Ich sehe das Problem nicht bei Veränderung an sich. Sondern darin, dass vorhersehbar ist, in welche Richtung diese Veränderungen gehen. Weil diejenigen, die darüber entscheiden, weiterhin alles einzig und allein auf Gewinnmaximierung abstellen. Was immer bedeutet, Regeln, die Austragungsmodalitäten von Grossveranstaltungen etc. in Richtung Fernsehmassentauglichkeit hin zu optimieren. Konkret heisst das für mich, dass beim Fussball das A und O nicht mehr der Spielfluss ist, sondern das einzeln in Endlosschleife konsumierbare Häppchen, die kurzen Aktionen, verbunden mit längeren Pausen, in denen alle möglichen Leute im Fernsehen etwas platzieren können: der Moderator kleine Homestories zu den Aktiven, der Sender seine Supertechnik mit siebzehn verschiedenen Einstellungen und Zeitlupen in jeder Geschwindigkeit.
All dies generiert vielfältige Zweitverwertungsmöglichkeiten über Online-Portale grosser Fussballfachredaktionen, die dann aber, wie die Bild oder auch die Elaborate der Funke-Gruppe, etwa WZ, mehr das Hintergrundrauschen des Boulevard erzeugen, ihre werthaltigen Klicks über permanentes Skandalisieren, Psychologisieren und Spekulieren garantieren. Da ist ein Shootout natürlich ganz anders ausbeutbar, als ein normales Elfmeterschiessen, bei dem man irgendwann mal raushaut, wenn man drei oder vier davon gesehen hat, was die Bandbreite der Möglichkeiten ist. Natürlich juckt das keinen, dessen heissgeliebter Verein aus dem Pokal zu fliegen droht, nachdem der gegnerische Torhüter die letzte Kirsche gerade genial abgepflückt hat, ob das im Shootout-Modus läuft, oder als klassisches Elferschiessen. Aber auf diese Klientel zielen solche "Verbesserungsvorschläge" eben auch gar nicht ab, sondern auf die eintausend neuen Möglichkeiten, via Massenmedien damit etwas zu verbinden, woran dann wiederum Werbung hängt.
Die Premierleague gibt das längst vor, die zur Hälfte aus Ländern finanziert wird, in denen es hauptsächlich um Wetten und Starkult geht, wo kein Mensch mehr über dezidierte Detailkenntnisse verfügt oder historische Bezüge, die der Ligaalltag herstellt, kennt. Hier wird Fussball letztendlich zu einem vollsynthetischen Produkt, das mit der Stadionwirklichkeit kaum noch etwas zu tun hat. Sondern "Gesamtkunstwerke" wie Ronaldo und Messi etc. erzeugt, die längst auch im Hinblick auf Steuermoral undsoweiter ganz und gar "globalisiert" denken, und alles in der Beziehung haarklein so machen wie Apple oder McDonalds.
Für den Stadionmodus wird daraus leider zunehmende Langeweile, weil alles immer öfter abgepfiffen und unterbrochen wird, und Aktionen sowieso gar nicht immer so toll wirken, wie sie die Verschärfung durch eine ausgefeilte Zeitlupendramaturgie und andere gängige Regietricks suggeriert. Pausen können aber mittlerweile dankenswerter Weise durch permanente Nutzung der Smartphones überbrückt werden, oder die Leute gehen halt noch öfter etwas essen. Durch Kartenverteuerung und den Wandel im Umfeld werden sowieso eher besser betuchte Eventies samt Familien angelockt, und das Spiel so mehr und mehr zum fast austauschbaren Bestandteil des Popcornkinos im Erlebnispark. Diese Leute sind ja sowieso dran gewöhnt, dass für vier mal Eintritt plus Getränken schon der erste Hunderter fällig wird, und bezahlen das, wenn es etwas Angesagtes ist. Wofür du natürlich den einen oder anderen exaltierten Star betrachten willst. Ob du nun dessen fussballerische Darbietung noch gut einschätzen kannst, oder nicht. Hauptsache, du kannst deinen Kleinen sagen: "Hee guckt mal, dahinten, das ist der Ribery! Wow, ist das nicht umwerfend?"
Namentlich die Aufstockung der WM wird den kleinen Nationen nach meiner Überzeugung für die Entwicklung ihres eigenen Fussballs in ihrem Land nix bringen. Dafür gibt es für eine Unmenge mehr oder weniger korrupter Funktionäre und Lobbyisten die Gelegenheit, sich dumm und dämlich zu verdienen. Wahrscheinlich rüstet sich ein Haufen kleiner Hellmichs schon mit gierig zuckenden Fingern, um allen möglichen Städten in Schwellenländern mit siebzig Prozent Jugendarbeitslosigkeit sündhaft teure Stadionprojekte aufzuschwatzen. Auch dort wird eine Menge Coca Cola durch die Schläuche gepresst, es werden überteuerte Fernseher an den Mann gebracht, die sich nach dem Event die Pfandleiher unter den Nagel reissen können. Die Spieler schliesslich verwursten sich selbst auf dem Fleischmarkt. Und enden, auch wenn sie der grösste Star sind, den das Land je hervorgebracht hat, auf der Ersatzbank von Bayern, Real oder ManCity.
Ich denke, als Fernsehzuschauer (jedenfalls, wenn ich bis dahin noch nicht komplett zum Frauenfussball übergewechselt bin, wo man wenigstens noch längere Spielzüge im Zusammenhang ansehen kann) werde ich eine solche beknackte Vorrunde komplett boykottieren. Das sollte man sowieso wieder viel mehr in den Vordergrund stellen, finde ich: den Konsumentenboykott! Denn das ganze System hängt zuguterletzt an dem einen seidenen Faden, dass die Leute auch, wie deren Strategie für uns Konsumenten es vorsieht, gucken, klicken, trinken und essen, bewundern und kritiklos nachahmen.