Die neue Zerrissenheit
Sehr geehrte Damen und Herren,
vier Wochen war ich in Mexiko, prügelte mich mit Internetcafe Besitzern, die ich morgens um 7 dazu zwingen wollte ihren Laden zu öffnen, damit ich wenigstens per Radio live dabei sein kann. Als ich wiederkam, durfte ich mir erstmal den Grottenkick aus München antun, und nichts war es mit dieser viel beschworenen Herrlichkeit des Rostock Spiels und den Eindrücken, die man aus den Testspielen gewann. Und jetzt komme ich, nachdem ich vor drei Wochen einheitlich 124000 Mexikaner habe ihre Hymne singen hören, als es im WM-Quali Spiel gegen Jamaika ging, und finde einen zerrissenen Haufen Fankultur vor. Doch dazu später. In erster Linie geht es immer noch um dieses Spiel und bei aller Diskussion um Bommer-Raus etc. darf nicht vergessen werden, dass da unten immer noch elf Spieler stehen, die mir phasenweise meine Woche versauen oder diese gemütlich einläuten können.
Marcel Herzog: Ausser im Zusammenspiel mit seinen Vorderleuten, mit denen er gelegentlich Abstimmungsprobleme hatte, tadellos. Sehr stark auf der Linie und beim Rauslaufen, dabei immer präsent, ruhig und abgeklärt. Mittlerweile ist es gut zu wissen, dass wir zwei ordentliche Torhüter haben.
Serge Branco: Er macht zuviele Fehler auf seiner Seite. Er haut sich in unnötige Zweikämpfe und wenn er diese verliert, wird es brandgefährlich. Dabei schaltet er sich phasenweise uneffektiv in die Offensive mit ein und lässt seine Seite blank liegen. Der schwächste Part in dieser Viererkette.
Björn Schlicke: Er wird das Fussballspiel nicht mehr lernen, vereinzelt reicht das für die zweite Liga, gelegentlich hat er ein schlechteres Stellungsspiel als Tobias Willi.
Markus Brzenska: Er macht seinen Job und den erledigt er ordentlich bis gut.
Oliver Veigneau: Läuft unglaublich viele Bälle ab und ist immer dann stark, wenn er seine Schnelligkeit ausspielen kann. In der Offensive gelegentlich glücklos bei seinen Versuchen das Spiel mitzugestalten.
Ivica Grlic: Der nicht so genau wusste, was er da eigentlich sollte, dabei aber am Ende nahezu jeden Konter genial einläutete. Schade, dass seine Vorderleute es nicht geschafft haben, Aachen komplett aus dem Stadion zu schiessen.
Mihai Tararache: Der alles andere als seine schlechteste Saisonleistung abgeliefert hat, und dabei immer noch weit entfernt ist von seinen besten Zeiten. Wenn man auf einen verzichten kann, dann auf ihn, um weiterhin mit zwei Stürmern zu spielen.
Chinedu Ede: Der mir auf der Seite überhaupt nicht gefällt. Ich glaube, an seinen besten Tagen kann man ihn als solide bezeichnen, das Offensivspiel belebt er kaum. Dafür agiert er viel zu harmlos.
Gregory Christ: Der in der ersten Halbzeit ein grandioses Spiel abgeliefert hat. Der Pass zum 2:0 bestätigte die Eindrücke aus den Testspielen. In der zweiten Halbzeit war er massgeblich daran beteiligt, dass der MSV den Sack nicht frühzeitig zugemacht hat.
Cedrik Makiadi: Wir haben zwei Cedrik Makiadis gesehen. Den Spielmitgestalter, der auf der 10-er Position dem Spiel keine Impulse geben konnte und den Hattrick Torschützen, der damit jede Kritik obsolet gemacht hat. Glatte Eins, da gibt es gar nichts weiter zu sagen.
Kouemaha: Ganz weit alleine auf weiter Flur. Fernab von gefühlten 40 Offensiv-Fouls, fiel es ihm offensichtlich schwer, sich gegen seine Gegenspieler durchzusetzen.
