Neuer Trainer, neues Taktikglück? Was macht Hagen Schmidt anders als seine Vorgänger? Macht er überhaupt etwas anders oder ist er nur emotionaler in der Ansprache und aktiver an der Seitenlinie?
Formativ war schon im Training und gegen Hellas zu erkennen, dass HS auf eine Solo-Sechs und zwei Achter/Zehner setzt. Theoretischer Vorteil gegen einer Doppel-Sechs: Mehr offensive Präsenz, formative Besetzung der strategisch wichtigen Halbräume und eine bessere Staffelung fürs Kombinationsspiel (Dreiecke/Raute des Sechsers zu IV/Torwart und Achter/Stürmer). An dieser Stelle interessant: Auch Lieberknecht setzte auf diesen Ansatz und wurde mit den Argumenten vor die Tür gesetzt, dass diese Anordnung nicht den Vereinsvorgaben entspricht. Im NLZ wird bekanntlich im 442/4231 gespielt (auch wenn die Übergänge natürlich fließend sein können).
Trotzdem war schon gestern ersichtlich, dass HS damit unsere größte Baustelle im Ballbesitz (das Übergangsspiel zwischen Aufbau- und Angriffsdrittel) angegangen ist. Auch die Rollenbesetzung mit Pusch und Frey fand ich passend. Beide blühten im Vergleich zu ihren alten Positionen sichtbar auf. Frey spielte weiträumiger und aktiver als auf der Doppel-Sechs, Pusch wurde nicht durch die Seitenlinie eingeschränkt und konnte kreativer agieren. Zu Stoppel auf der Acht habe ICH eine eher reservierte Meinung. Ich denke, er ist auf links außen stärker, zumal Bakir da nur eine Notlösung zu sein scheint.
Auch wenn es den einen oder anderen vielleicht nervt: Auch hier sieht man wieder einmal wieso Trainerwechsel mitten in der Saison ohne eine nachhaltige Kaderplanung, die sich an ein Vereinskonzept anlehnt, suboptimal ist und Potential verschenkt. Zum x-ten Mal unter Grlic passen Kader und Traineridee nicht 100%ig zusammen. Zudem sind wir jetzt eigentlich in etwa wieder da angelangt, wo Lieberknecht aufgehört hat, aber am unpassend zusammen gestellten Kader des Sommers 2020 gescheitert ist. Wenn man es hart formuliert, haben wir ein Jahr verschenkt und in dieser Zeit viel Geld durch den Kamin gejagt.
Nun gut, auf jeden Fall hat man gestern schon gesehen, dass wir im Ballbesitz wieder einen klareren Plan haben und zumindest das Bemühen und die Bereitschaft erkennbar war, über Kombinationsfussball zu Torchancen zu kommen (Rochaden, kommen-gehen, wenn einer der Achter tief geht, kommt der andere kurz, Halbraumpräsenz, steil-klatsch-Elemente). Dass alles war jetzt nicht revolutionär, aber konsequenter fokussiert als unter Dotchev oder Lettieri (der darauf schlicht gar keinen Wert gelegt hat).
Gegen den Ball passte man die Formation leicht an die Gäste an, so dass sich eher 4-3-3 bzw. 4-2-1-3-Staffelungen ergaben. Ademi lief den zentralen Verteidiger an. Ajani und Bakir positionierten sich zwischen Halbverteidiger und dem Lauterer Flügelspieler. Manchmal wurde in die Mitte gelenkt (indem der Halbverteidiger bogenförmig angelaufen wurde), allerdings für mein Empfinden etwas unscharf. Wenn der Pass doch auf den Flügelspieler kam, wurde rückwärts gepresst, vor allem wenn unsere AV tief standen und die Wege zu weit waren, um Zugriff zu bekommen. Tendenziell hatten unsere AV schon den Auftrag nach einem Anspiel auf den Lauterer Flügelspieler auf diesen rauszuschieben und ihn am Aufdrehen zu hindern. Das gelang wegen der langen Wege nicht immer. In diesem Fall war das Rückwärtspressen dringend nötig.
