Yup. Ich war in Braunschweig. Seit langer Zeit mal wieder auswärts. Hat wirklich Bock gemacht und der Block - wie die Mannschaft - ne echte Einheit. Der sportliche Erfolg macht das natürlich alles leichter, nichtsdestotrotz hat sich die MSV-Szene dort toll präsentiert. Braunschweig war auch ein gute Gastgeber, kann man nicht anders sagen. Vor allem die An- und Abreise herrlich unproblematisch. Wenn man bedenkt, was man auswärts in der Vergangenheit alles schon erlebt hat.
Flingern-Zebra und Evchen habe ich auch getroffen. Flingern schreibt übrigens auch hier, nur unter anderem Nickname
Zum Spiel vielleicht mal chronologisch. Und da muss ich im Juli anfangen. Auf Twitter habe ich von einem geschätzten Account zum Drittligaauftakt folgendes gelesen:
Nachdem
@Defenders im Spieltagsthread schon angedeutet hat, dass Braunschweigs weiße Weste nicht so eindrucksvoll erreicht wurden, wie es der simple Blick auf die Tabelle vermuten lässt, haben mir das die Spielzusammenfassungen von den Spielen gegen 1860 und Jena auch bestätigt. Der 1860-Sieg war auch wegen der roten Karten durchaus glücklich. Jena ist im Moment wohl eher ein Anwärter auf die unteren Plätze, als auch nicht der größte Prüfstein.
Als ich dann im Hotel in Braunschweig von Samstag auf Sonntag nicht schlafen konnte (mit geschlossenem Fenster zu stickig, mit offenem Fenster zu laut) habe ich mir die PK von Braunschweig vor dem Spiel angeschaut. Die Aussagen von Christian Flüthmann haben mich wenig beeindruckt. Die Charakterisierung unserer Mannschaft empfand ich eher als oberflächig und als ihm ein einheimischer Reporter Fragen zur taktischen Ausrichtung gegen uns stellte, kamen dann Aussagen wie "wir versuchen unsere Stärken durchzubringen" und "wir dürfen Duisburg keine Räume geben". Nun ja...
Aus diesem Sammelsurium an Eindrücken (plus das geile Münster-Spiel von uns) hatte ich vor Anpfiff schon die Vermutung, dass wir das Spiel kontrollieren werden und uns Braunschweig erstmal reaktiv und bolzend empfangen wird. Angst hatte ich eigentlich nur vor der individuellen Durchschlagskraft, also einem zweiten Ingolstadt

Aber so kam es eigentlich nicht. Teilweise sah das schon sehr dominant und kontrolliert aus wie wir - vor allem in Halbzeit 1 - auftraten. Braunschweig machte es uns natürlich auch leicht, weil sie wirklich jeden Ball im Aufbau lang schlugen. Ingolstadt hat es ja wenigstens noch flach probiert. Da wir dann meist angelaufen sind, haben sie so unsere Formation gestreckt und konnten dann mit den langen Bällen auf Kutschke unsere erste Pressinglinie überspielen und die Unkompaktheit dahinter nutzen. Braunschweig spielte da viel eindimensionaler und wir konnten uns leicht darauf vorbereiten. So waren die lange Bälle - bis auf einigen Phasen in Halbzeit 2 - auch nie ein wirkliches Problem.
Grundsätzlich bin ich ja immer ein Freund von Mannschaften, die den Ball haben und nicht nur das Spiel zerstören wollen. Allerdings gibt es da im Detail viele Unterschiede. Während ganz extreme Ballbesitzmannschaft (wie eigentlich alle Guardiola-Teams oder auch der FC Bayern) bis zum Tor zirkulieren wollen, nutzt Lieberknecht das Ballbesitzspiel eher um den Gegner zu manipulieren. Vereinfacht gesagt: Er möchte den Gegner rauslocken, um dadurch Räume zu öffnen, die dem eigenen Spiel Tiefe und Dynamik geben. Für Lieberknecht ist die Kontrolle des Spiels über Ballbesitz nur ein Mittel und dient seiner Spielidee. Der Ballbesitz an sich ist NICHT seine Spielidee, sondern er wird nur dafür genutzt. In diesem Zusammenhang sollte auch klar sein, wieso das flache (und teilweise auch riskante) Rausspielen so wichtig ist, um am anderen Ende des Spielfeldes Tempo in die Aktionen zu bekommen. Mit langen Abschlägen ist das nicht zu erreichen, weil das Spielfeld, in dem Bereich, wo der Ball runter kommt, sehr dicht besetzt sein wird.
Dieses Locken des Gegners hat gegen Großaspach und teilweise auch gegen Münster sehr gut geklappt. Ingolstadt und Braunschweig haben sich darauf aber nicht so richtig eingelassen, sondern waren eher darum bemüht kompakt hinter der Mittellinie auf uns zu warten (das zeigt übrigens schon eindrucksvoll wieviel Respekt selbst Aufstiegsanwärter vor uns haben). Braunschweig hat Mitte der 1.Halbzeit einmal versucht höher anzulaufen. Wir befreiten uns durch eine Verlagerung aber aus dem Druck und Bitter konnte dann mit Tempo (noch in der eigenen Hälfte) durch den Halbraum dribbeln. Stoppelkamp und Sliskovic sind sofort tief gestartet (bei einem Guardiola-Team wäre mindestens eine kurz gekommen). Der Spielzug hat dann zwar nicht geklappt, aber mir wurde in dem Moment noch klarer, was Lieberknecht vor hat: Anlocken -> Befreien -> tief gehen -> tief spielen.
