Der Tag, an dem das Chaos regierte...
Sehr geehrte Damen und Herren,
man brauchte seine Nacht, um den gestern erlebten Irrsinn irgendwie einsortieren zu können, und nachdem man gestern nach dem Schlusspfiff leicht debil durch die Gegend blickte, sich fragte, was das denn jetzt schon wieder für eine Nummer gewesen sein sollte und dementsprechenden Unsinn verzapft hätte, ist es zumindest vom Gefühl her einen Tacken besser geworden. Wobei Guidos Ausspruch „Seit heute ist klar, es gibt keine Fußballgötter!“ nach näherem Nachdenken doch widersprochen werden muss. Nach meiner Theorie saßen nämlich genau diese vor ellenlangen Zeiten gemeinsam an einem Tisch hoch über den Wolken, knallten sich derart viel Kokain in den Kopf, dass keiner mehr zu einem klaren Gedanken befähigt sein konnte und beschlossen ohne ersichtlichen Grund, dass der MSV Duisburg gegen die Münchener Löwen per ungeschriebenem Gesetz von nun an wie eine Bande hektischer, Ritalin abhängiger Schuljungen aussehen müsste, warum auch immer, ein triftiger Grund wurde bis heute nicht geliefert. Naja, die Wege der Herrn sind unergründlich, aber eines ist klar: Die 60er gehen mir derart auf den Sack, das ist schon nicht mehr feierlich. Blöde Bande da...
Als man die Gefühlswelt dann wieder ins Gleichgewicht gebracht hatte, versuchte man das ganze mal nüchtern zu betrachten, und irgendwie bleibt am Ende aller Gedankenketten immer nur übrig, dass sie sich gestern vor allem selbst gehörig im Weg standen. Fernab von der Grundvoraussetzung, dass mit Bajic und Sukalo sowohl zwei zentrale als auch die beiden erfahrensten Spieler ausfielen, war es vielmehr das Geschehen auf dem Feld, was einen zur Weißglut brachte. Denn es hätte an diesem Tag und selbst in dieser Konstellation ganz wenig gebraucht, um zumindest einen und im besten Falle drei Punkte behalten zu dürfen. 1860 war sicherlich von der Anlage her konstruktiver, sie schalteten schneller und cleverer um, bewegten sich besser und so weiter, aber Torchancen blieben auch dort Mangelware. Die 60er hatten uns nicht komplett in der Tasche, sie dominierten uns nicht und zwangen uns nicht ihre Spielweise auf. Aber das, was sie deutlich besser machten, war, dass sie unsere Fehler konsequenter bestraften. Darin lag ihre Qualität und gerade in dieser Hinsicht legten wir ihnen die Partie aufs Silbertablett.
Vieles von dem, was gestern passierte, kann man getrost in der Kategorie „obligatorischer MSV-Irrsinn, mach dir nix draus“ ablegen. Roland Müller holte sich in Minute 10 und 15 insgesamt zwei Assist-Punkte, den einen, weil er mit einem gekonnten Abschlag das Tor einleitete, den anderen für die 60er, als er wie ein aufgescheuchtes Huhn durch den Strafraum irrte. Es ist der Moment, wo sie sich das erste Mal selber bestraften, der Eigenanteil der 60er war beim Gegentor tendenziell eher gering, so auch in der 41. Minute, als Daniel Brosinski Srdjan Baljak, Benjamin Kern und den Kapitän Julian Koch anguckte, sich selber sagte, dass diese bisher schon genug Elfmeter in ihrer Karriere geschossen hätten und somit beschloß, dass er an diesem feierlichen Tag höchstselbst antreten sollte. Zweites ungeschriebenes MSV-Gesetz der Fußballgötter: Es reicht nicht aus, wenn einer sich lächerlich macht, der MSV ist ein kameradschaftlicher Verein, da ziehen auch in der Hinsicht alle an einem Strang. Und so gesellte sich Daniel Brosinski spätestens dann zu Roland Müller, als er auch noch den Nachschuss galant Richtung Tribüne hämmerte, logisch, einmal bekloppt war hier schließlich schon immer zu wenig. Übrigens: Hätte man mir die Wahl des Schützen überlassen, hätte ich mich für Lachheb entschieden, ihn am Elfmeterpunkt anschließend Richtung Seitenauslinie gedreht und ihm die Ansage gegeben: „Einfach geradeaus Richtung Linienrichter schießen“, was zur Folge gehabt hätte, dass er das Ding zumindest in den Winkel geknallt hätte. Übersetzt: Gerade in der ersten Halbzeit war Lachheb äußerst prägend und vor allem war er federführend mit daran beteiligt, dass all das, was sie in den ersten Minuten richtig machten in Unruhe und Hektik überging. Der Zwei-Meter-Pass ins Seitenaus war dann nur die Krönung einer – vorsichtig formuliert – fußballerisch tendenziell eher unterdurchschnittlichen Leistung.
