Und jetzt erst recht...
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn der eigentlich zu frequentierende Bus morgens um 6 Uhr 15 vom Parkplatz des Stadions abfährt, man selber gerade im Tiefschlaf abhängt und noch nicht mal die Ausrede aufs Parkett bringen kann, dass man den gestrigen „Ich wollte nur zwei Bier trinken“-Abend deutlichst überstrapaziert hat, dann weiß man schon sehr früh an einem Sonntag, dass dieser Tag irgendwie nicht in der Kategorie „Gelungen“ abgelegt werden kann. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass ich, nachdem ich drei Stunden lang erfolglos versucht hatte, eine Mitfahrgelegenheit aufzutreiben, auf dem deprimierenden Weg zum „Steinbruch“ mir dann wenigstens noch in aller Konsequenz das Bein breche, der Fußballgott hatte sich schlußendlich dann aber doch wieder diese gemeine Nummer namens „unverdient, vollkommen unverdiente Niederlage“ überlegt, um mich auch am späten Nachmittag nochmals auf mein heutiges Schicksal hinzuweisen. Dämlicher Penner...
Und trotzdem ist man nicht am Boden zerstört. Es dauerte vier Minuten, bis man sagte, dass es die besten vier Minuten der Saison seien, man sagte es noch mit einem zynischen Lächeln, weil die eigentliche Logik vorsah, dass man anschließend mit mindestens fünf Stück wieder nach Hause geschickt wird, aber spätestens nach einer viertel Stunde kroch dann doch wieder die Gier hoch. Und das lag vornehmlich an diesem Team, das alles, aber auch wirklich alles anders gemacht hat als in der bisherigen Saison. Und welches dafür sorgte, dass in der zweiten Halbzeit der komplette Körper vibrierte. Schon alleine dafür war man dankbar.
So bitter es ist, aber man sollte dieses Ergebnis ganz schnell zu den Akten legen, denn sie haben an all das gedacht, was man mitbringen muss, um solch eine Partie anzugehen. Sie waren reaktionsschnell und antizipierten die Situationen, ziemlich oft haben sie es geschafft, die Pässe abzufangen, und alle zusammen nahmen sie die Zweikämpfe an, hatten die Beine früh im Gegner, und wenn sie den Ball eroberten, versuchten sie mit Pässen in die Spitzen und Gassen, das Spiel umgehend in die andere Richtung zu leiten. Das war angesichts dessen, was sie bisher gezeigt hatten, eine Drehung um die eigene Achse und plötzlich wurde aus Lethargie Vollgas und aus Planlosigkeit ein Konzept mit Einbezug der Außen und guten Bällen.
Wenn man über das Spiel nachdenkt, dann gibt’s so vieles, was man anmerken kann. Klar, sie waren galliger, sie haben den Kampf angenommen und zeigten, dass sie wissen, worum es geht. Sie müssen spielerische Mängel auch weiterhin abstellen, die Kontersituationen noch besser ausspielen, aber sie sind in dieser Konstellation auch zum ersten Mal in der Offensive aufgetreten, und es bleibt die Hoffnung, dass sich das nach und nach verbessern wird. Aber wenn man mich fragt, was mich am meisten beeindruckt hat, dann die Tatsache, dass sie 90 Minuten lang diesen Fußball anboten. Sie sind nicht nach dem 0:1 und nicht nach dem 1:2 eingebrochen, sie suchten weiterhin ihr Heil in der Offensive und pressten den Gegner mit drei bis vier Leuten, die gemeinsam die Passwege zustellten und dafür sorgten, dass die Lauterer in der zweiten Halbzeit richtig ins Schleudern gerieten. Gerieten sie selber unter Druck, dann lösten sie diese Situationen nicht mit den obligatorischen langen Bällen, sondern setzten sich in Bewegung, um sich wechselseitig zu helfen, verlagerten das Spiel auf die andere Seite und entkrampften so jeglichen Druck, den die Pfälzer aufbauen wollten. Wenn ein Spieler den Ball eroberte, setzte er sich nach dem Abspiel umgehend in Bewegung, keiner blieb stehen und alle arbeiteten füreinander. Und sie hatten genug Mut, um in unzähligen Situationen in die 1-zu-1-Duelle zu gehen, sie wollten ihre Schnelligkeit auf den Außen ausspielen und versuchten es immer wieder, weil sie sich nicht von ihrem Plan abbringen lassen wollten. Beeindruckend, vor allem, weil sie es im Verbund lösten und als Mannschaft auftraten.
Man kann jetzt wieder das Phrasenschwein herausholen und sagen, dass ein Aufstiegsaspirant genau solche Spiele gewinnt und der Abstiegskandidat diese verliert, vielleicht ist das sogar richtig. Aber die vielleicht wichtigste Phrase des heutigen Tages ist womöglich dieses Credo, dass alle hier kennen, und zwar, dass jeder Spieler des MSV Duisburg es verdient hat von seinen Fans unterstützt zu werden, sofern man den Eindruck gewinnt, dass er alles in die Waagschale wirft, um dagegenzuhalten. Dieses gesamte Team hat Wort gehalten. Und deswegen ist es nur angemessen, wenn man gegen Bochum dieses Stadion anzündet und mit dafür Sorge trägt, dass wir hier endlich den ersten Dreier einfahren. Ich bin nicht sauer, dass heutige Spiel verpasst zu haben, worüber ich mich richtig ärgere, ist, dass ich ihnen nach dem Abpfiff nicht zusammen mit allen anderen zeigen konnte, dass sie auf dem richtigen Weg sind.
Jetzt erst recht...
Besten Gruß aus Neudorf
Micha