ANALYSE
Die Tour im Ziel
Groteske Reise durch Frankreich
Zuletzt gab es nun doch noch einen Sieger bei dieser Tour de France. Am Ende einer grotesken Reise durch Frankreich, steckt der Radsport noch tiefer in der Krise als zuvor.
Nun haben sie also doch noch einen Sieger gefeiert auf den Champs Elysées. Am Sonntagnachmittag stieg Alberto Contador im Gelben Trikot auf das gelbe Podium vor dem Arc de Triomphe. Und wahrscheinlich beten Tourdirektor Christian Prudhomme und ASO-Chef Partice Clerc nun jeden Abend, dass ihnen der 24 Jahre alte Spanier in den nächsten Wochen nicht noch um die Ohren fliegt. So wie im vergangenen Jahr Floyd Landis mit seinem positiven Dopingtest auf Testosteron. Schließlich gibt es ja Indizien, dass Contador sich in der Vergangenheit vom Dopingarzt Eufemiano Fuentes hat schnell machen lassen.
Zweifel am sportlichen Wert
Aber die Herren Prudhomme und Clerc wollten ja unbedingt einen Sieger küren. Die Tour ist stärker als jede Krise. Das sollte das Signal sein, auch wenn viele Protagonisten zum Schluss selbst nicht mehr viel von dem sportlichen Wert der Veranstaltung hielten. "Vielleicht hätte man drei Fahrer für das Podium auslosen sollen", spottete T-Mobile-Sportdirektor Rolf Aldag. "Wenn man hier feiert, muss man verdammt viel ausblenden."
Den Dopingfall des Mitfavoriten Alexandre Vinokourov zum Beispiel, der nach seinem Sieg im Zeitfahren in Albi positiv auf Fremdblut getestet wurde, und der zum Rückzug des gesamten Astana-Teams inklusive Andreas Klödens führte. Oder den Rausschmiss Rasmussens als Träger des Gelben Trikots, der den Toursieg schon sicher glaubte, dann aber als notorischer Lügner in Sachen Trainingsorte aufflog. Oder die Tourorganisation ASO und den Radsport-Weltverband, die den Zustand des Konflikts um einen sauberen Radsport inzwischen in einen offenen Krieg verwandelt haben.
Die Sponsoren entscheiden
All das hat die Tour de France in diesem Jahr zu einer grotesken Reise durch Frankreich gemacht. Am Ende schleppte sie sich ins Ziel nach Paris, wie ein Sprinter, der sich am Schlussanstieg abquält, um nicht aus der Karenzzeit zu fallen. Ein Jahr nach dem großen Skandal um die Operación Puerto ist der Radsport eher noch tiefer in die Krise gerutscht. "Gestern standen wir am Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter", sagte Gerolsteiners Teammanager Hans-Michael Holczer, nachdem Vinokourov als Blutdoper entlarvt worden war. Dass der Sturz auf weichem Boden enden könnte, bleibt nichts als eine vage Hoffnung.
Vielleicht auch nur eine pure Illusion. In Deutschland zumindest wendet sich das Publikum zu einem großen Teil ab. Weshalb die Sponsoren der Radsportteams Ausstiegsszenarien entwickeln. Allen voran T-Mobile, wo der Konzernvorstand schon in der kommenden Woche entscheiden will, ob man weitermacht oder nicht. T-Mobile-Sportdirektor Rolf Aldag mag sich deshalb auch keine Gedanken mehr darüber machen, wie man das angeschlagene Image des Radsports wieder aufpolieren kann: "Keiner weiß ja, ob uns das im nächsten Jahr überhaupt noch betrifft", sagt er. Der Rückzug von Milram als Radsportsponsor gilt als sicher. Und auch Gerolsteiner will in den nächsten Wochen entscheiden, ob man das Engagement über das Jahr 2008 hinaus aufrechterhält.
Lichter Moment
Von einem Rückzug der Sponsoren wären vor allem jene jungen deutschen Radprofis betroffen, die in den vergangenen Monaten als Vertreter einer neuen sauberen Generation präsentiert wurden. So wie Linus Gerdemann, der in den Alpen einen Tag lang das Gelbe Trikot trug. Es war einer der wenigen lichten Momente bei dieser dunklen Tour, weil er sich den drängenden Fragen seines Metiers auch am Tag seines größten sportlichen Erfolges nicht entzog. Man wollte ihm in Le-Grand-Bornand glauben, dass er sauber ist.
Wer die Hoffnung also noch nicht ganz aufgeben will, mag sich an die Menschenmassen beim Prolog in London und auf dem Col d’Aubisque festhalten. Die Fans bleiben an der Strecke auch in Zeiten tiefster Zweifel. Aber das Publikum hat in diesem Jahr auch die Gelegenheit wahrgenommen, ihren Unmut deutlich zu machen. Michael Rasmussen wurde an seinem letzten Tag im Rennen ausgepfiffen, als Träger des Gelben Trikots. "Die Menschen lieben die Tour", hat ASO-Chef Clerc am Tag des Zeitfahrens gesagt. Jetzt muss er hoffen, dass sein Toursieger diese Liebe nicht endgültig zerstört. Contadors Einlassungen zum Thema Doping sind nicht unbedingt dazu angetan, diese Hoffnung zu schüren.
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