Freitag, 15. Oktober 1993. Der 12. Spieltag. Der MSV empfängt den ungeschlagenen Tabellenführer aus Frankfurt. Das wusste ich. Frankfurt. Tabellenführer. Ungeschlagen. Okocha. Yeboah. Das waren die Schlagworte, von denen mein Opa meinen damals 10jährigen Ich noch wenige Stunden vor dem Spiel geradezu ehrfürchtig berichtet hat. Dass der MSV zu diesem Zeitpunkt selbst auf Rang Sechs der Tabelle lag, mag er vielleicht auch erwähnt haben, die Tragweite jedoch dieser im historischen Kontext gesehen eher seltenen Platzierung erfassen konnte ich wohl noch nicht. Es war erst mein drittes Spiel, der dritte Besuch im Wedaustadion, und eigentlich wären wir gar nicht hier gewesen, mein Opa, mein Vater und ich, hätten wir nicht Freikarten gewonnen für dieses Gipfeltreffen. Zum Glück. Denn nun saßen wir hier, der Erinnerung nach auf der südlichen Seite der Vortribüne, auf absplitternden Holzbänken, und sahen auf dem in gleißendes Flutlicht getauchten Rasen eine Partie, die einen so ganz anderen Verlauf nahm, als ich es mir vorher ausgemalt hatte.
Okocha. Yeboah. Ungeschlagen. Wie ein furchtbares Ungeheuer mit scharfen Zähnen und einer übernatürlichen Anzahl an riesigen Pranken hatte sich die Eintracht in meiner kindlichen Vorstellung manifestiert. Was sollten wir, der kleine MSV, schon gegen diesen schier übermächtigen Gegner ausrichten? Vielleicht half die Tatsache, dass der gefürchtete Yeboah an diesem Abend gar nicht auflief und der ebenso gefürchtete Okocha nur die letzte halbe Stunde mitwirken durfte (zumindest laut Statistik, in meiner Erinnerung haben sie beide von Anfang an gespielt). Vor allem aber half ein Mann, der in der 42. Minute per Kopf Uli Stein im Tor der Hessen überwand und so den einzigen Treffer des Abends markierte. Sein Name war Michael Preetz, und das ganze besondere daran für mich war, dass ich an eben jenem Vormittag, als mein Opa mir so ehrfürchtig von unserem heutigen Gegner erzählt hatte, ein Tütchen Paninibilder aufriss, in dem sich auch das Bildchen von Michael Preetz befand. Ich hatte den Namen noch nie zuvor gehört, den MSV gab es in meinem Leben erst seit vier unschuldigen Wochen, und daher fragte ich: "Opa, wer ist das?" Und mein Opa sagte: "Mein Kind, das ist Michael Preetz, der ist Stürmer beim MSV. Und pass auf, der schießt heute Abend ein Tor."
Er schoss, und die Zebras schlugen die Unschlagbaren mit 1:0. Es war der erste Sieg, den ich mit den Zebras erlebte, genau genommen war es sogar auch das erste Tor, das ich sah, denn bei meinem ersten Besuch, einem 2:2 gegen Borussia Dortmund, waren mir die Zuschauer und alles andere im weiten Rund noch sehr viel spannender vorgekommen als das Geschehen auf dem Platz, so dass ich bei beiden Toren nicht hingeschaut hatte, und bei meinem zweiten Besuch sah ich ein torloses Remis gegen K*ln. Der erste Sieg, das erste Tor. Hätte man mir damals gesagt, dass ich von beidem in meinem Leben nicht übermäßig viele mit diesem Verein werde feiern können, wer weiß, ob ich dann der Fan wäre, der ich heute bin. Vermutlich aber schon.