O.K. Leute, dann soll es wohl so sein.
Eine Gruppe von vier MSV-Geschädigten machte sich am frühen Morgen des Spieltags auf den Weg nach Basel. Wir hatten die von AS1805 vermittelte DerTour-Bustour gebucht. Startpunkt war Essen. In Köln gab es einen Zwischenstopp, wo weitere Fans aufgenommen wurden. Insgesamt waren wir ca. 40 Mann.
Von den langen Fahrten nach Klagenfurt und Wien "gestählert", flogen die 550 Kilometer bis Basel an einem nur so vorbei. Plötzlich waren wir schon an der Grenze und ebenso plötzlich tauchte ein deutsches Polizeifahrzeug auf. Wir sollten kontrolliert werden, doch die Ausfahrt war schon verpasst. Der Polizeiwagen kehrte zurück, wir mussten auf dem Standstreifen halten und dann auf der Autobahn rückwärts bis hinter die Ausfahrt fahren. LKWs rasten teilweise einige Zentimeter an uns vorbei. Auf dem Rastplatz angekommen, fiel unser Blick auf eine Hundertschaft. Die Polizisten waren teilweise mit Maschinengewehren ausgerüstet. Alles, was nach Deutschland-Fans aussah bzw. eine Fahne am Auto präsentierte, wurde kontrolliert. Nach gut einer Stunde konnten wir weiterfahren -letztlich mit kompletter Busbesatzung von ca. 40 Leuten. Die in der Bildergalerie hochgeladenen Fotos dieser Polizeikontrolle werden vielleicht einen kleinen Eindruck vermitteln, was da los war. Meines Erachtens ein unverhältnismäßig großer Aufwand angesichts des geringen Risikopotentials der anstehenden Begegnung. Die Polizei jedenfalls machte großenteils freundlich ihren Job.
In Basel angekommen, verblieb nicht mehr viel Zeit für einen Marsch durch die Innenstadt, wo eindeutig in allen Straßen und auf allen Plätzen unsere Farben regierten. Knapp 60.000 sollen ohne Karten den Weg gefunden haben -viele aus dem süddeutschen Raum. Aber auch viele Ostdeutsche.
Der Schwarzmarkt vor dem Stadion brach langsam völlig zusammen. Händler waren froh, wenn sie ihre Karten zum Originalpreis an den Fan brachten. Am Ende waren sie glücklich, wenn sie 20 € kriegten. Es waren einfach sehr viele Karten im Umlauf. Der portugiesische Verband hatte etwa nur 50% seines 6.000er Kontingents abgesetzt, weshalb sich die vielen kartenlosen Deutschen massenhaft in jene Portugal-Blöcke einkauften. Schon überraschend. Immerhin leben in der Schweiz ungefähr doppelt so viele Portugiesen wie in Deutschland! Und die Portugiesen waren bei den Vorrundenspielen immer sehr gut vertreten gewesen. Vorgestern war alles anders. Vll. erahnten die Südländer schon ihr vorzeitiges EM-Aus.
Dann zum Stadion. Das Stadion St. Jakob-Park selbst ist nur ein überschaubarer Bestandteil eines multifunktionalen Gesamtkomplexes bestehend aus Bürohäusern, Hallen , Wohnhäusern und sonstigen Gebäuden. Das Stadion ist tief in einen Hügel eingelassen, so dass die Aussenfassaden nur wenige Meter über den Boden ragen. Die Aussenansicht erinnert kaum an ein Stadion. Die Bereiche im Stadion sind sehr eng gehalten. Alles im Mini-Format. Ein eigenwilliges Stadion. Jedenfalls unverwechselbar. Kleine Ähnlichkeiten zur Münchener Allianz-Arena sind durchaus erklärbar. Hier war das gleiche Architektenbüro am Werk. Die Innenansicht versöhnte den Betrachter etwas, immerhin erhoben sich auf einer imposanten Tibünenseite drei Ränge. Die Akustik... naja, wenn man unten steht, kommt schon ein toller Support von den Rängen herab. Wenn man aber -wie ich- seinen angestammten Platz im mittleren Rang hat, hört man wenig Widerhall. Dass wir in unserer Kurve aber ganz gut rüber kommen mussten, zeigte die Tatsache, dass die Deutschen auf der gegenüber liegenden Portugal-Kurve immer wieder in unsere Gesänge mit einstimmten.