Im Zentrum verteidigten wir schlicht 1 gegen 1 mit klaren Mannorientierungen. Da Lautern mir einem Sechser und zwei Achtern spielte, war Frey meist fast auf einer Höhe mit Stierlin und tiefer als Stoppel, der sich um den einzigen Sechser Ritter kümmerte. Selbst wenn dieser sich nach hinten in die Kette fallen ließ blieben die Mannorientierungen bestehen (Stoppel rückte also zu Ademi auf), allerdings "nur" auf das Anlaufen und nicht auf das Erobern bezogen. (Kurze Erklärung: Der Unterschied liegt einfach darin, dass der Gegenspieler in der Kette eine offene Stellung hat, während Anspiele in die Formation meist in geschlossener bzw. halboffener Stellung verarbeitet werden. Dieser Umstand erschwert natürlich den Ballvortrag, so dass die Gegenspieler (in dem Fall die Spieler des MSV) auf die Balleroberung und Umschaltmomente lauern können).
Genau deswegen machte es auch Sinn, die Halbverteidiger nach innen lenkend anzulaufen (denn dann spielen sie dahin, wo man erobern möchte). Allerdings kam es selten zu wirklich klaren Balleroberungen. Die zentralen Lauterer Spieler wussten natürlich um die Gefahr, ließen meist klatschen oder es wurde drumherum oder oben drüber gespielt. Trotzdem kann man das als Erfolg verbuchen, einfach weil man dem Gegner die attraktivsten Angriffswege durch die Mitte damit versperrte.
Insgesamt war die Arbeit gegen den Ball in der ersten Halbzeit eher etwas abwartend und passiv, dafür aber ausreichend kompakt und stabil, und auch nicht zu kräfteverschleißend und wild. Der Nachteil dieser Ausrichtung war, dass man in höchsten Zonen kaum Balleroberungen hatte, den Gegner wenig stresste und Lautern in der Aufbaulinie relativ ungestört zirkulieren konnte. Das wurde dann zur zweiten Halbzeit geändert. Man gönnte Lautern den ruhigen Ballbesitz nicht mehr, lief aktiver an und lenkte auch stärker zur Seite als zur Mitte. Da der MSV auch im Ballbesitz positionell mutiger wurde und Lautern mit der Führung im Rücken vielleicht etwas absichernder spielte, kippte das Spiel ein wenig in unsere Richtung. Während Lautern in Halbzeit 1 eine Spur aktiver wirkte, war die zweite Halbzeit von unserer Seite dominanter.
Interessant auch, dass Lautern trotzdem versuchte ein paar Mal hoch anzulaufen, wir das aber sehr gut (durchs Zentrum) umspielt bekamen. In meinen Augen auch ein Verdienst der 1-2-Staffelung im Mittelfeld (die Achter können sich aus höheren Räumen dynamisch mit Tempo anbieten) und dem aktiven Freilaufen von Pusch und Frey.
Als Fazit würde ich sagen, dass HS aus taktischer Sicht keine Revolution vollzogen, sondern eher an kleinen Details gefeilt hat. Die Formation im Ballbesitz wurde geändert um dass Übergangsspiel zu verbessern, gegen den Ball passte man sich erst dem Gegner und zur Halbzeitpause dem Spielverlauf an. Das sind alles nachvollziehbare Schritte, die gewürzt mit der emotionaleren Ansprache und dem Trainerwechseleffekt zu einem gutem Spiel geführt haben. Ich denke wirklich, dass Lautern in der derzeitigen Verfassung nicht leicht zu spielen ist und wir eigentlich in allen Spielphasen Antworten hatten.
Kein Grund übermäßig euphorisch zu sein, aber sein Handwerk versteht der neue Mann anscheinend auf jeden Fall. Eine Prognose inwieweit er die Entwicklung auch in Zukunft positiv gestalten kann, traue ich mir aber nicht zu. Dafür braucht er langfristig den Rückhalt der Mannschaft und des gesamten Vereins. Und daran soll es beim MSV ja schon mal gehapert haben...
