Auch wenn mich die Aufstiegseuphorie langsam packt, möchte ich trotzdem noch möglichst sachlich die letzten zwei Spiele aus taktischer Sicht betrachten. Dazu sei gesagt, dass ich das Spiel gegen Cottbus im Stadion gesehen habe und das gegen Dresden in der MDR Mediathek, da ich während des Spiels auf der Autobahn irgendwo im französischen Hinterland kurz vor der belgischen Grenze war (Rückkehr vom Wochenende in Paris, inkl PSG-Spiel

).
Die Motivation mir das gesamte Spiel im Nachhinein in der Mediathek anzusehen, bekame ich wegen Ginos Äußerungen, dass man in der 2.Halbzeit taktische Anpassungen vorgenommen hat und natürlich dem allgemeinen Konsens in den Foren, dass die 2.Halbzeit viel besser als die 1.Halbzeit war.
Aber vorher noch ein kurzer Rückblick auf das Cottbus-Spiel. Prägend für das Spiel war sicher der typische Stefan Krämer-Ansatz. Ich würde es mal als Hau-Ruck-Fussball bezeichnen. Dieser zeichnet sich durch ein relativ intensives, wildes Pressing, viele raumgreifende Bälle, einen Fokus auf die Strafraumverteidigung und offensive Durchschlagskraft aus. Daraus ergab sich ein für den Zuschauer sehr attraktiv anzusehendes Spiel, weil es viel hin und her ging. Geordnete Passivität, saubere Ballzirkulation auf der Suche nach der Lücke im Verbund und strukturierte Herausspielen von Torchancen standen nicht so im Mittelpunkt. Das Spiel hatte einen gewissen Bolzplatzcharme mit vielen (scheinbar?) improvisierten Spielzügen, die oft durch die Spielintelligenz der Spieler geprägt wurde. Und da waren unsere Jungs einfach besser
Interessant war auch, dass sich unser Team zum Teil auf die Cottbuser Spielweise einließ, aber es einfach besser machte. Cottbus bekam wenig Zugriff. Die langen Bällen von Cottbus wurden gut verteidigt, die eigenen langen Bälle genutzt, um sich vom Gegnerdruck zu lösen und freie Räume zu entern. Damit wurden die Schwächen des Krämerschen Fussballs (zweigeteilte Mannschaft, mangelnde Kompaktheit in den ballfernen Räumen und im Mittelfeld) sehr gut bespielt und genutzt. Auch wenn ich kein Freund davon bin, wildes Balljagen, was oft mit Willen und Leidenschaft gleichgesetzt wird (aber auch immer die Gefahr birgt, gefährliche Räume zu öffnen und Mannschaftsstrukturen zu zerbrechen), abzufeiern, war es in diesem Spiel sehr passend und effektiv. Ob sich diese Intensität im Anlaufen (bei Grote war es z.B. sehr offensichtlich) jetzt aus der Spielcharakteristik ergab oder ob die Spieler tatsächlich mehr wollten als sonst, möchte ich dabei gar nicht diskutieren.
Tatsache ist auf jeden Fall, dass dieses Spiel die Erwartungen an den Auftritt in Dresden in die Höhe schnellen ließen. Die Kommentare in der Shoutbox während der ersten Halbzeit, die ich sporadisch beim Autofahren lesen konnte, waren dann entsprechend negativ geprägt. Ich kann dem eigentlich nur bedingt beipflichten. In meinen Augen trat der MSV sehr dominant auf und zeigte die reifere Spielanlage. Man wollte auch in Dresden das Spiel machen und rückte bei eigenem, flachen Aufbauspiel sehr konsequent nach. Im Aufbau gab es diverse gut abgestimmte Bewegungen, um in die Dresdener Formation zu gelangen. Dabei möchte ich hier auch mal eine Lanze für Albutat und Hajri brechen, die wirklich sehr homogen spielten (damit meine ich die Abkippbewegungen im Aufbau und das Rausrücken gegen den Ball).
Das Problem war nur, dass Albutat bei der Entscheidungsfindung, Hajri bei der technischen Ausführung und Bohl bei der Positionierung Schwächen zeigten und so die Dresdner immer wieder Umschaltmöglichkeiten bekamen. Wenn man aus einem geduldigen Ballbesitzspiel nach vorne kommen möchte, darf man solche Fehler einfach nicht machen, weil man sehr aufgerückt und schlecht abgesichert steht und dem Gegner Räume zum Kontern gibt.
Etwas schade fand ich, dass Onugebu und Janjic bei der Arbeit gegen den Ball relativ passiv blieben und sich meist darauf beschränkten, dass Dresdener Aufbauspiel zu lenken, indem sie Gegenspieler in den Deckungsschatten nahmen oder den Ballführenden seitlich anliefen (Janjic ist da traditionell aktiver als Onuegbu). Damit konnte man zwar die Dresdner daran hindern Torgefahr aus dem eigenen Aufbau zu erzeugen, aber vergab auch die Chance auf Balleroberungen in tornahen Zonen.
