Heute war es endlich soweit. Ich durfte zum ersten Mal in meinem Leben das eines der weltweit wichtigstens Derbys live im Stadion beiwohnen. Mein Lieblingsclub Fenerbahce spielte gegen den Erzrivalen Galatasaray. Diese Begegnung wird zusammen mit den Stadtrivalitäten in Glasgow zwischen Celtic und den Rangers, in Rom zwischen Roma und Lazio und Buenos Aires zwischen River Plate und Boca Juniors genannt. Der Hass ist nicht bedingt durch Religion wie in Glasgow oder sozial wie in Rom. Um ehrlich zu sein, weiß keiner so richtig, woher diese Rivalität, die schon seit über 100 Jahren besteht, herkommt. Fakt ist aber, dass beide die erfolgreichsten Clubs der Türkei sind und vielleicht ist das ja der entscheidenste Grund, warum so viel Spannung zwischen ihnen herrscht. Die Saison für Fener lief alles andere als optimal. Nach 9. Wochen findet Fener, der in der letzten Saison die europäische Fußballgemeinde durch überraschende Siege gegen Inter, Sevilla und Chelsea verzückt hatte, auf dem 9. Tabellenplatz wieder. Das Team, an dem sich noch letztes Jahr weltklasse Fußballer die Zähne ausgebissen haben, lässt gegen "Fußballriesen" wie Gaziantep oder Eskisehir Punkte liegen. Galatasaray hingegen muss zwar noch seine Linie in der Liga finden, ist aber im europäischen Wettbewerb total im Soll. Mit Siegen gegen Olympiakos (1-0) oder in Benfica (2-0) vor einer halben Woche, hat man sich jetzt schon für die nächste Runde qualifiziert. Vor allem beim letzten Spiel wussten die Rot-gelben zu überzeugen. Das Sükrü Saracoglu Stadion, bekannt als "Kadiköy Cehennemi", also als die Hölle von Kadiköy, ist diese Saison nicht mehr die Festung, die es mal war. Seit Monaten hat man hier nicht mehr verloren, nicht mal wettbewerbsübergreifend in der Champions League. Doch in dieser Spielzeit haben Kayseri (1-4) in der Liga und Arsenal (2-5) in der Champions League den Bann gebrochen. Aber eine Statistik besteht immer noch. Seit 11 Jahren hat Galatasaray jedes seiner Spiele hier verloren...ob es weiter so bleibt? Ich machte mich also mit geteilten Gefühlen und runtergeschraubten Erwartungen auf dem Weg ins Stadion. Bereits um 15:00 Uhr, 4 Studen vor dem Anpfiff saß ich schon im Bus in Richtung Kadiköy, in welchem schon zahlreiche Menschen mit Fenerbahce- Trikots saßen. Um 15:30 Uhr kame der Bus dann am Kadiköyer Hafen an, von dort aus man noch 10 Minuten Fußweg zum Stadion hat. Was ich während meines Marsches zum Sükrü Saracoglu zu Gesicht bekam, habe ich bis dato noch nie in meinem Leben gesehen. Der ganze Stadtteil (über eine Millionen Einwohner) war in gelb-blau getauft. Es hingen meterhohe Fahnen aus Gebäuden, jeder zweite Fußgänger trug ein Fenerbahce- Trikot. Es wurden Fener- Märsche angestimmt, getrunken, getanzt, es wurden Bengalos gezündet...kurzrum: man hatte Spaß. Aber natürlich wurden dabei auch Schmähgesänge gegen den Erzfeind nicht ausgelassen...es war ja Derby- Time. Ich ließ mich also noch mehrere Minuten von dieser Atmosphäre mitreißen und stand dann um 16:30 Uhr, 2,5 Stunden vor Anpfiff in der Schlange vor dem Stadion. Nach einiger Zeit hörte ich ein lautes Brummen eines Motors. Ein feuerroter Ferrari fuhr vor das Stadion vor und drehte seine Runden. Das Cabriodach war aufgeklappt, woraus ein Plüschlöwe rausragte. "Oh, weia", dachte ich. Der Typ war echt lebensmüde sich mit dieser schönen Karosse mit dem Maskotten von Galatasaray zwischen Fener- Anhänger zu wagen. Doch ich hatte falsch gedacht. Plötzlich drang die Fenerbahce- Hymne aus der Stereoanlage des Ferrari und dem süßen Plüschlöwen wurde eine Nudelrolle in den Hintern gesteckt. Metaphorisch für das, was Fenerbahce Galatasaray auf dem Spielfeld antun würde. Mein Platz im Stadion war auf der Migros- Tribüne, direkt dem Gästeblock. Provokationen waren also vorprogrammiert. Sachen wurden hin und her geschmissen zwischen den