Die Stimmung war grandios. Auch wenn sich das Verhältnis zwischen echten Supportern und Touris im schwarz-rot-goldenen Trottelkostüm etwa die Waage hielt, machte der Auftritt unserer Spieler auch aus Biedermännern schnell "Fanatiker". Die Aufforderung "hinsetzen" hörte ich in der dritten Minute zum letzten Mal. Danach hatte jeder in unserer Ecke kapiert, dass heute nicht gesessen wird.
Die Choreo war wieder mal Klasse. Jedes Spiel eine Choreo. Die FCN-Leute waren richtig engagiert. Ich stand übrigens genau unter dem übergroßen Wimpel, der an unsere bisherigen EM-Erfolge erinnerte.
Als ich höre, das Rolfes spielt, musste ich mich erstmal zusammenreißen:"Nur keine negativen Schwingungen aufkommen lassen. Der Milchbubi macht das schon!" Und er machte es!
Zum Spiel muss ich nicht viel sagen. Alles bekannt. Grandioses Spiel. Portugal wurde in den ersten 30 Minuten überrollt. Beim 2-0 rissen sich die Leute nur noch die Trikots vom Körper.


War einfach mega, mega-geil. Wie Jim schon schreibt...

Das Stadion brodelte. Unsere Jungs wurden von allen Ecken des Stadions einfach nur nach vorne getrieben. Nach dem 2-0 dauerte es Minuten, bis sich die vier Tribünen mal wieder auf ein gemeinsames Lied einigen konnten. Alles drehte am Rad. Hüpfeinlagen über zwei Tribünen. Ich sag mal 23.000 Deutsche waren im Stadion unter den knapp 40.000. Eher mehr.
Nach dem 2-0 machte Deutschland das, was jede Mannschaft gegen einen starken Gegner macht: Man zog sich zurück, weshalb Portugal von nun an mehr vom Spiel hatte. Logisch. Die Portugiesen waren stark. Absolute Weltklasse, wie sie den Ball immer wieder im Spiel halten. Diese Ballsicherheit. Keine Fehlpässe nix. Doch unseren deutschen Tugenden, unserem Kollektiv, unserer Energie, Willenskraft und unserem Zusammenhalt konnten sie zu wenig entgegen setzen. Dennoch es war ein großer Gegner, den wir da aus dem Turnier befördert haben.
In HZ 1 war man nicht immer nah genug am Gegner und ließ Portugal 1, 2x laufen. So fiel der Anschluss. Mist! Zu Butch sagte ich:"Das Spiel geht nicht 2-1 aus. Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir nochmal treffen". Ballack muss sich noch mehr zeigen. Er muss es machen. Mit dem Kopf.
H. Flick hat das oben beschriebene Fehlverhalten in der Halbzeit dann sichtbar abgestellt. Dann dieser rüde Body-Check gegen Klose. Zwischenzeitlich kam auf den Rängen Hass gegen die Portugiesen auf. Jetzt meinte ich zu meinem Nebenmann, der dies bestätigen kann:"Jetzt werden wir Portugal dafür bestrafen". Den Satz gerade zu Ende gesprochen, segelte die Flanke von Weltklasse-Schweini auf den Kopf unseres Kapitäns. Der nickt das Ding ein. Das Ding ist drin!!!! Jaaaaaaaaa. Ballack rennt in die Kurve, die Fans im Unterrang rennen zu Ballack. Nachdem die Treppen und ein Asphaltstreifen überwunden sind, trennen Fans und Spieler nur noch ein niedriger Zaun. Den Ordnern wird mulmig. Was für Szenen!