Grundsätzlich war das Spiel des MSV gegen den Ball aber wieder Lettieri-typisch. Gerade in den etwas hektischeren Spielphasen war das zu sehen, als man ein gutes Mittelfeld-Pressing spielte, indem man in Ballnähe hohen Druck erzeugte (der ballferne Außen rückte stark ein, der AV schob hoch, Janjic presste rückwärts, ein Sechser ging drauf, der andere sicherte ab) um dann nach Balleroberungen die vielen Spieler in Ballnähe zu nutzen, um über Kurzpass und Direktspiel schnell in die Spitze zu spielen. Speziell Dausch fiel mir hier auf, der brutal stark in die Mitte rückte um in Ballnähe Druck zu machen, aber auch den Dresdnern die ganze ballferne Seite öffnete. Apropos Dausch: Ich fand ihn in Dresden vor dem Tor zu egoistisch. Klar, er hat im Moment einen Lauf, aber die eine oder andere Situation hätte er besser ausspielen können. Vielleicht war der Wechsel auf Grote gar nicht erschöpfungsbedingt, sondern diesem Aspekt geschuldet. Grote interpretierte die Außenposition linienorientierter und Lettieri sah vielleicht darin ein Pluspunkt in der defensiven Stabilität.
Bleibt die Frage nach den Anpassungen in der 2.Halbzeit. Ich habe ehrlich gesagt nicht viel gesehen. Es war immer noch die typische 4-2-3-1/4-4-2-Mischformation mit Doppel-Sechs und Janjic Freirrolle. Zuerste dachte ich, dass Albutat etwas höher spielte, aber das war nur situativ. Ich fand die erste Viertelstunde nach der Halbzeit war sogar aus taktischer Sicht die schwächste Phase, weil sie auf mich ziemlich unentschlossen wirkte. Selbst wenn es Anpassungen gab (und ich sie nicht erkannt habe), so kann ich deren Bezug zu den Toren (und den damit spielentscheidenen Szenen) nicht erkennen. Da würde ich den Wechseln schon mehr Einfluss zugestehen. Der Freistoß vor dem 1:0 wurde immerhin von physisch präsenteren Scheidhauer herausgeholt, als er den Ball nach einem Dresdner Freistoß von Janjic bekam und gut behaupten konnte. Beim 2:0 war es wieder ein Konter gegen aufgerückte Dresdner als Hajri einen halbhohen Ball auf Janjic spielte, der dann Onugebu diagonal schickte. In beiden Fällen also - wieder mal - Umschaltaktionen, die nur entstehen können, wenn der Gegner den Ball hat und stark aufgerückt ist. Das sind bekanntermaßen Situationen, die man mit der eigenen Taktik - wenn überhaupt - nur indirekt beeinflussen kann.
Mein Fazit und Ausblick für den Aufstiegskampf: Die Mannschaft macht auf mich einen gefestigten Eindruck. Sie spielt seit Wochen in einer weitestgehend konstanten Besetzung und Formation. Individuell ist sie gerade in vorderste Front blendend besetzt. Onuegbu, Janjic und Dausch befinden sich in einem Formhoch und sind immer für spielentscheidende Szenen gut. Das letzte Mal blieb man beim Hinspiel in Kiel ohne eigenen Torerfolg. Danach folgten 16 Spiele, wo man immer traf. Die Stärke ist nach wie vor das Umschaltspiel, was meist aus einem guten Mittelfeldpressing heraus inszeniert wird. Hinter diesem Pressing ergeben sich aber schon mal kleinere Lücken, die ein guter Gegner evtl. bespielen kann. Hier zeigt Meißner aber immer wieder ein gut getimetes Rausrücken. Der Junge ist sowieso in hervorragender Form.
Aber auch das Ballbesitzspiel ist mittlerweile überaus solide. So ist man weniger abhängig vom Gegner und kann selbst den Rhythmus variieren und auch tief stehende Gegner bespielen. Hier ist man aber etwas konteranfällig. Die Gründe sind vielfältig (Bajic' Geschwindigkeit, Hajris Ballfertigkeiten, Bohls fehlende Feinabstimmung zur Kette, etc). Deswegen sind Gegentore grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Die Frage ist halt wie die Mannschaft so ein Gegentor in einem entscheidenden Spiel mental verpacken würde. Qualitativ ist sie stark genug um gegen jeden Gegner eine Reaktion zu zeigen. Auch die Lösungsansätze für Tore sind vielfältig. Onugebu als Wandspieler beim Konter und Empfänger für hohe Bälle, Janjic als kreativer Freigeist, Dausch mit seinem großen Aktionsradius und seiner Abschlusstärke, die Flügel mit den offensivstarken AV, gefährliche Standards und auch eine gute, flexible Bank.
Selbst ohne blauweiße Brille würde ich sagen: Wir steigen auf!
