Daniel
Bezirksliga
Woran wir uns gewöhnt haben
FUSSBALL. Radioreporter Manni Breuckmann über die Gleichgültigkeit, mit der frühere Tabubrüche hingenommen werden.Mein schönstes Karnevalserlebnis dieses Jahr hatte ich ausgerechnet im schönen Ruhrgebiet. Dort, an der Essener Hafenstraße, schenkte RWE den großmäuligen Kölnern am Karnevalssonntag fünf Dinger ein, was im Revier Rio-ähnliche Zustände hervorrief. Während ich so dasaß und staunte, telefonierte hinter mir einer aus der Führungsriege der Rot-Weißen offensichtlich mit einem RWE-Werbepartner. Und der hatte angesichts der Sensation, des Unbegreiflichen, nichts Besseres zu tun, als sich zu beschweren: Seine schöne Werbebande sei durch eine große FC-Fahne verdeckt. Sieht ******* aus. Ein Skandal!
Selbst an den Kindern wird verdient
Tja, so isser, unser moderner Fußball. Aber es gibt noch üblere Geschichten, zum Beispiel jene haarsträubende aus der Premier League: Die lieben Kleinen, die dort an der Hand der Fußballstars auf den Rasen marschieren, mit Onkel Ballack und Vetter Wayne, müssen - in Gestalt ihrer Eltern - britische Pfund für die große Ehre abdrücken, bis zu 1500 pro Kind. Alles Petitessen? Skurrile Auswüchse, kleine hässliche Pflanzen am Rande des schönen Fußball-Biotops? Nicht zu vergleichen mit den vielen bunten Blumen und Glitzerdingen im Profi-Business des dritten Jahrtausends? * Aber - Vorsicht: Nostalgiefalle! - neu ist die Sache mit dem Kommerz und dem den Charakter versauenden Geld nun wirklich nicht. Die Zeiten, in denen elf freundschaftlich miteinander verbundene Männer dem Ball hinterher traben, gibt es nicht mal mehr beim VfL Bochum oder beim SC Freiburg. Ja, früher! Da gingen sie alle noch zusammen in die Stadionkneipe, bei Siegen gab´s Filetsteak und bei Niederlagen Königsberger Klopse, die Meisterschaft wurde mit einer hübschen Uhr belohnt, und nach der Karriere lockte eine ertragreiche Tankstelle.
Vor Scham im Kanal ertränkt
All das war Teil des Fußballer-Lebens, auch in den oberen Spielklassen. Doch es gab eben auch die andere, von der Geldgier gesteuerte Realität: Schon 1930 wurden 14 Spieler des FC
04 zu Berufsspielern erklärt, weil sie verbotener Weise Spesen, Prämien und Geschenke angenommen hatten. Der Finanzobmann der Schalker, der die illegalen Zahlungen zu vertuschen versucht hatte, ertränkte sich aus Scham im Rhein-Herne-Kanal. Vor 77 Jahren ging einer ins Wasser, weil er die Schande nicht ertragen konnte, heute sitzen die schlimmsten Finanzakrobaten in den schönsten Ehrenlogen. Es hat sie alle schon immer zum Gelde gedrängt, zur "Marie". wie einer der größten Marie-Verehrer, die österreichische Läster-Gosche Max Merkel, die Taler nannte.
Die Fans wurden übrigens schon immer verarscht, zum Beispiel von Willi Schulz, dem eisenharten Schalker Stopper. Den drängte es zwecks Mehrung seines Vermögens (oder war es die "bessere sportliche Perspektive"?) vom Schalker Markt zum HSV. Die
-Fans bestraften diesen Verrat, indem sie die Kneipe von Willi Schulz auf
boykottierten und ihr Bier demonstrativ am Kiosk gegenüber tranken. Willi Schulz stand hinter den Gardinen seines Ladens und lachte sich schlapp, denn der Kiosk gehörte ihm auch!
* Die Bundesliga wirkt angesichts der Big-Deals in Spanien, England und Italien wie das kleine Mädchen, das auf plötzlich niedergehende Sterntaler hofft. Amerikanische Milliardäre und größenwahnsinnige Politiker wie Berlusconi machen einen großen Bogen um das sympathische Land zwischen Rosenheim und Flensburg. Und wenn im schwarz-gelben Westfalen mal ein Verein an die Börse geht, dann endet dieses Abenteuer im Desaster. Selbst die Schalker Gazprom-Millionen sind vielleicht Anlass für moralische Diskussionen, die Dimensionen des Geldflusses aber nicht geeignet, Berlusconi und Abramowitsch schlaflose Nächte zu bereiten. In Deutschland wird nicht um ein Goldenes Kalb, sondern - im internationalen Vergleich - um ein niedliches kleines Kälbchen getanzt.