Zur Stimmung und zum Spiel müsste man nun wirklich nix mehr sagen (Ich tu es trotzdem). Das war einfach nur noch
ÜBERRAGEND, wie Podolski sagen würde. Die Portugiesen waren 15 Minuten vor Spielende eigentlich mausetot. Flanken und Torschüsse wurden unpräzise. Verzweifelungsschüsse. Poldolski heizte derweil schon während des Spiels die Zuschauer wie ein Irrwisch an.
Teilweise wollten unsere Jungs zaubern, es entstand der Eindruck, als spielten sie nun etwas arrogant und wollten sich feiern lassen. Dennoch: Die Strafe folgte nicht. Doch dann, als alles gelaufen schien dieses Tor des Gegners. Wie aus dem nichts. Ein absoluter Nervenkrieg, der nun begann. Noch 6 Minuten inklusive Nachspielzeit. Da wollte der Körper nicht mehr. Da wollte die Stimme nicht mehr. Doch dann denkt man an die Millionen in der Heimat, die nicht die Gelegenheit hatten, im Stadion zu sein. Und dann schreit man weiter und wenn sie einen aus dem Stadion tragen müssen -wir werden es als Sieger verlassen. Der Schweiss lief mir aus allen Poren. Ich war klätschnass und jeder andere im Stadion auch. Die letzten Minuten erlebte man mit Sorge und Angst. 1000 Dinge schossen einen in den Kopf. Von ManU damals bis zum Halbfinale bei der WM 2006. Aber NEIN, wir sind jetzt dran! Das passiert nicht! Wir bringen das Ding über die Runden. Und wir brachten es über die Runden. Was für eine Erlösung.
Die Spieler ließen sich im gesamten Stadion feiern. Suchten erst den Weg in die deutsche "Portugal"-Kurve. Danach kamen sie zum harten Kern. Poldolski drehte völlig am Rad und war nicht aus der Kurve zu kriegen. Erst die Welle mit der Mannschaft, dann leitete er eine Humba ein, setzte Schweini einen Deutschland-Hut auf den Kopf, ging 10 Meter aus der Kurve raus, blieb stehen, drehte sich um, rannte zurück, sprang förmlich in die Zuschauer, verschenkte sein Trikot, zog seine Hose aus, ging wieder weg, blieb wieder stehen, kam nochmals zurück, machte alleine die Welle mit den Fans, um dann doch irgendwann in die Kabinen zu gehen. Wie feiern wir eigentlich, wenn wir den Pott geholt haben?
Vor dem Stadion überall singende Fans. Deutsche erklimmen Straßenschilder und feiern ab wie bei der Love-Parade. Hubkonzerze, an denen sich zahlreiche Autos mit Schweizer Kennzeichen beteiligten. Die Portugiesen zogen geknickt von dannen. Ein Ösi lief vor mir mit Ösi-Trikot rum. Als ich mit nachgemachtem Ösi-Akzent "Cordoba" rief, drehte er sich um und ich sah, dass er im Gesicht die Portugal-Kurve trug. Das sorgte für doppeltes Gelächter. Die Portugiesen sind keine Fans, die den Lauten machen. Wenn man mit ihnen ins Gespräch kam, konnten sie zwar teilweise die Niederlage nicht fair eingestehen, aber so sind se halt: Raus! Auf dem Rückweg war das Bier fast teurer als Eintrittskarten.

Eine Dose Bier 4,50 €. Kam dann noch mit einem bekannten Schweizer Journalisten ins Gespräch. War ein tolles Gespräch. Er hat uns über alle Maßen gelobt und ich hielt mich auch nicht mit Anerkennung gegenüber dem Schweizer Fußball zurück. Das 1-0 nannte er den schönsten Spielzug der EM. Zwei Doppelpässe im Mittelfeld. Das war nicht Holland, das war nicht Spanien oder Portugal. Das war bzw. ist Deutschland!