spiel: Joshua Bitter – und der biss sich dann fest. Mit 27 kommt nicht jeder Antritt Joshs wie zu den Zeiten, als er hier einfach nur „die Maschine“ gerufen wurde, aber wenn er rollt, dann rollt er weiterhin und er scheint dabei eine neue Balance für sich gefunden zu haben. Mit der konnte er ganz entscheidende Offensivpunkte setzen, während er weiter hinten robust aufräumt. Fühlt sich gut an.
Im Sturm war man grundsätzlich mit dem Gefühl in die Saison gegangen, mit Wegkamp eine Torgarantie vorne drin zu haben – doch irgendwie realisierte genau die sich nach ganz starkem Start nicht mehr. Wegkamp blieb wertvoll, da er arbeitete und ihn nie ein Gegner alleine lassen würde, aber Tore wollten ihm nicht mehr gelingen.
Gegen Mitte der Saison begann sich unser Spiel auch deshalb zu bewegen. Zu den zwar erfolgreichen, aber wenig eleganten Kick&Rush-Mustern gesellten sich zunehmend besser koordinierte Pressingelemente und mehr Ruhe im Ballbesitz. Damit ging der Stern des Malek Fakroh auf – und stieg bis in den Nationalmannschaftshimmel. Das vorher schon druckvolle Auftreten Maleks zeigte in dem Moment, in dem die zweite Kette konsequent mitarbeitete, zunehmend auch zählbare Wirkung. Die Gegner kamen unter Stress, der erzeugte Zuordnungsfehler und Räume und in die stieß Fakroh und es fielen Tore – aus einer „so lala“-, wurde allmählich eine „ok“-, und schließlich eine Top-Offensive.
Diese Veränderung rückte drei weitere Spieler ins Blickfeld. Florian Egerer wuchs in die Rolle des konsequenten Abräumers und der haltenden Sechs, Steffen Meuer spielte uneitel und effektiv dessen Vorhut – und schließlich konnte auch Tugbenjo zeigen, warum er geholt worden war: Mit ihm kam ein Spieler auf den Platz, der das Spiel einerseits beruhigen konnte, andererseits sowohl mit dem Ball am Fuss als auch passend, spielerisch nach vorne verlagern konnte.
Aber diese Entwicklungen hatten auch wieder „Opfer“. Am offensichtlichsten Bookjans: Unsere Lebensversicherung des Saisonstarts fiel aus der Startelf. Ich denke jeder wünscht sich wieder den Bookjans der ersten Spiele, der die Gegner fast nach Belieben auseinanderspielte und im Zweifelsfall dann selbst abschloss. Tatsächlich wird ihm aber wahrscheinlich niemand mehr diese Räume bieten. Um seinen Stern wieder heller leuchten zu sehen, müssten wir nach meinem Eindruck das durchaus einleuchtende Konzept, in dem er gegen einen langsam ermüdenden Gegner die zweite Welle führt, noch einmal im Detail überarbeiten. So wie wir es bisher gespielt haben, wurde er wieder und wieder zu weit nach hinten gezogen, und der Weg nach vorne wurde so zu lang.
Der zweite, der kaum noch in Erscheinung trat, war Kilian Pagliuca. Und ich glaube, er wird es auch weiter sehr schwer haben an Tugbenyo, Bookjans und Meuer vorbei zu kommen. Gleichzeitig brauchen wir wie bei Michelbrink zur Absicherung der Mission Aufstieg zwingend Spieler solcher Qualität in der Hinterhand – bin gespannt, ob es Hirsch gelingt, das weiter auszubalancieren.
Fehlen neben den Dauerverletzten Zahmel und Boutakrith, die quasi Neuzugänge sein werden, noch Moritz Montag, Louis Hartwig und Batuhan Yavuz. Das Batuhan Yavuz primär die Nachwuchsklausel erfüllen würde, war klar, ich denke, damit kann er angesichts der Konkurrenz auch leben. Hartwig hätte man denke ich mehr zugetraut – im Saisonendspurt zeigte er, dass es ihm als klassischer Mittelstürmer zwar etwas an Physis fehlt, er da durch seine Technik aber durchaus Qualitäten hat, mit denen er treffen kann – in der spielenden Rolle dauern manche Entscheidungen im Moment aber zu lange. Bei Montag könnte ich mir gerade wegen seines Tempos dagegen durchaus noch mehr Spielzeiten vorstellen. Dafür müsste er aber aus meiner Sicht diese Geschwindigkeit auch noch entschlossener in die Rückwärtsbewegung einbringen – bei Ballverlust MSV verhält er sich für mich zu spekulativ offensiv.