Für den, der unter dem Auto liegt und schraubt, sind in der Bundesliga zwar immer noch bizarre Summen im Spiel, darauf allein zielt die Kritik jedoch nicht. Vielmehr scheint es, als laufe der breit angelegte Versuch einer fundamentalen Veränderung, der dem Fußball seine Seele rauben kann. Der professionelle Fußballsport ist Opfer der Ökonomisierung aller Lebensbereiche geworden. Er wurde von den Vermarktungsstrategen zu einem Produkt erklärt, das verkauft wird. Kein kulturelles Ereignis mehr, dem sich der Fan mit Leidenschaft und Hingabe verschreibt, sondern ein Verkaufsobjekt wie Autos, Müsli-Riegel oder Bier. Und das hat Konsequenzen.
Wie bei einer Verkaufsshow für Rheumadecken
Wer den Fußball verkauft wie ein Autohändler seine neuen Modelle, der benimmt sich auch so: indem er es zum Beispiel nicht duldet, dass sein Produkt schlecht geredet wird; Selbstkritik ist nicht vorgesehen, die Bundesliga und die Nationalmannschaft sind hochklassig, modern, spannend, komfortabel - sie sind einfach super. Es ist das Zeitalter der Schönredner, viele Trainer sind nicht mehr in der Lage, ein schlechtes Spiel ihrer Mannschaft auch schlecht zu nennen.Der Lärm-Terrorismus in den Stadien vor den Spielen erinnert auch mehr an eine Rheumadecken-Verkaufs-Show als an ein Fußballspiel. Da wird eine naive, kommerz-orientierte Harmlosigkeit gefordert und gefördert, die sich als positives Denken im Gegensatz zur so genannten Miesmacherei tarnt ("Warum müssen die Deutschen nur alles so negativ sehen?"); die Fans sind nicht mehr als anfeuernde und manchmal auch kritisierende Fachleute gefragt, sondern als fröhliche Rasselbande, die putzmunter Lärm und schöne Choreografien produziert und fleißig Fanartikel kauft. Sperrige, störrische Fußballanhänger sind in dieser schönen, bunten Welt der Fanklubs powered by Coca Cola oder Warsteiner oder Easy Credit oder sonst einem Gedöns nicht vorgesehen.
Unerwünschte Störfaktoren können auch böse, kritische Journalisten sein: Schon die ganz normale Grundform jeder journalistischen Tätigkeit, beobachten, beschreiben und bewerten, wird von Vereins- oder Verbandsfunktionären als Nestbeschmutzung und Verrat am tollen Produkt Bundesliga diffamiert. Ich habe es selber in diversen Gesprächen erfahren müssen: Viele, auch durchaus intelligente Hauptdarsteller im Fußball-Theater, wissen nichts über das Selbstverständnis von Journalisten.
Alle in einem Boot statt kritischer Distanz
Kritische Distanz zum Objekt der Berichterstattung? Im Fußball nicht vorgesehen. Alle sitzen in einem Boot und reden, schreiben oder schreien sich die Begeisterung aus dem Leib. Es ist halt ein schillernder Berufsstand: Kollegen, die bewusst Hofberichterstattung, Vereinspolitik oder Interessenvertretung betreiben, gibt´s auch zuhauf, da wird das Argumentieren nicht leichter. * Wer glaubt, die Entwicklung sei noch aufzuhalten, der irrt. Selbstverständlich ist der ganze Kommerzunfug ein einziger großer Sachzwang, selbstverständlich ginge unser Fußball ohne Werbung und Sponsoring bis zur Schmerzgrenze vor die Hunde. Die Entwicklung zurückdrehen? Das geht nur mit Macht, und die basiert auf Geld. Beides fehlt den Fans, die befürchten, dass der Fußball seine Bodenhaftung und die Wurzeln verliert. Über Fanproteste lachen die Bosse, Fans sollen Stimmung machen und ansonsten die Schnauze halten.
