Entschuldigt bitte, aber ich muss mir mal eben das "Trauma" von der Seele schreiben, welches diese Saison in mir hinterlassen hat.
Wie viele Jahre hat diese Spielzeit eigentlich gedauert? War es wirklich nur ein knappes Jahr, das zwischen Pokalfinale und der "Klassenerhaltsparty" gegen Aue gelegen hat?
Es war die Saison, in der wir die 2. Liga zu schätzen lernten.
Wir lassen keine Gelgenheit aus zu betonen, dass wir Bundesligagründungsmitglied sind und wir singen zu Beginn jedes Spiel ein Lied, in welchem es heißt:"Zweite Liga tut schon weh". Wir schauen auf die mittlerweile etablierten Erstligisten wie Hoffenheim, Wolfsburg, Leverkusen und sagen uns:"Wecke mich mal bitte jemand aus diesem komischen Traum auf!".
Die legendären 15 Minuten von Berlin und danach verlässt fast alles das Schiff, was laufen kann. "Ach was", ist zu lesen. "Alle Abgänge wurden überkompensiert". Aber auch charakterlich und während der kurzen Vorbereitungszeit?
6.000 beim ersten Training des designierten Aufsteigers. Die Toptransfers aus Cottbus werden vorgestellt und dann tönt es durch die Lautsprecher:"Und heute erst verpflichtet... Florian Fromlowitz". Menschen liegen sich in den Armen. Zwischen dem KSC und uns sind gerade 15 Sekunden gespielt, da liegen sie sich wieder in den Armen. Das ist der Weg zurück an die Spitze. Wir können ihn für Sekunden ganz deutlich am Firmament erkennen -doch dann verblasst das Bild... dank Klemen Lavric. In welchem Film sind wir hier eigentlich gelandet?
Das erste Heimspiel gegen Cottbus. Diese hitzige "Pokalrevanche" des Pele Wollitz liegt gefühlte 10 Jahre zurück. Erst Unvermögen und nun Pech. Auf der Habenseite stehen jedenfalls 0 Punkte. Ist erst einmal der Start verpatzt, ist grundsätzlich alles möglich und die Saison nimmt ihren Lauf...
Pauli und Bochum. Teilweise mehr als nur "bemühte" Versuche der Mannschaft, das Ruder rumzureißen. Aber irgendwie hilflos. Bemitleidenswert. Jedesmal der Nackenschlag in allerletzter Sekunde. Zum Verzweifeln oder auch zum Ausflippen: In Bochum knallt es nach dem Spiel im wahrsten Sinne des Wortes.
Pokalaus in der 2. Runde. Nicht einmal auf Fromlowitz ist mehr Verlass! Es gibt keinen Lichtblick mehr in dieser Mannschaft, die diesen Namen nicht verdient. Zitat Sukalo:"Diese Mannschaft ist Schei*se". Derweil giften sich die Verlierer von Kiel öffentlich auf dem Platz an. Mit dem Pokalaus scheinen wir auch in wirtschaftlicher Hinsicht den letzten Schritt in Richtung Abgrund gegangen zu sein. Grablichter und Transparente am Wedaustadion. Ein Bild von drei Affen macht die Runde: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Aber zumindest gegen die "üble Nachrede" im MSV-Portal zeigt der Vorstand Einsatz. Kretschmer hat längst hingeworfen. Nun folgt auch Karpathy. Schlammschlacht und Intrigantenstadel an der Wedau. Steffen gegen Tomalak. Tomalak gegen Steffen. Bald werden auch sie MSV-Geschichte sein.
Gibt es zu diesem Zeitpunkt in unserem Verein auch nur einen einzigen Ansatzpunkt, der Hoffnung macht?
Milan Sasic ist es längst nicht mehr. Vom Wundertrainer zum Versager innerhalb weniger Monate. Tränen der Fans und des Trainers bei seinem Abschied an der Wedau. Ergreifend und unvergesslich -trotz all des Misserfolgs. Ein ehemaliger Torwart soll es nun richten. Was soll aus uns nur werden?
Selbst der "Neue-Trainer-Effekt" bleibt aus. 0-3 gegen 1860 trotz ordentlichen aber harmlosen Spiels. Was soll uns ernsthaft noch retten?
Aachen -erste Allgemeinmobilmachung. 2.500 Zebras. Schon in dieser frühen Phase der Saison steht dem MSV das Wasser bis zur Oberkante Unterlippe. Doch die Jungs halten dem Druck stand. Am Ende doch nur ein Punkt, der aber den Sturz auf einen Abstiegsplatz verhindert.
Es gibt einen Aufwärtstrend. Ein Sieg über Braunschweig und Exslager schießt den MSV in letzter Minute zum Sieg in Aue. Vor dem Ddorf-Spiel geht die Mannschaft einen trinken. Ordentliche Leistung aber Derbypleite. Ein Sieg gegen den KSC und ein in Cottbus trotz Unterzahl erkämpfter Punkt scheinen die Trendwende zu untermauern.
