Hi Matthias, meinst du den hier vielleicht ?
Ich habe einen Traum
»Das war mir immer schon klar gewesen: Wenn ich mal zu Geld komme, dann spendiere ich dem MSV Duisburg ein paar richtig gute Spieler«
Ich sitze vor dem laufendem Fernseher in meinem MSV-Duisburg-Trikot und trinke Caro-Kaffee aus meiner MSV-Duisburg-Tasse. Auf TM 3 wird das Endspiel der Champions League übertragen: MSV Duisburg gegen Manchester United.
»Schönen guten Abend allerseits«, zitiert sich Heribert Fassbender, »und willkommen in der ausverkauften Wedau-Bowl hier in Duisburg, wo 250000 Fans diesem unglaublichen Fußballfest entgegenfiebern.« Die Wedau-Bowl, die größte Sportarena Europas, ist gerade erst eröffnet worden. Die Duisburg-Fans nennen das neue Superstadion »Theater der Träume«, in Anlehnung an das »Theatre of Dreams«, wie die Manchester-United-Arena genannt wird. Bis vor kurzem war das Wedau-Stadion in Duisburg noch das schlechteste Stadion der ganzen Bundesliga.
Heribert Fassbender erklärt, was zu dem Zeitpunkt schon ganz Europa weiß, denn seit Monaten überschlagen sich die Medien vor MSV-Hysterie: »Schauen Sie sich diesen MSV Duisburg an - unfassbar, was aus dieser Mannschaft in den letzten zwei Jahren geworden ist! In der Saison 1999/2000 noch gegen den Abstieg gespielt, denken Sie nur an dieses denkwürdige Spiel gegen den SSV Ulm damals - und heute im Finale der Champions League!
Angefangen hat der sagenhafte Aufstieg, Sie werden es verfolgt haben, mit dem Geschenk eines geheimnisvollen Berliner Software-Moguls. Mein Kollege Rolf Töpperwien hat dieses Fußball-Märchen noch einmal für Sie nacherzählt ...«
»Software-Mogul«, das höre ich aber gar nicht gern, denke ich, während ich mir eine Tüte »Funny Chips Ungarisch« aufmache. Ich sehe mich mehr als Erfinder. Mein größter Coup war gewiss der sensationelle Relaunch der Computerfirma Atari. An ihren PC habe ich immer geglaubt, seit ich als Jugendlicher die ersten ruckeligen Fußball-Computerspiele darauf gespielt habe. In tiefer Verbundenheit schrieb ich auch noch Programme für den Atari, als sein Hersteller längst untergegangen war. Aus dieser intensiven Beschäftigung mit dem Gerät ging, kurz nach der Jahrtausendwende, meine Idee für einen ganz neuen Atari hervor: Ich entwickelte einen Plasma-Rechner, der rund 10 000-mal schneller war als der damals schnellste PC. Außerdem kostete er nur ein paar hundert Mark, denn die glibberige Plasma-Masse, die die Microchips ersetzte, konnte schnell und leicht in riesigen Mengen gezüchtet werden. Das Ding wurde ein Riesenerfolg. Ohne dass ich das systematisch beabsichtigt hätte, wurden mir in kürzester Zeit mehrere hundert Millionen Euro in die Kasse gespült.
So konnte ich mir endlich meinen Kindheitstraum erfüllen. Denn das war mir immer schon klar gewesen: Wenn ich mal zu Geld komme, dann spendiere ich dem MSV Duisburg ein paar richtig gute Spieler.
Der MSV Duisburg ist ein gottgegebener Teil meines Lebens, obwohl ich aus Lübeck komme und in Berlin lebe. Während ich auf den Anpfiff des großen Finales warte, geht mir die Erinnerung an mein erstes Fußballspiel durch den Kopf, das ich im Fernsehen sah, mit fünf oder sechs Jahren. Das war zu einer Zeit, als Fernsehreporter zu sein noch eine echte Herausforderung war: »Für die Zuschauer daheim, die uns nicht in Farbe sehen können, von links nach rechts in den hellen Hosen ...« Die einzige Mannschaft, die man auch ohne Farbfernseher immer sofort erkannte, war der MSV Duisburg. Dessen Spieler trugen damals schon ihre blau-weiß gestreiften Trikots, dazu Ringelsocken. Das hat sich mir eingeprägt. Ich habe damals den Teppich meiner Mutter umgedreht und darauf ein Fußballfeld gebaut, mit Toren aus Gardinen und Streichhölzern und Spielern aus
Mensch ärgere dich nicht -Figuren. Meine Mannschaft war dann schon mit weißer Deckfarbe quer gestreift, natürlich blau-weiß.
Den MSV jetzt im Finale der Champions League zu sehen, in der ganz neu gebauten Wedau-Bowl, das macht mich glücklich, sehr glücklich. Das ist schon toll. Dieses Spiel zu sehen straft endgültig all jene Lügen, die immer meinten, der MSV, das sei auch so eine Mannschaft, deren Wegfall aus der Bundesliga gar nicht weiter auffallen würde. In meiner Berliner Mietwohnung schaue ich mir das alles so aus der Entfernung an, und ich denke: Wie wunderbar, dass ich meinen Traum verwirklicht habe; dass ich aus so einer kleinen Mannschaft so eine bombastische Mannschaft machen konnte mit meiner Stürmer-Spende.