Bleibt also nur Resignation angesichts einer nicht aufzuhaltenden Lawine? Beileibe nicht, denn eines kriegen sie nicht kaputt, und das ist das Unberechenbare, manchmal Anarchische, das im Fußballspiel steckt. Außerdem: Es gibt immer noch genug Möglichkeiten, besonders schlimme Auswüchse anzuprangern, kritische Öffentlichkeit herzustellen und Fankultur zu pflegen, wo sie in ihrer ursprünglichen Form existiert: mit Leidenschaft und Identifikation, aber nicht mit naiver Gefolgschaft. Und wer mich als erster mit Anzug und Krawatte im Stadion sieht, der hat - ich schwör´s! - Anspruch auf eine Lokalrunde.
01.06.2007 http://www.nrz.de/nrz/nrz.sport.vol...Sport®ion=National&auftritt=NRZ&dbserver=1
Eine wie ich finde gute und kritische Kolumne.

FUSSBALL. Radioreporter Manni Breuckmann über die Gleichgültigkeit, mit der frühere Tabubrüche hingenommen werden.Mein schönstes Karnevalserlebnis dieses Jahr hatte ich ausgerechnet im schönen Ruhrgebiet. Dort, an der Essener Hafenstraße, schenkte RWE den großmäuligen Kölnern am Karnevalssonntag fünf Dinger ein, was im Revier Rio-ähnliche Zustände hervorrief. Während ich so dasaß und staunte, telefonierte hinter mir einer aus der Führungsriege der Rot-Weißen offensichtlich mit einem RWE-Werbepartner. Und der hatte angesichts der Sensation, des Unbegreiflichen, nichts Besseres zu tun, als sich zu beschweren: Seine schöne Werbebande sei durch eine große FC-Fahne verdeckt. Sieht ******* aus. Ein Skandal!
Selbst an den Kindern wird verdient
Tja, so isser, unser moderner Fußball. Aber es gibt noch üblere Geschichten, zum Beispiel jene haarsträubende aus der Premier League: Die lieben Kleinen, die dort an der Hand der Fußballstars auf den Rasen marschieren, mit Onkel Ballack und Vetter Wayne, müssen - in Gestalt ihrer Eltern - britische Pfund für die große Ehre abdrücken, bis zu 1500 pro Kind. Alles Petitessen? Skurrile Auswüchse, kleine hässliche Pflanzen am Rande des schönen Fußball-Biotops? Nicht zu vergleichen mit den vielen bunten Blumen und Glitzerdingen im Profi-Business des dritten Jahrtausends? * Aber - Vorsicht: Nostalgiefalle! - neu ist die Sache mit dem Kommerz und dem den Charakter versauenden Geld nun wirklich nicht. Die Zeiten, in denen elf freundschaftlich miteinander verbundene Männer dem Ball hinterher traben, gibt es nicht mal mehr beim VfL Bochum oder beim SC Freiburg. Ja, früher! Da gingen sie alle noch zusammen in die Stadionkneipe, bei Siegen gab´s Filetsteak und bei Niederlagen Königsberger Klopse, die Meisterschaft wurde mit einer hübschen Uhr belohnt, und nach der Karriere lockte eine ertragreiche Tankstelle.
Vor Scham im Kanal ertränkt
All das war Teil des Fußballer-Lebens, auch in den oberen Spielklassen. Doch es gab eben auch die andere, von der Geldgier gesteuerte Realität: Schon 1930 wurden 14 Spieler des FC

Die Fans wurden übrigens schon immer verarscht, zum Beispiel von Willi Schulz, dem eisenharten Schalker Stopper. Den drängte es zwecks Mehrung seines Vermögens (oder war es die "bessere sportliche Perspektive"?) vom Schalker Markt zum HSV. Die


* Die Bundesliga wirkt angesichts der Big-Deals in Spanien, England und Italien wie das kleine Mädchen, das auf plötzlich niedergehende Sterntaler hofft. Amerikanische Milliardäre und größenwahnsinnige Politiker wie Berlusconi machen einen großen Bogen um das sympathische Land zwischen Rosenheim und Flensburg. Und wenn im schwarz-gelben Westfalen mal ein Verein an die Börse geht, dann endet dieses Abenteuer im Desaster. Selbst die Schalker Gazprom-Millionen sind vielleicht Anlass für moralische Diskussionen, die Dimensionen des Geldflusses aber nicht geeignet, Berlusconi und Abramowitsch schlaflose Nächte zu bereiten. In Deutschland wird nicht um ein Goldenes Kalb, sondern - im internationalen Vergleich - um ein niedliches kleines Kälbchen getanzt.
