Boris
Soziale Unruhe

Während die einen sich zum unzählig wiederholten Male auf ihre sieglosen Auswärtsfahrten glorreich selbst feierten, machten sich fast zeitgleich Dennis und ich auf den Weg ins niederländische Doetinchem (gesprochen: Dutinchrem) zum letzten Eerste Divisie-Wedstrijd der "Superboeren" in diesem Jahr (gesprochen: Superburrren), wo uns De Graafschap gegen Helmond Sport erwartete. (Nicht verwechseln: Die Erste Divise ist hierarchisch nicht mit unserer Ersten Liga zu vergleichen, sondern stellt die zweithöchste Spielklasse in den Niederlanden dar.) Der Name "Superboeren" entstand, nachdem die Fans der großen Vereine der Liga De Graafschap immer mit einem beleidigenden "Boeren, Boeren" empfangen haben, was übersetzt soviel wie Bauern oder Rüpel heisst. Die gerade mal eine knappe Autostunde von Duisburg entfernte Ortschaft Doetinchem, die sowohl größen- als auch Einwohnertechnisch sehr gut mit Dinslaken zu vergleichen ist, weiß so einige Parallelen mit unserer Stadt aufzuweisen. Beide Städte besitzen eine historische Stadtmauer, wurden im 800. Jahrhundert erstmalig erwähnt und haben ein Zebra-Maskottchen welches nach ihrem größten Spieler benannt wurde. Aber am wichtigsten halte ich die Tatsache, dass beide Vereine den selben durchwachsenen Fußball spielen und in ihrer Laufbahn das Wort Fahrstuhlmannschaft praktisch mitentwickelt haben. Aber das nur am Rande.
Nachdem wir uns eine Stunde vor Anpfiff einen kostenlosen Parkplatz nur wenige Schritte vom Stadion De Vijverberg entfernt ganz oldschoolmäßig in einem Wohngebiet gesucht haben, wurden wir am Eingang direkt von Ben vom Fanclub Superboeren herzlich empfangen, der uns an Securitys vorbei ins Hauptgebäude führte, wo wir in einer Art Reisebüro unsere Tickets bekamen. Wer also vor hat mal ein Spiel der Gelderländer Zebras zu besuchen, sollte sich hier im Portal an die entsprechenden Personen wenden. Ohne vorherige Anmeldung beim Verein gibt es für Auswärtige KEINEN Einlass, wenn man nicht Mitglied beim VBV ist. (Es gibt noch nicht mal eine Tageskasse ausserhalb des Stadions.)
Waren es letztes Jahr noch Mannschaften wie Ajax Amsterdam oder Feyernord Rotterdam, die das 12.600 Zuschauer fassende Stadion De Vijverberg füllten, sind es nach dem Abstieg aus der Eredivise Namen wie Sparta Rotterdam oder FC Dordrecht, die einen Zuschauerschnitt von 6000 mit sich bringen. Für den Kollegen war es bereits der zehnte Besuch in Doetinchem, für mich der erste. Eine kleine aber gutgeführte Freundschaft von Fans beider Vereine existiert schon einige Jahre, dementsprechend durften wir vor und nach dem Spiel in den Raum des FC's, der wirklich liebevoll eingerichtet war und ein gemütliches Plätzchen zum aufwärmen bot. Man wurde mit einer beispiellosen Gastfreundlichkeit empfangen und neben Kuchen und Getränken gab es interessante Geschichten der Alteingessenen von ihrem Verein zu hören, sowie deren Eindrücke vom ersten Besuch in Duisburg. Das Spiel selbst wurde, wie Meiderich es hätte einfach nicht besser machen können, nach einer früh erlangten Führung erwartungsgemäß 1:2 verloren. (Ein Trend der sich hier schon die ganze Saison erfolgreich durchsetzt.)
