Opfer der Einkaufswut

Dieses Thema im Forum "1. Bundesliga" wurde erstellt von Spechti, 24 Juli 2006.

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    Opfer der Einkaufswut

    So viele Spieler, so wenig Platz: Trainer Jupp Heynckes verwaltet in Mönchengladbach einen Spieler-Überfluss.
    Von Ulrich Hartmann

    Jupp Heynckes hat ein Problem. Wenn der neue Trainer des Fußball-Bundesligisten Borussia Mönchengladbach in einem Testspiel 15 Akteure einsetzt, dann hat gerade mal die Hälfte seines Kaders Auslauf bekommen. Das war auch am Dienstag in Eschweiler bei Aachen so, wo die Gladbacher den FC Brügge 2:1 besiegten. 15 aus dem Kader haben gespielt, 14 nicht. Deshalb hat Heynckes einen Tag später gleich noch ein Spiel angesetzt. Da hat der ganze Rest gegen den Verbandsligisten Viersen 11:0 gewonnen. Heynckes hat drei Wochen vor Saisonstart mehr als zwei komplette Mannschaften zur Verfügung. Einen solch riesigen Kader wünscht sich kein Trainer.

    Heynckes, der das Traineramt in Gladbach vor zwei Monaten übernommen hat, ist ein Opfer der Kaufwut des Klubs. Im verzweifelten Streben nach Erfolg und unter der Ägide von insgesamt zwei Sportdirektoren und vier Trainern ist am Niederrhein binnen drei Jahren ein Konglomerat von Fußballern herangewachsen, das Heynckes nun verwalten muss. Wenn man ihn fragt, welch ideale Größe ein Kader zum Saisonstart haben sollte, dann schaut er verzweifelt. Seine zuckenden Schultern sagen: Was soll ich machen? Heynckes sagt: „Ich weiß, wir haben sehr viele Spieler, aber ich habe diesen Kader hier so vorgefunden und ich muss doch jedem Spieler eine faire Chance geben.“ Heynckes ist auf der Suche nach Stammelf und Ergänzungsspielern, und wenn er diese 22 bis 23 Spieler gefunden hat, bleiben immer noch sechs, sieben übrig. In Gladbach hoffen sie, dass diese Fußballer sich einen neuen Verein suchen. Allein im Sturm rangeln sechs Stürmer um zwei Positionen. Heynckes weiß noch nicht, woran er mit diesem Kader ist, er weiß nur: Die Erwartungen in Gladbach sind groß.

    Dafür sorgt der Präsident. „In zwei bis drei Jahren wollen wir ganz oben mitspielen“, sagt Rolf Königs. Das ist eine durchaus moderate Forderung, aber zur Realisierung derselben bedarf es einer sensibleren Planung. Heynckes sagt: „Man darf nicht noch einmal den Fehler machen, in einem Jahr 15 Spieler zu verpflichten!“ Heynckes hat überhaupt etliche Verbesserungsvorschläge für die Borussia. Das ist eine höfliche Form der Kritik für all das, was die Sportdirektoren Christian Hochstätter und Peter Pander, die Trainer Ewald Lienen, Holger Fach, Dick Advocaat und Horst Köppel sowie der Präsident Königs in den vergangenen drei Jahren angerichtet haben.

    Königs ist ein eloquenter Unternehmer. Auf der Hauptversammlung vor 2500 Mitgliedern hat er neulich mit bunten Grafiken die Wachstumsraten des Klubs dokumentiert. So viele Zuschauer (794000), Dauerkarteninhaber (29000), Mitglieder (33700), Sponsorenerlöse (18,5 Millionen Euro) und Werbeartikel-Verkäufe (5,6 Millionen Euro) wie in der vergangenen Saison hatte Borussia Mönchengladbach noch nie. „Das ist exzellent“, hat Königs bei jeder Grafik gesagt, und die Mitglieder haben applaudiert. Sie haben zwischendurch die von spielerischer Stagnation und personeller Fluktuation geprägte Vergangenheit ignoriert, die vielen Trainerwechsel und die stillose Demontage des Coaches Horst Köppel. Für die sportliche Entwicklung der Borussia seit dem Wiederaufstieg vor fünf Jahren hatte Königs keine Grafik, keine Säule für die zwei Dutzend neuen Fußballer binnen 20 Monaten, die nunmehr sechs Trainer binnen dreieinhalb Jahren und das tabellarische Nirgendwo seit 2003. Während der Klub wirtschaftlich gut dasteht und in der vergangenen Saison einen Nettogewinn von 1,9 Millionen Euro verbucht hat, tritt er sportlich auf der Stelle.

    „Wir sind wirtschaftlich top, jetzt muss der Sport nachziehen“, hat Sportdirektor Pander auf der Versammlung gesagt, und eine Woche später hat er Heynckes als neuen Trainer präsentiert. Heynckes, 61, ist vor zwei Jahren bei :kacke: entlassen worden, der Manager Rudi Assauer warf ihm vor, nicht mehr zeitgemäß zu arbeiten. Da sind sie in Gladbach anderer Meinung. Heynckes krempelt die Borussia gerade um. Er zeigt den Fußballern, wie sie den Ball richtig annehmen, er impft ihnen ihre exakte Position im Spiel ein, er lehrt sie, sich die Kräfte binnen 90 Minuten besser einzuteilen und er hat in der Kabine ein Kaltwasserbecken aufbauen lassen, in dem sich die Spieler zwecks besserer Durchblutung erfrischen müssen. Es wirkt ein bisschen so, als wäre ein Profitrainer zu einem Amateurverein gekommen.

    Der zweite Hoffnungsträger neben dem Trainer ist ein Mittelfeldspieler aus Argentinien. Federico Insua, 26, von Boca Juniors Buenos Aires hat am Mittwoch den medizinischen Test absolviert, und wenn erst die Feinheiten im Vertrag geklärt sind, dann werden die Borussen ihn für knapp vier Millionen Euro und vier Jahre verpflichten. Insua werde in der zentralen Offensive für „erhöhte spielerische Substanz“ sorgen, sagt Heynckes. Das hat er über die anderen Zugänge David Degen (FC Basel), Michael Delura (Hannover 96), Sebastian Svärd (FC Arsenal) und Christofer Heimeroth (:kacke: 04) so nicht gesagt. Bislang sind sie nämlich noch vier Fußballer unter vielen. Unter zu vielen.

    Quelle : http://www.sueddeutsche.de/sport/bun...kel/189/81108/
     

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