Was das Duo Perthel/Koch sollte, habe ich nicht verstanden, will mich da aber auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Aber gerade in der Abstimmung mit den Außen, seien es die Verteidiger oder die Offensiven, zeigte sich, dass dieser Verbund oftmals noch nicht wusste, wie er funktionieren sollte. Die Folge waren Abstimmungsprobleme, was etliche Male dazu führte, dass die Duisburger den Ball am Spielfeldrand in Höhe der Mittellinie in ihrem Besitz hatten, anschließend das Spiel durch einen Pass in die Zentrale „aufmachen“ wollten und dabei leider in schöner Regelmäßigkeit die Lauf- oder Passwege falsch einschätzten. Die Folgen waren etliche Ballverluste, was den 60ern zumeist auch noch direkt die Möglichkeit bot, umgehend Dampf Richtung unser Gehäuse aufzunehmen. Ich glaube, dass dies einer der Gründe war, warum zwischendurch der Eindruck erweckt wurde, dass die Löwen das Spiel dominieren würden, aber das taten sie eigentlich nicht. Schließlich gestalteten sie nichts, sie reagierten nur auf unsere Fehler und selbst in Momenten, wo sie 3 gegen 2 standen, schafften sie es oftmals nicht, zum Abschluß zu kommen. Daher logisch, dass kurz vor der Pause irgendsoein wahllos durch die Gegend geballertes Gerät Bülow vor die Füße fiel, so dass dieser aus der Konfusion heraus nur noch einnetzen brauchte. Und das alles sechs Minuten nach Daniel Brosinskis Versuch... ach, lassen wir das. Zumindest das Lachen, welches in diesem Moment aus den Wolken drang, konnte man, wenn man genau hinhörte, vernehmen, die Fußballgötter hatten ihren Spaß, das war zu diesem Zeitpunkt schon sicher.
Auch die zweite Halbzeit war eher ein Duell auf Augenhöhe, so dass sich beide Teams fortan gut in Schach hielten, der letzte Treppenwitz war dann natürlich Kiralys fantastische Parade und der anschließende Versuch Roland Müllers zu zeigen, dass er auf ähnlichem Niveau agiert, was damit endete, dass er irgendwie durch die Gegend schlitterte, anschließend hinfiel und somit seinen Kasten verwaist ließ, was sich Wood und Stoppelkamp dann auch nicht zweimal sagen ließen. Der Rest ist bekannt und war der Deckel auf diese Partie, nach Abpfiff war dann erstmal Resignation angesagt, derart viele unglückliche Umstände mussten schließlich auch erstmal verarbeitet werden. Schlußendlich war es ein unfassbar dämliches Fußballspiel, und meines Erachtens nach hat es nach all diesen Vorkommnissen keinen Sinn, mit dem Finger nur auf Roland Müller zu zeigen, damit man die Gewissheit hat, endlich den Schuldigen gefunden zu haben. Brosinskis Elfer hätte alles wieder korrigieren können, und hätte es der Zufall nicht zwingend gewollt, dann wäre anschließend auch nie das 1:2 gefallen. Dass dann auch noch zur Krönung die Großchance zum 2:2 und das 1:3 fließend ineinander übergingen, spricht auch eher dafür, dass gestern alles irgendwie komischer verlief als sonst.
Nun denn, das ist die fatalistische Seite, aber in Schutz nehmen kann man sie deswegen nicht. Sie haben natürlich unfassbar viele Fehler gemacht, sie haben viel zu viele Bälle in der Vorwärtsbewegung verloren, Lachheb als Vorreiter und viele andere Nachahmer schoßen zwischendrin unfassbare Böcke und sie nutzten die Chancen nicht, die man ihnen bot, und deren Verwertung dem Spiel womöglich einen gänzlich anderen Drive gegeben hätten. Und das ist das Schlimme: Sie brauchten gestern noch nicht einmal gut spielen, um sich mindestens einen Punkt verdient zu haben. Es hätte auch so reichen können, eben weil 60 auch nicht ganz so viel aus dem Hut zaubern konnte.
Aber welche Lehre kann man jetzt aus dem Spiel ziehen? Wahrscheinlich gar keine, aber beruhigend ist, dass sie mit Ibertsberger den Kader anscheinend ein wenig breiter gemacht haben, und dass sie, wenn sie stabil sind, mit Teams wie den Löwen mithalten können. Bei aller Niedergeschlagenheit: Sukalo und Bajic werden in der nächsten Woche zurückkommen, Gjasula ist auch wieder da. In Bezug auf den Klassenerhalt sind die Chancen gestern nicht signifikant geringer geworden, arbeiten sollten sie weiterhin an den Abstimmungen, denn selbst wenn Schlüsselpositionen ausfallen, dürfen sie sich deratige Fehler gegen Gegner, die höhere Weihen anstreben, nur ganz selten erlauben. Ich für mich persönlich habe beschlossen, die Partie in eine Schublade zu legen, welche die Aufschrift trägt: „Komplett vergessen und nie wieder drüber reden“, den heutigen Tag werde ich dazu nutzen, solange mit Leuchtraketen in den Himmel zu schießen, bis ich die komplette Göttertafel erlegt habe. Aber von etwaigen Gewalteskalationen mal abgesehen: Sie haben jetzt mit Lautern einen schwierigen Gegner vor der Brust, aber angesichts des dann neu formierten Teams und rückblickend auf den guten Auftritt in der Pfalz während der Hinrunde, wüsste ich nicht, warum man dort nicht Zählbares mitnehmen könnte. Mund abputzen, weiter machen. Das gestrige Spiel auch noch irgendwie als aussagekräftig und tendenziell für die Zukunft zu werten, würde bedeuten, dem erlebten Chaos auch noch irgendwie Sinn zu verleihen. Und da weigere ich mich einfach. Was für obskure 90 Minuten...
Gruß aus Neudorf
Micha