Sehr geehrte Damen und Herren,
es gehört immer noch Qualität dazu, eine Mannschaft wie Bielefeld innerhalb von 15 Minuten auseinanderzunehmen. Es gehört auch Qualität dazu, gegen Oberhausen nicht unbedingt gut zu spielen, um dann kurz vor und kurz nach der Pause das Ding fix zu machen. Und absurderweise ergibt sich daraus, dass sie auch in ihren Nicht-Augsburg-Spielen, also in den Partien, in denen sie überraschenderweise nicht 90 Minuten lang wie der FC Barcelona spielen, Qualitäten zeigen, die für mich die Sache nur noch unheimlicher machen. Denn so wie sie die letzten beiden Partien angegangen sind, spielen eigentlich ganz andere Mannschaften.
Dieses Team hat gegen 1860 bewiesen, dass es einen Gegner kaputt kämpfen kann. Es hat gegen Augsburg noch einmal eine Schippe drauf gelegt und zu dem Kampf noch das Spielerische hinzugefügt, als sie im Minutentakt Chancen kreierten. Und dann spielen sie gegen Oberhausen und Bielefeld alles andere als perfekt, um einmal mit 3 zu 0 und einmal mit 3 zu 1 vom Feld zu gehen. Sahan rennt sich gegen Bielefeld in des Gegners Reihen fest und hat eine Menge Verschnitt, Yilmaz ist in der zweiten Halbzeit furchtbar überdreht und Grlic spielt nicht wirklich gut. Aber es reicht.
Und das tut es, weil sie einfach drei bis vier Dinge immerzu gut machen. Vielleicht mag Maierhofer einem ja sehr auf den Sack gehen, aber ich möchte dem Kerl auf dem Feld nicht gegenüberstehen. Er nervt unglaublich, er zwingt zu Fehlern, er ist dabei Motivator und Leader. Und nur weil er in den ersten Minuten diesem Kopfball hinter her geht, womit überhaupt kein Bielefelder rechnet, kann Sukalo an den Ball kommen und in die Konfusion der Bielefelder hinein den Pass auf Baljak spielen. Von da an ist es ein perfekt vorgetragener Angriff und das 1 zu 0. Es ist ziemlich sinnbildlich, dass es erst dieser kämpferische Einsatz ist, der das Spielerische ermöglicht, also all diese Kleinigkeiten, dieser Aufwand, den sie schon die ganze Saison betreiben und der dazu führt, dass sie hellwach in den Zweikämpfen sind und sofort versuchen, aus dem Ballgewinn Kapital zu schlagen. Ebenso wie Sahan einen Schuss an der Außenlinie blockt, somit den Ball in die eigenen Reihen holt und Baljak erst über diesen Weg in Schussposition kommt. Der Rest ist dann nahe am Tor des Monats und das folgerichtige 2 zu 0.
Was ich damit sagen will: Sie haben viele Waffen auf dem Feld. Sie können über den Kampf kommen, sie können es über Standards versuchen, sie können es spielerisch lösen. Sie haben genug Qualität auf dem Feld, um Spiele durch Einzelsituationen zu entscheiden, sei es ein gewonnenes 1 gegen 1 auf den Außen, sei es, dass die schnellen Außenverteidiger die Offensive bereichern, sei es, dass Koch zum Solo ansetzt, sei es, dass Baljak, Grlic, Sukalo oder Trojan in ihren lichten Momenten einen Sahnepass spielen. Sie versuchen aus der Abwehr heraus, Fußball zu spielen, die Schlicke-Gedächtnis-Pässe sind weniger geworden, einzig Bruno Soares erinnert in seiner schnörkellosen Art ein wenig an seinen heißgeliebten Vorgänger, schießt dabei aber weniger Böcke.
Vielleicht ist das einfach nur ein ziemlich gut zusammengestelltes Team, in welchem ein Rad in das andere greift. In welchem sich ein paar unterschiedliche Tugenden vereinigen, welche in verschiedenen Situationen verschiedene Lösungen mit sich bringen. Und sie fangen an, ihre Hausaufgaben zu machen, ohne dass sie dabei über die Schmerzgrenze gehen müssen. Das ist stark, obwohl oder gerade weil es nicht perfekt ist. Und man kann es ja mal mit dem Team der letzten Saison vergleichen, als Fahrenhorst und Schlicke uns noch verzauberten, als Caiuby einen Zuckerpass nach dem anderen spielte und Ben-Hatira sich mit seinen 60 Meter-Sololäufen in die Herzen der Fans spielte. Damals entstanden Tore dadurch, dass Christian Tiffert den Ball falsch traf und Nicky Adler sich glücklicherweise auch komplett falsch bewegte, was zur Folge hatte, dass man plötzlich und aus Versehen ein Tor schoss. Als Milan Sasic diesem Team eine strikte Defensiv-Orientierung gab, und vorne halfen dann Srdjan Baljak und vielleicht noch der liebe Gott, Nicky Adler auf jeden Fall nicht. Dieses Team damals konnte vielleicht eine Sache auf dem Feld erledigen, einen einzigen Job, zu mehr war es nicht fähig. Und bisher sind sie diesem Team gerade was die Vielfalt der Optionen angeht, was ihre Cleverness und ihre Wachheit angeht um Längen überlegen.
Bis zu diesem Zeitpunkt haben sie einen hochgradig couragierten, phasenweise begeisternden Auftritt hingelegt. Sie haben die vermeintlichen Konkurrenten um den Abstieg (Osnabrück, Ingolstadt, Oberhausen, Bielefeld) souverän auf Distanz gehalten, sie haben gegen stärkere Teams wie Augsburg und 1860 überzeugt. Und daher sind wir wohl oder übel gezwungen, gegen Karlsruhe Nachbar, Frau und obdachlose Kinder mit ins Stadion zu nehmen, um einfach dort weiterzumachen, wo wir jetzt sind. Denn das Gesamtpaket stimmt. Und daher kann man mit ganz viel Spannung in die „Hausaufgaben-Partie“ gegen Karlsruhe gehen, um dann in Düsseldorf, beim Pokalspiel gegen Halle und zuhause gegen Fürth bestehen und eine erste Standortbestimmung ablegen zu müssen. Wir leben in interessanten Zeiten. Chapeau, Jungs. 18 Punkte und 90 Minuten Dauergesang nach 8 gespielten Partien. Es ist beeindruckend.
Gruß aus Neudorf
Micha