Wir sind ja alle zunächst mal FUSSBALLfans, und dazu Fans von einem Verein, den man nicht so leicht wechseln kann: da gilt meistens eine lebenslange Bindung, und selbst wenn man nur noch selten oder nie ins Stadion geht, wird man doch immer zuerst am Ergebnis vom MSV (oder wem auch immer) interessiert sein; Beispiel: ein Onkel von mir, der seit 45 Jahren in Berlin (oder Indien, oder Venezuela) gelebt hat, aber in Meiderich geboren ist und seit Jahrzehnten bei keinem Spiel mehr dabei war. Mit dem unterhalte ich mich natürlich über den MSV - wer ist Hertha? (War übrigens selber 15 Jahre in Berlin.)
Wenn wir aber alle Fußballfans sind, spielt auch die allgemeine Entwicklung des Fußballs eine entscheidende Rolle. Und da kann einen so einiges ins Grübeln bringen. Mal ein ganz abwegiger Vergleich: Früher war ich mal ein eifriger Briefmarkensammler. Das war ziemlich spannend, denn so viele neue Marken kamen gar nicht raus, und man konnte öfters mal auf der Post stehen und hören: "Schon ausverkauft, kriegen wir auch nicht mehr." - Dann ging die Jagd mit der Tauscherei los. - Seit Jahren knallt die Post nun dauernd was Neues auf den Markt, natürlich auch noch mit Zuschlägen, wenn man Abonnent ist, kriegt man jede Woche den Briefkasten mit neuen Angeboten, die keiner braucht, zugemüllt. Mit anderen Worten: das macht keinen Spaß mehr. Ist nur noch Geschäft.
Und genauso ist doch die Entwicklung bei unserem "Lieblingssport" gelaufen. Zeitweilig siehst Du jeden Tag in der Woche ein Spiel live im Fernsehen; früher haben wir die ganze Woche auf den Samstag hin gefiebert. Die Spieler kommen von überall her, und wir sollen ihnen immer glauben, dass sie den jeweiligen Verein "im Herzen tragen" oder "ihn leben".
Dabei üben sie (manchmal ziemlich cool) ihren Beruf aus, in dem Vereinswechsel der Normalfall sind. Dann jubeln wir eben jedes Jahr neuen Leuten zu. Also: bei mir hat sich da ein ziemlicher Abstand eingestellt: Leistung überzeugt mich, lieben werde ich keinen von denen, und ein Fan einzelner Spieler bin ich auch nicht. Welche Emotionen haben wir früher (und auch vor gar nicht langer Zeit) einem Ennatz Dietz entgegengebracht?
Das Beispiel ManU zeigt, dass Fans mit der wachsenden Kommerz-Orientierung nicht mehr klarkommen. Unbekannter ist wohl das Schicksal der Wimbledon-Fans, deren Club mal nach Dublin übersiedeln wollte, schließlich aber in der Retortenstadt Milton Keynes landete, wo er jetzt als MK Dons bekannt ist. Die Fans haben sich dem Amateurclub Wimbledon AFC angeschlossen, mit dem sie jetzt in die englischen Profiligen wollen.
Bei MG kommt die allgemeine Entwicklung des Fußballs mit einer völlig unverständlichen "Hire-and-Fire"-Politik und einer unverantwortlichen Geldvernichtung zusammen, die auch von den Fans finanziert wird, auf welcher Ebene auch immer - und es sind nicht nur die Eintrittskarten. Die Fans sind natürlich als Komparsen beim Spektakel gern gesehen, und kommen ja auch in unglaublichen Zahlen, selbst wenn keine Leistung geboten wird und man monatelang völlig enttäuscht nach Hause gehen darf. Auch diese Entwicklung halte ich für ungesund, denn früher hingen die Zuschauerzahlen auch mal vom Erfolg, zumindest aber vom Engagement der Mannschaft ab. Heute geht man zu einem "Event" und lässt sich "unterhalten".
So: nach diesem langen Sermon: ich kann den Mann sogar verstehen. Irgendwann fragt man sich schon, ob man weiter lieben will, wenn man nur noch fürs Geldbezahlen zuständig ist und sich ausgenützt und veralbert fühlt. Nur eins geht nicht: man wechselt nicht zu einem anderen Verein. Aber was sollte bei einem anderen Verein im heutigen Fußball auch besser sein? Da liegt vielleicht der Unterschied zu anderen Liebesbeziehungen