Der Support der Heimfans war in der ersten Hälfte sehr verhalten, in der zweiten gab es dann einige nennenswerte Dauergesänge zu vernehmen. Die allgemeine Stimmung am heutigen Tage sollte allerdings auch der Zuschauerzahl geschuldet sein wie ich mir habe sagen lassen, die wiederum der schlechten Spiele in letzter Zeit geschuldet war. Auch das schlechte Wetter hatte sicherlich sein übrigens dazu getan. Dennoch fand ich den Zuschauerzuspruch enorm. Der Verein der praktisch noch weniger Erfolge vorzuweisen hat als wir, schafft es auf einen Zuschauerschnitt von mehr als 10 % gegenüber der Einwohnerzahl. Wären es bei uns nur die Hälfte davon, hätten wir jedes Heimspiel satte 24.000 im Wedaustadion. Denn die Preise für Essen und Trinken im Stadion sind vollkommen Okay. Womit wir beim Zahlsystem wären. Für 2 Euro gab es ein 0,2er Grolsch oder ein Broodje Unox, bezahlt wurde dies mit Coins mit denen man sich zuvor an einem der unzähligen Munt-Automaaten eingedeckt hat. Was mir nach dem Spiel ebenfalls gut gefallen hat, war die 150 bis 200 durstige Kehlen fassende Fankneipe in den Katakomben unter der Gegentribüne, die eine Stunde nach Abfiff noch gut gefüllt war. Da wird man echt neidisch als Duisburger mit einem super modernen Stadion welches mit 31.000 Plätzen ja eigentlich riesig ist. (In den Niederlanden gibt es nur 3 (!) Stadien die größer sind als unseres). Warum wir es nachwievor nicht auf die Reihe bekommen haben, so eine Institution einzurichten ist mir ein Rätsel. Klar, hat nicht jeder Verein eine Anlaufstelle wie einen Fancontainer vor dem Stadion stehen, aber ein Fanraum im Stadion für den größten FC, mit eigener Verpflegung und eigener Musik wäre in Duisburg sicherlich auch was schönes.
Sonstige Fakten:
Dem 1954 gegründeten Verein gehören lediglich zwei ernstzunehmende Fan Clubs an. Die bereits genannten "Superboeren" mit weit über 1000 Mitgliedern und die 2003 gegründete "Brigata Tifosi", die irgendwo schon sehr vergleichbar mit unseren ultraorientierten sind. Der Stehplatzbereich der Heimfans grenzt mit einem kleinen Puffer kurioserweise direkt am Gästebereich. Dafür ist das eigene Revier der Supporters gut markiert in Form von absolut stylischen Graffiti-Tags und in Eigenregie blauweiss gestrichenen Stufen versehen. (Auf den Handybildern leider nicht so gut zu erkennen, ich entschuldige mich als DSLR-Besitzer dafür). Das komplette Stadion ist überdacht und die Haupttribüne zusätzlich mit Heizstrahlern ausgestattet. Verwirrend ist jedoch das Platzsystem, das es gar nicht gibt. Hier heisst es, früh kommen wer zusammen sitzen will. Freie Platzwahl für freie Bürger. Lediglich der Block ist auf dem Ticket vermerkt. Der größte Rivale der Graafschap ist naheliegenderweise natürlich Vitesse Arnheim. Beide Stadien trennen nur 20 Minuten Autofahrt voneinander. Ansonsten prägen die gleichen Probleme wie überall: De Graafschap befindet sich in einer finanziellen Stricklage, die Ultras werden regelmäßig schikaniert (wie beim Spiel in Venlo, wo der der Bus solange von der Polizei aufgehalten wurde, dass er nicht mehr zum Spiel kam) und die Zuschauer sind so kritisch wie bei uns an der Wedau. Ferner zu erwähnen ist, dass alkoholische Getränke im Innenbereich grundsätzlich nicht gestattet sind und das auch penibel von den Ordnern kontrolliert wird.

1999 komplett renoviert: Das Stadion De Vijverberg.

Verrückt!

Links Ben vom FC, daneben unser Duisburger Dauergast in Doetinchem.

Man achte auf die präzisen Angaben bei Reihe und Stuhl.

Die Ruhe vor dem Sturm.

Der Eingang zum Wohnzimmer des FC's.

Fachsimpelei bei einer Tasse guten Kaffee.

Im ganzen Raum verteilt: MSV Accescoires.

Das übliche Fahnenschwenken vor dem Spiel wie mittlerweile in jedem Stadion.

Klasse Sicht und nur drei Meter zum Spielfeld.

Noch war der Jubel groß. Doch der Abend war lang.
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