Fanlagern und ich bekam, ohne Scheiß, fast eine Plastikflasche gefüllt mit Ketchup gegen den Kopf, welche wohl durch das Auffangnetz, welches über die Gästefans gespannt wurde, durchgepflutscht ist. Die Stimmung war so aufgehetzt und tierisch laut. Nichts, was ich bisher erlebt habe in einem Fußballstadion, war mit dieser Situation zu vergleichen. Man muss sich das quasi so vorstellen: Die Reaktion von Duisburger Fans, wenn Babak Rafati ein Spiel des MSV verpfeifft, wobei es um den Klassenerhalt geht multipliziert mit 100 und dann die Potenz dazu nehmen. Ich wurde fast taub, als ich dort stand. Das Highlight während des Warmmachens war die Aktion mit Emre Belözoglu. Emre hatte früher lange Zeit bei Galatasaray gespielt, holte mit ihnen den UEFA- Cup und den Supercup, hatte also die beste Zeit seiner Karriere dort. Nach Galatasarays Europe Domination Tour während der Jahrtausendwende, wechselt auch er in Ausland: nach Inter Mailand nach Italien. Darauf dann nach Newcastle in England. Vor der Saison wollte Galatasaray seinen alten Schützling um jeden Preis zurückholen. Dieser entschied sich aber für Fenerbahce mit der Begründung, er sei schon immer Fenerbahce- Fan gewesen. Von da an, war natürlich das Tuch zwischen ihm und der ganzen Galatasaray- Gemeinde durchschnitten. Aber heute sollte die Spitze des Eisberges erreicht werden. Während sich Emre vor dem Spiel warm machte rief ihn die Migros- Tribüne mit Sprechchören zu sich. Er kam zur Migros, machte wie Welle, küsste das Fener- Wappen auf seinem Trikot...alles genau vor den Augen des Gästeblocks. Das Pfeiffen danach piept immer noch in meinen Ohren. So eine Aggression habe ich noch nie erlebt. Galatasaray- Fans sind ausgerastet. Dies ist aber noch nicht alles. Fener Fans riefen danach "Emre, Cimbomun anasini si*", was soviel heißt wie, "Zeig Galatasaray, wo es langgeht", nur tausendmal vulgärer, worauf Emre dann applaudierte. Diese Prozedur wiederholte sich dann ganze drei Mal. Galafans fraßen vor Wut ihre Schals auf, Fenerfans gingen ab vor Genugtuung. Es hat zwar Spaß gemacht, solch einer ungewohnten Situation beizuwohnen. Aber mit Fairness hatte das nichts zu tun, Herr Emre Belözoglu. Als die Spieler dann Einliefen zum Anstoß wurde eine Choreographie gezeigt, welches sich über das ganze Stadion durchzog. Auf einem Transparent stand "Lord of Istanbul" auf einem anderen "Herkez haddini bilecek" (soviel wie: jeder hat sich unterzuordnen), dazu reichlich Konfetti, Bengalos und Sprechchöre...richtig geil! Leider habe ich kein Foto davon Das Spiel fing an und Fener ging nach einer Minute schon in Rückstand. Na super...das hat ja gut angefangen. Doch 5 Minuten später erzielte Selcuk nach einem Eckball von Deivid den Ausgleichstreffer. Vor der Pause schenkte sich Emre Asik Galatasaray noch selbst einen ein, sodass wir mit einer 2:1- Führung in die Kabine gingen. Auch nach der Pause ließ Galatasaray Fener locker aufspielen und kassierten noch weitere 2 Tore, eins von Lugano und eins von Deivid, sodass es am Ende für uns hieß: 4-1 Sieg, alle waren froh. Die Galatasaray- Fans im Gästeblock hatten nach dem 3:1 schon nichts mehr gesagt. Wahrscheinlich haben ihnen die Schals, die sie während der Aktion von Emre Belözoglu vor Wut verputzt hatten, ihnen nicht bekommen Egal wie schlecht die Saison für Fenerbahce aussieht. Ob sie in einer Krise stecken oder nicht. Wenn es gegen Galatasaray zuhause geht, wird immer gewonnen. Frei nach dem Motto: "Iste bu böyle, her sene böyle, bu senede böyle, Galatasaray´a koyariz" (So siehts aus! Jedes Jahr ist es so, dieses Jahr ist es auch so, wir machen Galatasaray fertig) Richtig geiler Abend, den ich lange nicht vergessen werde. Danke, Fener!!! PS: leider mussten unsere Duisburger Flachpfeifen mir den Tag vermiesen mit dieser unnötigen Niederlage...aber was solls, Bommer wurde entlassen