Das Fußballjahr 2012 beginnt wie bereits die Hinrunde mit einer ebenso unglücklichen wie richtungsweisenden Niederlage. Der vor der Winterpause so treffsichere Brosinski erwischt einen schwarzen Tag. Nach 10 Minuten müsste es 3-0 für den MSV stehen. Am Ende steht es 1-2. Statt möglichen neun Punkten Vorsprung auf Platz 16 sind es nur noch drei. Willkommen zurück im Abstiegssumpf! Die folgenschwerste Niederlage dieser Saison!
Danach geht es richtig los. Ohne Abwehr in Rostock beim Schlusslicht. Ohne Moral in Rostock und Dresden. 5 Niederlagen in Folge. Da geht er dahin unser MSV. Spieler und Fans fahren sich gegenseitig über den Mund und später auch noch fast über den Haufen. Was noch?
Fürth... ein weiterer Tiefpunkt, aber zugleich auch eine Wende. Wäre dieses Spiel 0-0 ausgegangen, hätte man ob der Überlegenheit des MSV unzufrieden nach Hause gehen müssen. Doch wenn du als Zebra denkst: Mehr Bestrafung geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein noch gewaltigerer Nackenschlag her. Der MSV verliert das Spiel in der Schlussphase. Grenzenlos unverdient. Die gleich nach dem ersten gewonnenen Zweikampf von Supportboykott auf fanatische Anfeuerung umschaltenden Fans liegen am Boden.
Da sitzen sie -meine Sitzplatznachbarn. Menschen, die ängstliche Gemüter in finsterer Nacht lieber nicht begegnen würden. Diese grimmigen Hunde haben mit dem MSV schon jede Schlacht geschlagen und jeden Leberhaken weggesteckt. Doch nun sitzen sie immer noch regungslos da, obwohl dieses verdammte Fürth-Spiel schon seit Minuten abgepfiffen ist. Ich gucke mir den "Glatzkopf" ein paar Plätze weiter an, mit dem ich in all den Jahren -ohne dass es hierfür einen besonderen Grund gab- nie viele Worte gewechselt hatte. Leere und nur noch mit Tränen gefüllte Augen. Rechts neben mir mein langjähriger Freund: Dito. Irgendwie schien ich der einzige in unseren Reihen zu sein, der noch etwas Kraft und Zuversicht in sich spürte. Also ging ich hin. Zu den Unbekannten und zu den Freunden. Ich zog sie hoch und munterte sie auf. Das war doch heute besser! Aber ich weiss genau: Wahre Absteiger zeichnen sich gerade durch unglückliche Niederlagen aus!
Nach dem Spiel der Schachzug: Der Mannschaft wird die Entscheidung über Recks Schicksals überlassen.
Eine Woche später die 90. Minute bei Union Berlin -und die Kraft ist bei mir ebenfalls verschwunden. Ich sitze mitfiebernd vor dem Fernseher und sehe den neuerlichen Gegentreffer in letzter Minute. Meine Holde spricht mich entsetzt an, ich antworte und merke, dass meine Stimme sich nicht mehr so anhört wie gewohnt. Irgendwie gebrochen. Ich halte für diesen Abend besser meine Klappe. 1-1 bei Union. Exes Tor reichte nicht. Warum nicht?
Der mittlerweile große Kampf der Truppe wurde einfach nicht belohnt. Alles schien sich gegen uns verschworen zu haben. Oft stellten wir uns auch dumm an. Noch neun Spiele! Wo sollen wir denn noch die nötigen Punkte holen? Gegen Paderborn? Gegen Frankfurt? Gegen Düsseldorf? Ja!
Die Zeit lief uns davon. Alle 14 Tage dieses Knipsen und schon wieder war ein Spiel von meine Jahreskarte gelöscht. Wie eine tickende Zeitbombe. 2/3 der Saison ist gespielt, aber es zeichnet sich immer noch nicht -auch nicht ansatzweise- eine Stammformation ab. Sichere Symptome eines Patienten auf dem Sterbebett.
Die Kehrtwende, nein der Urknall gegen Bochum. Der Bock wurde umgestoßen. Von
einem Mann. Von unserem "Hooligan". Die Mannschaft hatte zuvor schon längst gut gekämpft und teilweise auch besser gespielt, aber nun war wirklich einer da, der ernst machte. Einer, der diese Todesverachtung hatte, uns aus der Todeszelle herauszubomben. Gegen Bochum hat sich jeder Fan, jeder Spieler zerrissen und sein Hab und Gut mit Klauen verteidigt. Und so mancher Gegenspieler wurde auch zerrissen und notfalls auf dem Altar des Klassenerhalts geopfert. Das war einfach nur reiner Wille, reiner Überlebenstrieb, dem Bochum trotz spielerisch besserer Linie nicht gewachsen war. Irgendwie scheinen sich die Bochumer von ihrem Schreck, den sie in der 2. Halbzeit in der Knochenmühle Wedaustadion erlebt haben, nicht mehr erholt zu haben.
