K
Kees Jaratz
Heute Nacht führte mich die Rückfahrt von Köln nicht nur ins Ruhrgebiet, sondern auch zurück in meine Jugend. Weil bei der Hitze neben den Stellwerken und Weichen auch Menschen verrückt spielen, fuhr der Zug in Düsseldorf nicht weiter. Die Polizei musste kommen, um einen Fahrgast zur Besinnung zu bringen. Irgendwann bot sich der RE3 als früher fahrende, alternative Verbindung an. Wer den RE3 zwischen Düsseldorf und Dortmund kennt, weiß, hier heißt die Klimaanlage Fensteröffnung. Es rattert, rumpelt und schwankt beim Fahren. Es ist laut und die Waggonkupplungen werden mit aufklappbaren Metallplatten verdeckt. Das Abenteuer für Kinder im Fahrpreis inbegriffen. Eine Fahrt mit dem Zug wie sie bis in die 1980er Jahre normal war.
Einen jungen Mann begeisterte dieser Zug so sehr, dass er mich ansprach und mehr über solche Züge und das Reisen mit ihnen wissen wollte. Immer noch überlege ich, warum er ausgerechnet mich ansprach. Nachts im Schummerlicht des Zuges verschwinden doch die Falten.
Sein Interesse hat mich aber mit der Welt versöhnt. Junge Menschen, die der Vergangenheit etwas abgewinnen können und daraus etwas neues in der Gegenwart machen. Junge Menschen, die für sich etwas entdecken, was mir vertraut gewesen ist.
Vielleicht wird das im Fußball auch einmal so sein, die Erinnerung an einen Fußball der Vergangenheit wird genutzt, um etwas anders zu machen als das, was im globalen Fußballmarkt gerade üblich ist. Das kam mir in den Sinn, weil ich am Morgen ein Interview mit Sebastian Kehl in der Süddeutschen Zeitung gelesen hatte. Vor allem bin ich über einen Satz gestolpert: „Unsere Wurzeln werden immer in Deutschland sein, das bleibt auch so.“ Wer diese Wurzeln betonen muss, hat schon über Szenarien eines Fußballs der Zukunft nachgedacht und gesprochen, die mit der für Fans erzählten Wirklichkeit dieses Sports nichts gemein haben.
Süddeutsche Zeitung, 1. Juli 2025
In diesem einen Satz von Sebastian Kehl steckt der Fußball der Gegenwart. Das ist ein Satz, den auch ein mittelständischer Schraubenhersteller in Baden-Württemberg spricht, der eine Fabrik in Asien baut. Ich höre aber auch irgendeinen hochbezahlten Manager eines Dax-Unternehmens. Neben den Wurzeln könnte auch das „Kerngeschäft“ mal Thema werden. Das werde Wettbewerbsfußball nämlich immer sein, aber beim Reisen hätten sie ja auch viel Erfahrung, und der Tourismus sei ein interessanter Markt, den sie in Zukunft weiter ausbauen würden. Vielleicht wird die deutsche Unterhaltungsindustrie im Segment Fußball erfolgreicher sein als die deutsche Autoindustrie, aber dieser Spagat zwischen dem Warencharakter und der Fußballromantik führt in immer größere Widersprüche. Immer mehr Anstrengungen müssen unternommen werden, um sie im Land der BVB-Wurzeln mit emotionaler PR zu übertünchen. Erfolg hilft übrigens auch enorm.
Gibt es ein Leben in diesem Falschen für uns und den MSV? Die eindeutige Antwort heißt bis auf weiteres ja. Das ist auch mein ganz persönlicher innerer Widerspruch: Ich möchte, dass der MSV erfolgreich ist, und das gelingt nur mit Methoden und Instrumenten dieser Unterhaltungsindustrie. Mal schauen, wie sich das entwickelt. Derweil kann ich mich über die Heuchelei der Branche amüsieren. Der Mönchengladbacher Florian Neuhaus gibt ihr nun die Gelegenheit, sich moralisch gut zu fühlen. Was der Spieler sagte, wird vereinsinterne Folgen haben. Wenn in einem Clip mit ihm über den Gladbacher Sport-Geschäftsführer Roland Virkus abwertend gesprochen wird, gefällt das dem Fußballunternehmen natürlich nicht. Florian Neuhaus hat allerdings nur die Form nicht gewahrt, denn nach den Maximen der Unterhaltungsindustrie hat er alles richtig gemacht und sorgte wie Sebastian Kehl für möglichst hohe Einnahmen. Wahrscheinlich hat er sorgen lassen. Sein Triumphgesang vom Vertrag mit „eins, zwei, drei, vier Millionen“ klingt nicht sehr sympathisch, aber er besingt das Grundgesetz des Marktes. Maximiere den Ertrag deiner Geschäfte und ziehe weiter, wenn irgendwo mehr Geld geboten wird. Wer das nicht macht, braucht gute Gründe. Die angenehme Atmosphäre beim MSV etwa.
Auch der VfB Stuttgart in guter Verhandlungsposition möchte so viel Geld für Nick Woltemade, wie man es sich nicht vorstellen kann für diesen Spieler. Max Eberl findet die Summe absurd. Aber sonst hören wir doch seit Jahren, der Markt regelt so was. Angebot und Nachfrage, und wenn es einmal perfekt funktioniert, finden die Bayern dieses marktwirtschaftliche Gesetz fies. Der Markt ist aber das Zusammenspiel von einzelnen, ungehemmt agierenden Menschen. Welche anderen Werte als das Geld dann eine Rolle spielen, wird nicht gleich ersichtlich. Der Markt bringt also solches Handeln wie von Florian Neuhaus, dem VfB Stuttgart und der Bayern sowie des BVBs hervor. In Duisburg sind wir von all dem noch verschont, weil es beim MSV noch niemanden gibt, der dem Beuteschema dieser Upper-Fußballwelt entspricht. Doch wenn wir auf den Erfolg hoffen, hoffen wir zugleich, dass das mal anders wird. Denn wir leben in einer Fußball-Wirklichkeit, die denselben Regeln folgt.
Wer in Duisburg über Kultur spricht, hört manchmal, in der Stadt sei doch nichts los. Das stimmt natürlich nicht. Allein in Duisburg nördlich der Ruhr gibt es selbst in den Monaten der Sommerferien ein umfangreiches Angebot. Im Newsletter EreignisReich sind diese Kulturtermine gesammelt. Mehr Sichtbarkeit für die Kulturveranstaltungen in Duisburg nördlich der Ruhr ist unser Anliegen mit dem ehrenamtlich erstellten Newsletter. Abonniert, teilt den Newsletter und vernetzen wir uns. Der Norden lebt.