Aber in der Summe passt das Paket einfach – irre Halbrunde – meiste Siege, wenigste Niederlagen, beste Abwehr, bestes Torverhältnis, Bundesliga-taugliche Heimkulissen, denkwürdige Auswärtsauftritte - die ganze Liga feiert Fussballfeste mit blau weiß, in ganz Deutschland liest man, wie der MSV Zuschauerrekord für Zuschauerrekord bricht. Das ist toll. Fussballherz was willst Du mehr?
Nun, hier wird mindestens ein Ruf aufkommen: Spielerische Entwicklung! Die in der Hitze rund um die Spiele oft eher undankbar verlaufenden Diskussionen zu diesem Punkt, wurden durch den ausführlichen Taktik-Podcast am Ende der Runde noch einmal eingeordnet, detaillierter aufgearbeitet und präzisiert – inklusive des klaren Respekts vor den bislang gelieferten Ergebnissen.
Meine Erwartung ist, dass wir das System nicht gravierend verändern werden, sondern weiter eher graduell anpassen – einfach weil der Ergebnisdruck so gigantisch ist, und eine Spielidee, einmal verlassen, nicht einfach wieder hergezaubert werden kann. Am ehesten sehe ich persönlich Entwicklungspotenzial in einem 4 1 4 1, oder 3 4 2 1 mit zwei abgesicherten, offensiver agierenden Mittelfeldspielern – aber vermutlich kommt es ganz anders.
Das ist aber eigentlich nebensächlich:
2024 geht zu Ende und an diesem Ende besteht jeder Grund anzunehmen, dass diese Mannschaft und dieser Trainer tatsächlich in der Lage sind, den Wiederaufstieg zu realisieren. Sie wären die ersten, denen das so gelänge. Was kann schöner sein, als mit dieser Perspektive ein Jahr, das mit einem Zusammenbruch begann, zu verlassen.
Allerdings besteht genauso jeder Grund anzunehmen, dass dieser Aufstieg nicht gelingt, wenn wir auch nur an einer Stelle den zweiten Schritt vor dem ersten machen wollen, irgendwo zu früh die Zügel schleifen lassen. Wir haben eine tolle Hinrunde erlebt, mit der wir aber leider noch nicht annähernd aufgestiegen sind.
Der Druck wird ab jetzt zudem mit jedem Spieltag steigen, da Rückschläge immer schwerer zu korrigieren sind.
Für diesen absoluten Hammerweg, der da ansteht, sollten wir den Jungs jeden Funken Energie und Vertrauen mitgeben, den wir in uns finden können. Lasst uns die Ränge füllen und dort zusammen den Schrecken vom Niederrhein und die ganz große Liebe feiern. Lasst die Schals durch die Luft wirbeln, den M - S - V erschallen, damit, wo immer es nötig sein wird, Zebra-FM wieder sagen kann: " Und jetzt kommt auch die Kulisse wieder.", und sich auch diese Saison die Enis Hajris und Michael Gadarwskis finden, die genau dann da sind, wenn wir sie brauchen. Lasst uns dementsprechend optimistisch sein, und immer offen für Überraschungen.
Allen Zebras wünsche ich ein gesegnetes Weihnachtsfest mit vielen tollen Erinnerungen an das, was seit dem Sommer passiert ist, und dann einen guten Rutsch ins neue Jahr. Und dann geht es mit Begeisterung, Fokus und Optimismus in Richtung Realisierung unseres großen Traums! Jeder einzelne Schritt zählt.
Gerade weil das so ist, so viel vor uns liegt, verabschiede ich mich von Euch in die besinnliche Zeit noch einmal mit einem kurzen Durchschnaufer, mit dem für mich weiterhin schönsten Duisburg Lied, und sage: Lasst es Euch gut gehen!
Euer Zebra Shanghai
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