Danach die Paderborn-Invasion. Ich habe nie zuvor so viele MSV-Tattoos gesehen wie an jenem warmen Frühlingstag. Motivation und Adrenalin pur. Der Favorit wird niedergesungen, niedergerannt und niedergerungen.
Wir punkten weiter. Gegen Frankfurt sind wir plötzlich so weit, ein ungefährdetes 2-0 gegen den Tabellenführer einzufahren. Es wird bis auf unsere obligatorische 1860-Pleite nicht mehr verloren. Aufeinmal sind Namen wie Exslager, Wiedwald oder Öztürk da. Am letzten Spieltag geht es in Ddorf um nichts mehr, aber sie beissen in Unterzahl wie die Wilden. Gepflegte Spielzüge sind mittlerweile gelegentliche Wegbereiter der MSV-Erfolge. Gjasula steht plötzlich für die genialen Momente.
Ist erst einmal EIN Spiel gewonnen, ist plötzlich in JEDEM Spiel ein Sieg möglich. Es war einfach Bochum. Es war einfach Exslager. Verlierst du dieses Spiel, in welchem du zurückgelegen hast, verlierst du alle Spiele danach und steigst ab. Gewinnst du es, gewinnst du plötzlich alles, was noch kommt! Das war 5 vor 12. Das ist Fußball! Das ist Psychologie!
Diese Saison hat mich in meiner persönlichen Liebesgeschichte zum MSV nochmal auf eine andere Ebene gehoben. Ich habe diese Verbundenheit immer stark gespürt, aber im Angesicht des drohenden wirtschaftlichen und sportlichen Endes wurde daraus noch mehr. Gefühle der Verbundenheit, die man nicht erlebt, wenn man gerade das Pokalfinale erreicht. Das ist einfach Jubel, Trubel, Heiterkeit. Diese Saison war auch ein Kampf für das eigene Leben, denn der MSV ist einfach ein wichtiger Bestandteil unser aller Leben.
Es war auch etwas anderes als ein Abstiegskampf in Liga 1. Hier ging es wirklich um die Existenz und wir haben verdammt nochmal die unglaubliche Prüfung bestanden. Es ging auch um das wirtschaftliche Dasein. Auch hier war plötzlich einer da, der bei Tag und Nacht nach einer Lösung gesucht und diese gefunden hat.
Ich glaube, diese Höllen-Spielzeit, dieser Tanz auf der Rasierklinge hat alle, die sich auf oder jenseits des Platzes mit dem MSV verbunden fühlen, zusammengeschweißt und mehr noch motiviert als jemals zuvor. Wir haben es gemeinschaftlich überstanden.
Und auch in unseren Reihen im Oberrang ist man enger zusammengerückt. Wo man jahrelang ohne von einander Notiz zu nehmen in wenigen Metern Abstand die Spiele des MSV verfolgte, ist in der Not dieser Saison etwas zusammengewachsen. Und das macht sich auch bei der Stimmung bemerkbar.
Irgendwann MUSSTE eine solche Horror-Saison mit möglichen Abstieg in Liga 3 oder tiefer einfach kommen. Wir haben es immer gewusst. Ebenso klar wie, dass wir wieder nach Berlin kommen, war auch, dass wir irgendwann eine Saison spielen werden, in welcher alles gegen uns läuft. Eine solche Saison muss man einfach nur überleben und wir haben sie überlebt. Als Mannschaft, Fans, als Verein sind wir heute viel weiter als nach dem Pokalfinale in Berlin. Moralisch, sportlich und wirtschaftlich. Aber der Weg ist noch gerade in den nächsten Wochen lang und beschwerlich. Geht diesen Weg mit dem zerbrechlichen, aber irgendwo doch "unkaputtbaren" MSV, der sich in tiefster Not mit Mannschaft, Fans und Verein so bärenstark präsentiert hat. Macht ihn noch stärker! Leistet euren Beitrag -vom Fan bis zum Sponsor.
Wir sehen wieder eine Perspektive und haben noch die Angst von dieser Saison im Nacken. Vor diesem Hintergrund werden wir alles unternehmen, unserem MSV zu helfen, damit uns der einzig wahre Verein im Ruhrpott erhalten bleibt. Der Verein mit unendlich viel wahrhaftiger und gelebter Identifikation in seinem verglichen mit Dortmund oder Schlacke sehr überschauren Umfeld. Dauerkarten, Spenden, Fanartikel, Mitgliedschaft, unsere Stimme, unsere Kraft -alles für den MSV! Aber zunächst gönnen wir uns mal ein paar Tage Ruhe.
Es war eine Saison, in der wir die 2. Liga schätzen lernten. Ich freue mich auf Köln, aber auch auf Sandhausen. Solange nur 11 kämpfende Zebras auf dem Rasen stehen, ist der Name des Gegners zweitrangig. Und ich freue mich auf Oliver Reck und seine Jungs respektive Männer! Diesen Vertrauensvorschuss haben sie sich nach den letzten 10 Spielen einfach verdient.
MSV, wir sind da, jedes Spiel ist doch klar!