Dieser lebendige Duisburger Norden wird neben meiner schriftstellerische Arbeit morgen in meinem Seite-1-Podcast-Gespräch im Bora ab 19 Uhr sicher auch Thema sein.

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Einen jungen Mann begeisterte dieser Zug so sehr, dass er mich ansprach und mehr über solche Züge und das Reisen mit ihnen wissen wollte. Immer noch überlege ich, warum er ausgerechnet mich ansprach. Nachts im Schummerlicht des Zuges verschwinden doch die Falten.
Sein Interesse hat mich aber mit der Welt versöhnt. Junge Menschen, die der Vergangenheit etwas abgewinnen können und daraus etwas neues in der Gegenwart machen. Junge Menschen, die für sich etwas entdecken, was mir vertraut gewesen ist.
Vielleicht wird das im Fußball auch einmal so sein, die Erinnerung an einen Fußball der Vergangenheit wird genutzt, um etwas anders zu machen als das, was im globalen Fußballmarkt gerade üblich ist. Das kam mir in den Sinn, weil ich am Morgen ein Interview mit Sebastian Kehl in der Süddeutschen Zeitung gelesen hatte. Vor allem bin ich über einen Satz gestolpert: „Unsere Wurzeln werden immer in Deutschland sein, das bleibt auch so.“ Wer diese Wurzeln betonen muss, hat schon über Szenarien eines Fußballs der Zukunft nachgedacht und gesprochen, die mit der für Fans erzählten Wirklichkeit dieses Sports nichts gemein haben.