Für den, der unter dem Auto liegt und schraubt, sind in der Bundesliga zwar immer noch bizarre Summen im Spiel, darauf allein zielt die Kritik jedoch nicht. Vielmehr scheint es, als laufe der breit angelegte Versuch einer fundamentalen Veränderung, der dem Fußball seine Seele rauben kann. Der professionelle Fußballsport ist Opfer der Ökonomisierung aller Lebensbereiche geworden. Er wurde von den Vermarktungsstrategen zu einem Produkt erklärt, das verkauft wird. Kein kulturelles Ereignis mehr, dem sich der Fan mit Leidenschaft und Hingabe verschreibt, sondern ein Verkaufsobjekt wie Autos, Müsli-Riegel oder Bier. Und das hat Konsequenzen.
Wie bei einer Verkaufsshow für Rheumadecken
Wer den Fußball verkauft wie ein Autohändler seine neuen Modelle, der benimmt sich auch so: indem er es zum Beispiel nicht duldet, dass sein Produkt schlecht geredet wird; Selbstkritik ist nicht vorgesehen, die Bundesliga und die Nationalmannschaft sind hochklassig, modern, spannend, komfortabel - sie sind einfach super. Es ist das Zeitalter der Schönredner, viele Trainer sind nicht mehr in der Lage, ein schlechtes Spiel ihrer Mannschaft auch schlecht zu nennen.Der Lärm-Terrorismus in den Stadien vor den Spielen erinnert auch mehr an eine Rheumadecken-Verkaufs-Show als an ein Fußballspiel. Da wird eine naive, kommerz-orientierte Harmlosigkeit gefordert und gefördert, die sich als positives Denken im Gegensatz zur so genannten Miesmacherei tarnt ("Warum müssen die Deutschen nur alles so negativ sehen?"); die Fans sind nicht mehr als anfeuernde und manchmal auch kritisierende Fachleute gefragt, sondern als fröhliche Rasselbande, die putzmunter Lärm und schöne Choreografien produziert und fleißig Fanartikel kauft. Sperrige, störrische Fußballanhänger sind in dieser schönen, bunten Welt der Fanklubs powered by Coca Cola oder Warsteiner oder Easy Credit oder sonst einem Gedöns nicht vorgesehen.
Unerwünschte Störfaktoren können auch böse, kritische Journalisten sein: Schon die ganz normale Grundform jeder journalistischen Tätigkeit, beobachten, beschreiben und bewerten, wird von Vereins- oder Verbandsfunktionären als Nestbeschmutzung und Verrat am tollen Produkt Bundesliga diffamiert. Ich habe es selber in diversen Gesprächen erfahren müssen: Viele, auch durchaus intelligente Hauptdarsteller im Fußball-Theater, wissen nichts über das Selbstverständnis von Journalisten.
Alle in einem Boot statt kritischer Distanz
Kritische Distanz zum Objekt der Berichterstattung? Im Fußball nicht vorgesehen. Alle sitzen in einem Boot und reden, schreiben oder schreien sich die Begeisterung aus dem Leib. Es ist halt ein schillernder Berufsstand: Kollegen, die bewusst Hofberichterstattung, Vereinspolitik oder Interessenvertretung betreiben, gibt´s auch zuhauf, da wird das Argumentieren nicht leichter. * Wer glaubt, die Entwicklung sei noch aufzuhalten, der irrt. Selbstverständlich ist der ganze Kommerzunfug ein einziger großer Sachzwang, selbstverständlich ginge unser Fußball ohne Werbung und Sponsoring bis zur Schmerzgrenze vor die Hunde. Die Entwicklung zurückdrehen? Das geht nur mit Macht, und die basiert auf Geld. Beides fehlt den Fans, die befürchten, dass der Fußball seine Bodenhaftung und die Wurzeln verliert. Über Fanproteste lachen die Bosse, Fans sollen Stimmung machen und ansonsten die Schnauze halten.
Bleibt also nur Resignation angesichts einer nicht aufzuhaltenden Lawine? Beileibe nicht, denn eines kriegen sie nicht kaputt, und das ist das Unberechenbare, manchmal Anarchische, das im Fußballspiel steckt. Außerdem: Es gibt immer noch genug Möglichkeiten, besonders schlimme Auswüchse anzuprangern, kritische Öffentlichkeit herzustellen und Fankultur zu pflegen, wo sie in ihrer ursprünglichen Form existiert: mit Leidenschaft und Identifikation, aber nicht mit naiver Gefolgschaft. Und wer mich als erster mit Anzug und Krawatte im Stadion sieht, der hat - ich schwör´s! - Anspruch auf eine Lokalrunde.

Eine wie ich finde gute und kritische Kolumne.