Anonsten konnte ich in Halbzeit 1 das wieder erkennen, was ich in der Analyse nach dem Ingolstadt-Spiel geschrieben habe. Viel Positionsrochaden im Aufbauspiel, die mittlerweile schon sehr synchron ablaufen und dabei den Prinzipien des "juego de position" folgen (Dreiecksbildung, keine zwei Spieler gleichzeitg auf einer vertikalen Linie, ganz selten mehr als zwei auf einer horizontalen Linie). Überladen des Zehnerraums für Kurzpasskombinationen, Kleinraumdribblings und eine gute Staffelung zum Gegenpressen. Extremes Nachschieben der AV. Ständige Tiefenläufe, um Unruhe in die Formation des Gegners oder auch den Ball zu bekommen (gutes Beispiel Stoppel vor dem Lattentreffer in der 48., solche Wege gehen eigentlich Weltklassespieler).
Natürlich geht das alles nicht ohne fähige Spieler. Man muss schon sagen, dass Stoppel im 1:1 eigentlich überqualifiziert für die 3.Liga ist. Wie leicht er die Gegner manchmal an der Nase herum führt (auch wenn ihm dann teilweise der gruppentaktische Nutzen abgeht). Aber auch alle anderen wirken sehr ruhig und sicher am Ball. Hier spielt auch ganz viel das Vertrauen des Trainers mit rein. Er fordert den Mut. Er fordert das riskante Spiel. Er fordert das "
Spielen" mit dem Ball.
Sinnbildlich die Aktion von Sicker vor dem 0:1 (die leider in der Zusammenfassung rausgeschnitten ist, für mich aber die Basis der derzeitigen Spielidee und auch des Tores darstellt). Braunschweig möchte einen Einwurf von uns pressen. Sicker bekommt Druck. Anstatt den Ball zu schlagen (so wie der von mir durchaus geschätzte Wolze es auch oft tat), entscheidet er sich für einen riskanten Haken, hält den Ball flach am Boden und spielt dann die Verlagerung auf Bitter. Der Rest ist bekannt.
Grundsätzlich war die 1.Halbzeit fast schon "Bayern der 3.Liga"-like. Spielidee von Braunschweig kontrolliert - check. Eigene Spielidee durchgebracht - check. Ball und Rhythmus kontrolliert - check. Nix zugelassen - check. Offensiv was kreiert - check. Tor gemacht - ...nun ja...nicht direkt...aber erzwungen vielleicht...also auch check.
Die 2.Halbzeit war dann in taktischer Hinsicht etwas konservativer. Das ist mir auch schon in den anderen Spielen aufgefallen. Unser Spiel wird dann immer etwas instinktiver und passt sich mehr dem "Standard" an (was aber nicht grundsätztlich schlecht sein muss). Lieberknecht hat auf der PK nach dem Spiel gesagt, dass das durchaus auch Absicht war. Die vermehrten Chancen und die Tore geben ihm natürlich im Nachhinein recht. Trotzdem hatte ich so Mitte der 2.Halbzeit das Gefühl, dass das Spiel auch nochmal kippen könnte. Die Dominanz war geringer und man ließ Braunschweig öfter näher an den eigenen Strafraum kommen.
Zu den neuen Spielern: Sliskovic fand ich im Ablagenspiel und der allgemeinen Präsenz etwas schwächer als Vermej. Engin ist vom Typus ein linearer Spieler, der eher ungern in den Halbräumen geht und nicht so proaktiv das Kombinationsspiel sucht (und deswegen eigentlich nicht so gut zum Spiel mit "drei Zehnern" passt), aber er hatte natürlich trotzdem wieder eine indirekte Torbeteiligung (was auch die Eindrücke der letzten zwei Jahre bestätigt).
Zur Perspektive: Mich würde extrem wundern, wenn wir nicht oben mitspielen und ich bin schon geneigt zu sagen, dass der Aufstieg ein überaus realistisches Ziel ist. Die Spieler sind durch die Bank gut (an dieser Stelle nochmal ein Extralob an Boeder - gerade im Ballbesitz sehr abgeklärt und fast noch klarer und sauberer als Compper), wir haben individuelle Klasse, wir haben Mentalität, Willen und Laufbereitschaft, wir haben (vermutlich) auch Führungsspieler und all das ist eingebettet in eine klare, kreative und mutige Spielidee, die mittlerweile auch defensiv stabiler wird (das größte Problem der letzen Saison).
Wovor ich aber warnen möchte: Im Erfolgsfall würde ich keine Rückschlüsse daraus ziehen wollen, ob da unten wirklich ein Team auf dem Platz steht. Erst im Misserfolgsfall wird sich zeigen, ob es dieses Mal anders läuft als in der letzten Saison.
Eine (Ergebnis-)Krise wird definitv kommen. Wenn wir die gemeinsam meistern, klappt`s auch mit dem Aufstieg!