Der MSV hat es ruhig angehen lassen. Zur Halbzeit steht es erst 2 : 0. Werbung: Im ersten Spot ist der MSV-Verteidiger Stefan Emmerling zu sehen, dessen Hauptaufgabe - um ehrlich zu sein, dessen einziges Talent - schon immer darin bestand, den Ball von ganz hinten nach ganz vorn zu dreschen. Für Nike geht Emmerling, versunken in Sinnfragen und Selbstzweifeln, durch die menschenleere, hell erleuchtete Wedau-Bowl, die Hände in den Taschen seiner Lederjacke vergraben: »Wo früher Stehplätze waren, sehe ich jetzt eine VIP-Lounge«, sinniert er, »wo früher die Pommesbude war, mit den besten Pommes der Welt, ist jetzt ein Feinschmecker-Buffet. Ob das auch alles so gut ist wie früher, als wir noch auf dem Bolzplatz ...« Der Fußballmillionär als kritischer Philosoph, die typische Nike-Inszenierung. Vor Jahren, 1998 ungefähr, gab es denselben Spot schon mal mit Lars Ricken, aber wer erinnert sich heute noch an Lars Ricken? Es folgt Reklame für den Mobilfunkanbieter E-Plus. Die hat bisher Franz Beckenbauer gemacht. Jetzt ist MSV-Trainer Friedhelm Funkel zu sehen, wie er etwas lustlos seinen Text runtermurmelt: »Und die Grundgebühr ist auch schon drin.« Ob das alles noch so gut ist wie früher?
Der MSV hat das Spiel mit 6 :0 längst für sich entschieden, erwartungsgemäß. Aber viele der 250000 Fans in der Wedau-Bowl sind unzufrieden: Erst pfeifen sie Manchester United bei jeder Ballberührung aus, dann auch die MSV-Spieler bei jedem nicht ganz perfekten Pass, jeder knapp verpassten Torchance. Sie pfeifen und pfeifen, und schließlich pfeift der Schiedsrichter ab, pfeift und pfeift, und seltsam, er pfeift noch immer, der Pfeifton hört gar nicht mehr auf, und er geht langsam über in das Pfeifen meines Teekessels .
Ich muss wohl während einer Sat.1
-ran- Torjubel-Zeitlupen-Studie eingeschlafen sein. Während ich einen neuen Caro-Kaffee in meiner MSV-Duisburg-Tasse zubereite, kündigt Jörg Wontorra das Keller-Duell an: MSV Duisburg gegen Arminia Bielefeld. Es ist das vorletzte Spiel der Saison 1999/2000, und Duisburg braucht unbedingt einen Punkt, um nicht abzusteigen. Seltsam: Nach dem Pfeifkonzert in der Wedau-Bowl bin ich heilfroh, dass der MSV doch nicht so geworden ist wie der FC Bayern oder Borussia Dortmund, so mächtig, so bombastisch - so austauschbar. Für mich muss mein Verein nicht stellvertretend etwas tun, was ich selber nicht kann - zum Beispiel alle Gegner plattmachen. Nach dem Pfeifkonzert freue ich mich umso mehr darüber, dass nur ich und ein paar andere wissen, dass der MSV sowieso schon der weltbeste Verein ist. Hoch gespannt verfolge ich das Abstiegsduell.
Eigentlich träume ich nämlich gar nicht von der Champions League, sondern davon, dass sich in der Bundesliga so ein Gebilde behaupten kann, in dem es auch Platz gibt für Spieler wie Konfuzius Gehrke. Der war mal Torwart beim MSV, kein besonders guter - okay, er war manchmal so grottenschlecht, dass er selbst ganz einfache Bälle, für die er nur kurz den Arm hätte ausstrecken müssen, durchgehen ließ: Ein anderes Mal war der MSV wieder mal kurz vor dem Abstieg, hatte gerade ein wichtiges Spiel vergeigt, und Gehrke wurde gefragt: Na, jetzt sind doch alle bestimmt sehr niedergeschlagen? Und das war seine Antwort: »Ich sage immer: Hoffe nicht, ohne zu zweifeln, und zweifle nicht, ohne zu hoffen.« Seitdem heißt er Konfuzius, ich glaube, die
taz hat ihn so getauft. Einen wie Konfuzius kann man mit Geld nicht bezahlen.
Mit meinem Computer-Favoriten ist es ähnlich: Würde Atari plötzlich mit Microsoft um die Weltherrschaft kämpfen, wäre es nicht mehr Atari; es wäre kein untergegangener Mythos mehr, und mein T-Shirt wäre längst nicht mehr so cool. Der ewige Kampf gegen den Abstieg erscheint mir bedeutsamer als zehnmal hintereinander Deutscher Meister zu werden. Eigentlich wäre es ganz schön, wenn der MSV zumindest in der Nähe der Abstiegszone bleiben würde, um sich dann hin und wieder umso überraschender auf einen Uefa-Cup-Platz vorzurackern oder 3:2 gegen Dortmund zu gewinnen.
Deswegen träume ich auch nicht wirklich davon, mit meiner kleinen Web-Design-Firma demnächst Millionen zu machen, wie es ja sonst alle tun. Ich denke, es ist besser, eher wenig Geld zu haben. So viel, dass man davon leben kann; dass man sich aber für alle Projekte und Ideen immer wieder aufrappeln und überlegen muss: Wo kriege ich jetzt das Geld her? Ich habe im Augenblick so viel Geld, dass ich jeden Tag herumliegen könnte und schöne Dinge tun. Ich will aber lieber morgens aufstehen und mir zwölf Stunden lang am Bildschirm rote Augen holen. Ich will ganz viel arbeiten, um ganz viel zu wissen, ganz viel zu lernen und zu können. Das hält einen wach.
Aufgezeichnet von Jürgen von Rutenberg
Quelle:
http://www.zeit.de/1999/52/199952.traum_geldheft.xml