K
Kees Jaratz
Der Video Assistant Referee beeinflusst unsere Gefühle im Stadion. Keine Frage, dass der VAR deshalb in meinem Programm zum Glück im Fußball die passenden Worte bekommt. Keine Frage aber auch, dass mich andere deutende Perspektiven zum VAR ebenfalls interessieren. Schließlich kann das Offensichtliche auch tiefere Einsichten verbergen.
Als im September die Deutsche Gesellschaft für Soziologie in Duisburg ihren Kongress abhielt, und eine Woche lang in Vorträgen und Diskussionen Erhellendes über die Gegenwartsgesellschaft zu erfahren war, stieß ich zufällig bei Bluesky auf Schaubilder eines Kongress-Vortrags von Dr. Diana Lindner und Charlotte Nell, Soziologinnen an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Die zwei Folien des Vortrags interessierten mich, weil sie den Einfluss des VAR in Begriffe brachten, die die Einführung des VAR als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung erkennbar machten. Mich erinnerte das daran, dass auch viele politische Entscheidungen zur Beratung an Expertenrunden verwiesen werden.
Für ihre Studie greifen die zwei Soziologinnen auf eine phänomenologische Unterscheidung von Herrmann Schmitz zurück und weisen der Entscheidung des Schiedsrichters die Eigenschaften einer „Situation“ zu und den Entscheidungen des VAR die der „Konstellation“. Auf diese Weise werden die vom Publikum intuitiv erfassten Folgen der Einführung des VAR differenziert beschreibbar.
Den Schiedsrichter interpretieren sie dabei als „Hermeneutischen Dirigenten“ und den VAR als „Parametrischen Accountant“. Lasst euch von der soziologischen Begrifflichkeit nicht schrecken. Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Eigenschaften beider Entscheidungsverfahren ist erhellend. Für das intuitive Empfinden und den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang ist vor allem die Zurechnung interessant. Die Entscheidung geschieht in einer Art Blackbox. Wer wie verantwortlich ist, zeigt sich nicht.
Nicht nur auf politischer Ebene lässt sich diese Entwicklung feststellen. Wir kennen alle Versuche aus unserem Alltag, in Institutionen mit jemanden zu sprechen, der Verantwortung für unser Anliegen übernimmt. Wie mühselig ist manchmal der Weg dorthin, und wie ratlos sind dann die Mitarbeiter der Institutionen oft, weil an anderer Stelle eine Entscheidung getroffen wurde, über die wir mit ihnen reden wollen.
Die Einführung des VAR hatte unweigerliche Konsequenzen für die Rolle des Schiedsrichters auf dem Platz. Kurz gesagt, seine Autorität wird angegriffen. Verantwortung verschwimmt, ausgelagert in ein System außerhalb des eigentlichen Geschehens wird sie unpersönlich.
Dem Vortrag liegt der von Diana Lindner, Charlotte Nell und Hartmut Rosa verfasste Aufsatz „Die Angst des Schiris vor dem VAR“ zugrunde – open acces und hier abrufbar.
Weiterlesen...
Als im September die Deutsche Gesellschaft für Soziologie in Duisburg ihren Kongress abhielt, und eine Woche lang in Vorträgen und Diskussionen Erhellendes über die Gegenwartsgesellschaft zu erfahren war, stieß ich zufällig bei Bluesky auf Schaubilder eines Kongress-Vortrags von Dr. Diana Lindner und Charlotte Nell, Soziologinnen an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Die zwei Folien des Vortrags interessierten mich, weil sie den Einfluss des VAR in Begriffe brachten, die die Einführung des VAR als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung erkennbar machten. Mich erinnerte das daran, dass auch viele politische Entscheidungen zur Beratung an Expertenrunden verwiesen werden.
Für ihre Studie greifen die zwei Soziologinnen auf eine phänomenologische Unterscheidung von Herrmann Schmitz zurück und weisen der Entscheidung des Schiedsrichters die Eigenschaften einer „Situation“ zu und den Entscheidungen des VAR die der „Konstellation“. Auf diese Weise werden die vom Publikum intuitiv erfassten Folgen der Einführung des VAR differenziert beschreibbar.
Den Schiedsrichter interpretieren sie dabei als „Hermeneutischen Dirigenten“ und den VAR als „Parametrischen Accountant“. Lasst euch von der soziologischen Begrifflichkeit nicht schrecken. Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Eigenschaften beider Entscheidungsverfahren ist erhellend. Für das intuitive Empfinden und den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang ist vor allem die Zurechnung interessant. Die Entscheidung geschieht in einer Art Blackbox. Wer wie verantwortlich ist, zeigt sich nicht.
Nicht nur auf politischer Ebene lässt sich diese Entwicklung feststellen. Wir kennen alle Versuche aus unserem Alltag, in Institutionen mit jemanden zu sprechen, der Verantwortung für unser Anliegen übernimmt. Wie mühselig ist manchmal der Weg dorthin, und wie ratlos sind dann die Mitarbeiter der Institutionen oft, weil an anderer Stelle eine Entscheidung getroffen wurde, über die wir mit ihnen reden wollen.
Die Einführung des VAR hatte unweigerliche Konsequenzen für die Rolle des Schiedsrichters auf dem Platz. Kurz gesagt, seine Autorität wird angegriffen. Verantwortung verschwimmt, ausgelagert in ein System außerhalb des eigentlichen Geschehens wird sie unpersönlich.
Dem Vortrag liegt der von Diana Lindner, Charlotte Nell und Hartmut Rosa verfasste Aufsatz „Die Angst des Schiris vor dem VAR“ zugrunde – open acces und hier abrufbar.
Weiterlesen...