Das Spiel: Vor dem Spiel war klar, was Rudi Bommer mit seinem 4-5-1 bewirken wollte. Spätestens in München wurde offensichtlich, dass die Löcher im Mittelfeld gestopft werden mussten. Dass er das seinen Spielern in einem 4-4-2 nicht zutraut, lässt darauf schließen, dass er zum Verrecken nicht auf Tararache und Grlic verzichten möchte und dafür lieber Sandro Wagner opfert, der nach seiner Einwechslung erstmal wie die Feuerwehr losgelegt hat. Das Ergebnis gibt ihm Recht, auch wenn ich dieses System in dieser Konstellation nicht mag. Bis zur 20 Minute war der MSV feldüberlegen, musste zwei brenzlige Situationen überstehen, um dann durch ein paar wirklich schöne Aktionen das Ding mit 3:0 in Front zu bringen. In der zweiten Halbzeit verpassten es die Jungs den Sack zuzumachen. Jeder, der wollte, durfte dann mal aus x-beliebigen Situationen auf diesen Kasten schiessen, oder sich in offensichtlicher Arroganz an den Fähigkeiten des Aachener Torhüters versuchen. Die Fahrlässigkeit wurde nach der gelb-roten Karte noch prägnanter, als der MSV sich noch zwei Dinger einschenken ließ, die so überflüssig wie ein Kropf waren. Nichtsdestotrotz hatte man nie das Gefühl, dass sie das Ding noch irgendwie aus der Hand geben werden. Sie gewannen das Ding hochverdient, da Aachen es vermissen ließ, dem angeknockten MSV Paroli zu bieten, und weil dieser, sobald er die nötige Ruhe hatte bis zum Tor wirklich ansehnlichen Fussball spielte.
Die Diskussion rund um Rudi Bommer hat die Fankultur zerrissen. Manche sitzen im Stadion und hatten die Schnauze voll, als es 3:0 für den MSV stand, da sie zu diesem Zeitpunkt ihre Bomer-raus Rufe erstmal auf Eis legen mussten. Und für diese war das 3:2 dann Anlass genug ihrem Unmut Gehör zu verschaffen. Dabei darf man sich ansehen, wie die Mannschaft kollektiv zum Trainer rennt und sich den Feierlichkeiten nach dem Spiel verweigert. Die Einheit des Teams, welches sich symbolisch von den Fans distanziert, halte ich für traurig und mehr als gefährlich. In den Interviews nach dem Spiel wurde dann auch deutlich, dass das Team geschlossen hinter dem Trainer steht und nicht nachvollziehen kann, wie man ihm die Unterstützung verweigert.
Der MSV hat sich, bei womöglich aller fachlichen Kompetenz, die ich nicht beurteilen kann, keinen Gefallen damit getan, Rudi Bommer als Cheftrainer zu behalten. Es war klar, dass der MSV, mit einem neu formierten, sehr jungen Team sofort unter Druck stehen würde. Ich glaube nicht, dass Rudi Bommer seinen Spielern in München verordnet hat, das Spiel dermassen lächerlich herzuschenken, aber es hätte allen Beteiligten gut getan, wenn man nicht sofort alle offiziellen Weichen auf Aufstieg gestellt hätte, um somit sowohl die Erwartungshaltung der Fans anzustacheln, als auch dieses Team sofort unter gehörigen Druck zu setzen. Alles wäre anders, wenn man nicht sofort ins massenmedial aufgeblähte Horn geschrien hätte, dass man sofort wieder hoch und an Rudi Bommer festhalten will. Nie wären diee Fans nach einem 3:2 dermassen ausgerastet, nur wartend darauf, dass irgendwer Anlass gibt sofort loszulegen. Schuld an dieser Situation ist vor allem Rudi Bommer, der in schöner Regelmäßigkeit beweist, dass er in der Kommunikation mit den Fans einigen Nachholbedarf hat. "Sind alles meine Freunde" war nur die logische Fortsetzung der Sätze, die schon im letzten Bundesligajahr gefallen sind, als diese für Teile des spielerischen Armutszeugnisses mitverantwortlich gemacht wurden. Dass die Keile zwischen Fans und Trainer und zwischen Mannschaft und Fans nicht weniger werden, liegt vor allem daran, dass keiner der Offiziellen bereit ist anzuerkennen, dass alles passieren darf, sofern man die eigenen Fans nicht verarscht. Und das tun sie, von Hellmich bis Bommer und wären beide kluge Köpfe, so würden sie nicht nach jedem verlorenem Spiel vor der Kamera stehen und süffisant Richtung Fanblock grinsen. Mögen sie sich denken, was sie wollen, generell sind Dinge, wie nach dem München Spiel sowohl unzulässig als auch respektlos. Aber ebenso unsinnig finde ich Bommer-Raus Rufe, wenn diese Mannschaft ein mehr als ordentliches Spiel abgeliefert hat und sich dafür den verdienten Lohn n der Kurve abholen sollte. Zumindest zu meiner Auffassung von Fan-Sein gehört es sich nicht, meine Mannschaft kaputtzuschreien, wenn sie gerade dabei ist das Ding nach Hause zu fahren.
Ich glaube nicht mehr, dass dieser Riss mit diesem Personal zu kitten ist. Dafür sind sich alle Beteiligten ihrer Sache zu sicher. Die Diskussionen werden erst aufhören, wenn Bommer seinen Stuhl räumt oder die Mannschaft 15 Punkte in Folge holt, was ich diesem jungen Team noch nicht zutrauen will. Dabei lassen alle Beteiligten immer wieder und aufs neue ihre Feinfühligkeit im Umgang miteinander vermissen.
Gruss aus Essen
Micha