Dass man das im 21. Jahrhundert überhaupt noch thematisieren muss, ist doch schon ein Armutszeugnis.
Leider ist die Thematisierung absolut notwendig, wie der Umgang mit der "Aktion" in Hamburg zeigt. Inzwischen ist eine schriftliche Distanzierung seitens des HSVs erfolgt, natürlich erst, nachdem ein entsprechendes Medienecho entstanden war. Die Diskussion auf diversen Online-Plattformen spiegelt in etwa das wieder, was sich innerhalb dieses Threads darstellt:
Viele, die klare Worte finden und das Spruchband ablehnen, einige, die meinen, man solle die Kirche im Dorf lassen und das Ganze als legitime Aussage im Rahmen eines Stadionbesuchs auffassen bzw. durchgehen lassen ("das muss doch noch erlaubt sein", "haben wir in Deutschland keine anderen Probleme?") und (glücklicherweise nur) wenige, die offen hochgradig homophobe Thesen á la "Schwul sein ist unnatürlich / eine Krankheit" (wissenschaftlich ist das übrigens nachweislich bodenloser Unsinn, weshalb ich es auch nicht fassen kann, dass sich hier einige mit "Meinungsfreiheit" zu verteidigen versuchen) rausballern.
Das alles bekommt der schwule Fußballprofi mit, der grade auf dem Platz steht. Der ein oder andere mag darüber stehen, je nach persönlicher Reife und Ausprägung des Selbstbewusstseins. Und trotzdem habe ich Verständnis, wenn Betroffene einer solchen Aktion emotional getroffen werden und die sexuelle Orientierung im Zweifel weiter verheimlicht wird, was einen Rattenschwanz nach sich ziehen kann (Bruch der Beziehung, weil Partner Situation nicht länger aushält usw.).
Oder:
Man stelle sich den 15-jährigen Lukas vor, der grade dabei ist so richtig zu merken, dass er Jungs toller findet als Mädchen und darüber nachdenkt, es dem Papa "zu beichten". Vielleicht wird er schon von Klassenkameraden mit ähnlich gehobenem Niveauquotienten wie dem der Spruchbandersteller ob seiner "andersartigen" sexuellen Orientierung täglich gehänselt und ausgegrenzt. Jetzt steht Lukas neben seinem Vater auf der Tribüne im Stadion, liest dieses Spruchband, steht vielleicht sogar direkt daneben und erlebt keine nennenswerte Reaktion. Weder aus dem Publikum, noch von Spielern, Verein oder Schiedsrichtern. Wie muss sich das anfühlen? Wird er es seinem Vater nun doch weiter verheimlichen, dass er auf Jungen steht, weil er Angst vor seiner Reaktion hat? Was kann das für tiefgreifende psychische Folgen haben? Der ein oder andere hier sollte diese Fragen wirklich mal ehrlich für sich beantworten und sich in die Lage von Lukas versetzen. Oder falls Väter unter euch sind, stellt euch vor, Lukas wäre euer Sohn.
Und an alle, die keine Politik und Regenbogenfarben im Stadion sehen und hören wollen: Der Fußball ist genau der richtige Ort dafür. Denn wenn es gelingt, Fußballstadien zu homophobie- und rassismusfreien Zonen zu machen, dann sehe ich gute Chancen, dass dieses tatsächlich krankhafte Gedankengut auch aus der restlichen Gesellschaft verschwindet.