Süddeutsche Zeitung, 1. Juli 2025
In diesem einen Satz von Sebastian Kehl steckt der Fußball der Gegenwart. Das ist ein Satz, den auch ein mittelständischer Schraubenhersteller in Baden-Württemberg spricht, der eine Fabrik in Asien baut. Ich höre aber auch irgendeinen hochbezahlten Manager eines Dax-Unternehmens. Neben den Wurzeln könnte auch das „Kerngeschäft“ mal Thema werden. Das werde Wettbewerbsfußball nämlich immer sein, aber beim Reisen hätten sie ja auch viel Erfahrung, und der Tourismus sei ein interessanter Markt, den sie in Zukunft weiter ausbauen würden. Vielleicht wird die deutsche Unterhaltungsindustrie im Segment Fußball erfolgreicher sein als die deutsche Autoindustrie, aber dieser Spagat zwischen dem Warencharakter und der Fußballromantik führt in immer größere Widersprüche. Immer mehr Anstrengungen müssen unternommen werden, um sie im Land der BVB-Wurzeln mit emotionaler PR zu übertünchen. Erfolg hilft übrigens auch enorm.
Gibt es ein Leben in diesem Falschen für uns und den MSV? Die eindeutige Antwort heißt bis auf weiteres ja. Das ist auch mein ganz persönlicher innerer Widerspruch: Ich möchte, dass der MSV erfolgreich ist, und das gelingt nur mit Methoden und Instrumenten dieser Unterhaltungsindustrie. Mal schauen, wie sich das entwickelt. Derweil kann ich mich über die Heuchelei der Branche amüsieren. Der Mönchengladbacher Florian Neuhaus gibt ihr nun die Gelegenheit, sich moralisch gut zu fühlen. Was der Spieler sagte, wird vereinsinterne Folgen haben. Wenn in einem Clip mit ihm über den Gladbacher Sport-Geschäftsführer Roland Virkus abwertend gesprochen wird, gefällt das dem Fußballunternehmen natürlich nicht. Florian Neuhaus hat allerdings nur die Form nicht gewahrt, denn nach den Maximen der Unterhaltungsindustrie hat er alles richtig gemacht und sorgte wie Sebastian Kehl für möglichst hohe Einnahmen. Wahrscheinlich hat er sorgen lassen. Sein Triumphgesang vom Vertrag mit „eins, zwei, drei, vier Millionen“ klingt nicht sehr sympathisch, aber er besingt das Grundgesetz des Marktes. Maximiere den Ertrag deiner Geschäfte und ziehe weiter, wenn irgendwo mehr Geld geboten wird. Wer das nicht macht, braucht gute Gründe. Die angenehme Atmosphäre beim MSV etwa.
Auch der VfB Stuttgart in guter Verhandlungsposition möchte so viel Geld für Nick Woltemade, wie man es sich nicht vorstellen kann für diesen Spieler. Max Eberl findet die Summe absurd. Aber sonst hören wir doch seit Jahren, der Markt regelt so was. Angebot und Nachfrage, und wenn es einmal perfekt funktioniert, finden die Bayern dieses marktwirtschaftliche Gesetz fies. Der Markt ist aber das Zusammenspiel von einzelnen, ungehemmt agierenden Menschen. Welche anderen Werte als das Geld dann eine Rolle spielen, wird nicht gleich ersichtlich. Der Markt bringt also solches Handeln wie von Florian Neuhaus, dem VfB Stuttgart und der Bayern sowie des BVBs hervor. In Duisburg sind wir von all dem noch verschont, weil es beim MSV noch niemanden gibt, der dem Beuteschema dieser Upper-Fußballwelt entspricht. Doch wenn wir auf den Erfolg hoffen, hoffen wir zugleich, dass das mal anders wird. Denn wir leben in einer Fußball-Wirklichkeit, die denselben Regeln folgt.
Wer in Duisburg über Kultur spricht, hört manchmal, in der Stadt sei doch nichts los. Das stimmt natürlich nicht. Allein in Duisburg nördlich der Ruhr gibt es selbst in den Monaten der Sommerferien ein umfangreiches Angebot. Im Newsletter EreignisReich sind diese Kulturtermine gesammelt. Mehr Sichtbarkeit für die Kulturveranstaltungen in Duisburg nördlich der Ruhr ist unser Anliegen mit dem ehrenamtlich erstellten Newsletter. Abonniert, teilt den Newsletter und vernetzen wir uns. Der Norden lebt.

Dieser lebendige Duisburger Norden wird neben meiner schriftstellerische Arbeit morgen in meinem Seite-1-Podcast-Gespräch im Bora ab 19 Uhr sicher auch Thema sein.

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