Ich hätte es angemessen und sogar lustig gefunden, hätte man den beiden Sündern beim Ösi-Spiel ein paar originelle Fan-Gesänge dargeboten. Aber das war wahrscheinlich schon zuviel Arbeit, welche zu erfinden. Was kostet es einen hingegen, mitzupfeifen, wenn alle pfeifen? Oder irgendwo seine Verachtung zu bloggen, wo man sich ziemlich sicher in der Phalanx der "Mitempörten" weiss? Nix kostet das, und deswegen ist es Pseudopatriotismus für Sofahocker, mehr nicht. Politisierung, ohne die Bequemlichkeit aufgeben zu wollen, bei der WM dann schön, ein kühles Bierchen in der Hand, die Spiele anzuschauen. Dann kann man leicht sagen: "Ich lass mir von diesen Schweinebacken doch meine WM nicht madig machen!"
In diesem Sinn erfüllen Gündogan und Özil eine Stellvertreterfunktion. Leute, die vielleicht ein Problem damit haben könnten, wie autokratisch Putin ist, oder wieviel von Mercedes Benz bereits den Chinesen und Kuwaitis gehört, die aber keine Lust drauf haben, sich damit länger zu beschäftigen, entlasten sich einfach, indem sie auf Gündogan und Özil rumhacken. Typisch, dass alle tatsächlichen Verdienste, welche die beiden unbestreitbar um den deutschen Fussball haben, komplett negiert werden. Auch, dass sie "sortenreine Deutsche" sind, per Grundgesetz, ist denen, die angeblich soviel Wert auf unsere Werte legen, dann komplett Latte. Sprich, das Grundgesetz gilt also auch nur dann, wenn man Lust dazu hat, oder es selbst für richtig hält.
Und wieviel von der sonstigen Jubelei über unsere erfolgreiche Nationalmannschaft wirklich zu halten ist, beweist der kollektive Drang, ihr und den Verantwortlichen jetzt auch alle Kompetenz bis zum Anfang der Zeitrechnung Löw abzusprechen. Womit natürlich nicht die Menschen gemeint sind, die dem System Löw und der durchkommerzialisierten Nationalmannschaft seit eh und je kritisch gegenüberstanden. Aber die anderen sollten mal überlegen, was diese Pfiffe zu bedeuten haben, wenn es damit jetzt nicht gut ist. Denn wem die ganze Sache nichts mehr wert ist, nur wegen so einem wirklich lächerlichen Bild, der kann kaum vorher ernstlich dran geglaubt haben.
Von der sportlichen Seite aus sieht es für Dafürhalten so ähnlich aus, wie es bei Löw nach Südafrika bei allen Turnieren üblich war: Überraschend wird der und der zuhause gelassen, dann überzeugt die Mannschaft in Testspielen kein bisschen, die Spontaneität und Frische fehlt, statt dessen geht es um ein betäubend eindimensionales Rasenschach, und das Quartier vor Ort ist wieder ein gigantomanischer Komplex, total abgeschottet. Für mich alles einfach Anzeichen, dass Löw in die Jahre kommt, so wie bisher noch alle sehr erfolgreichen Trainer. Ein Indiz für mich persönlich in dem Zusammenhang ist für mich wieder Sami Khedira, wo ein Goretzka wohl wieder mal Bankdrücker bleiben wird, und die erneute Präferenz für das 4-2-3-1, das für mich in Punkto Nationalmannschaft komplett auserzählt ist, zumal Özil, der es massgeblich auf Nationalmannschaftsebene repräsentiert, auch im Verein längst nicht mehr durchweg überzeugte. Zu Sané wurde ja jetzt genug gesagt, der Drops dürfte gelutscht sein.
Trotzdem bin ich weiterhin bereit, mich positiv überraschen zu lassen, natürlich, wieso auch nicht. Einige Sequenzen gab es gestern in dem Spiel, um das zu unterfüttern, durchaus. Aber man sah halt auch Draxler und Brandt, die unv. wie talentierte Rookies agieren, mehr nicht. Man sah, wie Khedira wie üblich oft zu spät kam, wie Hector und Kimmich nicht genug mit dem Mittelfeld korresponieren, wie man sich alles in allem einfach nur drauf verliess, dass die dauerdribbelnden Araber schon irgendwo zwischen den Abwehrreihen hängen bleiben würden.