Ob uns am Ende wirklich wieder die Luft fehlte?
@Schimanski übernehmen sie bitte. Ich meine eher: Nein.
Ich traue mir da ohne konkrete Daten kein Urteil zu. Nur so viel: Selbst eine Oberligamannschaft läuft fast so viel wie eine Profimannschaft, obwohl sie unter Amateurbedingungen trainiert:
http://www.spiegel.de/sport/fussbal...alyse-vermessen-wie-die-profis-a-1208574.html
Nichts ist leichter zu trainieren als Fitness, gerade wenn man die Möglichkeiten einer Profimannschaft hat (also viel Trainingszeit und Expertise). Ich denke nicht, dass man durch die Trainingsgestaltung im Fitnessbereich einen Wettbewerbsvorteil erreichen oder Spiele entscheiden kann.
Aber ich muss zugeben, dass ich gestern auch den Eindruck hatte, dass das Spiel sehr kraftzehrend war und am Ende einige Spieler ans Limit gerieten. Das aber schon irgendwie auf beiden Seiten. Und das wohl auch, weil es für beide Teams das dritte Spiel in sieben Tagen war. Irgendwann sind halt die körperlichen Grenzen erreicht. Das ist aber nicht dem Training geschuldet.
Der entscheidene Punkt für diesen Abnutzungskampf und dem ständigen Auf und Ab war aber die Paderborner Spielweise und das wir das Spiel mitgemacht haben. Paderborn - und in dieser Hinsicht habe ich höchsten Respekt vor "Rasierklingen-unter-den-Armen"-Baumgart - tritt ja gar nicht wie ein typischer Aufsteiger auf. Sie machen zwei Dinge, die eigentlich eher typisch für Mannschaften sind, die für sich in Anspruch nehmen, Chef auf dem Platz zu sein: Hoch anlaufen und Drucksituationen spielerisch per Flachpass lösen. Das haben sie selbst letzte Saison als Drittligist gegen Bayern im Pokal so durchgezogen. Und die Mannschaft hat deswegen in der Ära Baumgart eine beeindruckende Sicherheit in dieser Spielweise erlangt. Paderborn hat mit Kiel (die ja ähnlich "wahnsinnig" spielen) und Bochum den höchsten Ballbesitzanteil und die beste Passquote in der 2.Liga (die "Erstligisten" HSV und Köln mal ausgenommen). So viel übrigens zum Thema, man kann als Underdog nicht auf Ballbesitz spielen und Ballbesitz sei "out".
Wichtig ist, dass man sich die Wechselwirkungen mit unserem Spiel vor Augen hält. Das hohe Anlaufen von Paderborn hat oft dazu geführt, dass wir lange Bälle im Spielaufbau geschlagen haben. In der Anfangsphase sah es so aus, als wenn man darauf gut vorbereitet war und man das hohe Anlaufen für den eigenen Vorteil nutzen wollte, also den Gegner auf eine Seite locken und dann diagonal hoch verlagern,um die freien Räume am anderen Ende des Spielfeldes zu bespielen.
Auch das flache Rausspielen der Paderborner wurde von uns bewusst für die eigene Spielidee benutzt. Im Gegensatz zum Spiel in Bochum lief der MSV oft hoch an, stresste den Gegner und erzwang so auch einige Ballverluste, aus denen auch - eigentlich fast alle - unsere Chancen entstanden. Um diese Ballgewinne effektiv im Umschaltmoment zu nutzen, standen neben Verhoek auch Engin, Souza, Nielsen in vielen Phasen des Spiels eher hoch und "zockten" auf das schnelle Spiel in die Tiefe (was ja auch oft funktioniert hat).
Alle diese genannten Aspekte haben dazu geführt, dass die Formationen beider Teams selten kompakt und meist gestreckt waren. Das wiederum hatte zur Folge, dass es viele Räume zum Tempoaufnehmen gab und dass man selten ins Doppeln und/oder gegenseitige Absichern kam. Es gab so viele 1:1-Duelle auf dem Platz und da haben wir dann in der Summe die entscheidenen Duelle einfach verloren (beim 1:1 Engin/Wiegel, beim 1:2 Seo).
Und damit lässt sich auch diese Frage beantworten...
Um zu meinem Eingangssatz zurückzukommen: Jetzt bin ich nur noch sauer auf Wiegel, weil er jeden Spieler erst mal in den Strafraum rennen lässt, bevor er ihn angeht. Vielleicht kann ja einer unserer Taktikexperten dazu was sagen (
@Schimanski ), ob es irgendeinen Sinn haben kann, so zu agieren. Beim Gegentor macht es Seo ähnlich.
In beiden Fällen gab es wenig Kompaktheit und Absicherung. Wenn die beiden in den Zweikampf gehen und ihn verlieren, öffnen sie einen großen Raum in ihrem Rücken. Deswegen ist es individualtaktisch schon richtig, wenn sie den Gegner stellen, den Weg zum Tor verstellen und versuchen das Tempo aus dem Angriff zu bekommen. Damit soll erreicht werden, dass die Mitspieler nachrücken und das Spielfeld verengen. Das hat in beiden Fällen so semigut geklappt, was aber auch daran lag, dass das Tempoaufnehmen der Gegenspieler durch die oben geschilderten mannschaftstaktischen Zusammenhänge leichter als gewöhnlich war. Für mich also eine Mischung aus individueller Unterlegenheit (physisch/technisch, nicht taktisch) und der Spielcharakteristik.
Für mich war das Spiel gestern deswegen auch nicht so wirklich enttäuschend. Paderborn war einfach ne Nummer zu gut. Wir haben versucht mitzuspielen und das hat ja auch eine Zeit lang ganz gut geklappt (deswegen kein Vorwurf an diese Taktik). Aber eigentlich steht Lieberknecht jetzt genau da, wo Gruev am Anfang der Saison stand (wenn auch mit einem etwas anderen Spielweise). Wenn wir vorne Präsenz und Abschlüsse erzeugen wollen, stehen wir hinten oft zu luftig. Die meisten Punkte haben wir diese Saison gesammelt als nach vorne fast gar nix ging, man hinten aber auch nichts zugelassen hat (so wie im Ligaspiel gegen Paderborn). Lieberknechts Taktik war wohl, nach seinem Amtsantritt über diese Erfolge wieder Sicherheit und Selbstvertrauen zu erlangen und dann peau à peau wieder mehr Druck nach vorne zu erzeugen. Am Ende des Tages sind wir individuell hinten aber wohl einfach zu schwach, um zu offensiv zu spielen...
P.S. Ich habe mich gestern eigentlich ganz gut unterhalten gefühlt. Paderborn- und Kiel-Spiele kann man sich einfach gut anschauen, weil beide Teams halt riskanten Fussball spielen wollen und sich nicht dem Credo der defensiven Stabilität unterordnen. In dieser Hinsicht finde ich das Echo hier auch zu negativ. Der MSV hat doch gestern geil mitgezockt und sich bis zum 1:3 einen tollen Fight mit offenem Visier geliefert.