Die Winterdepression
Wieder geht eine Runde zu Ende. Eine neue Bande von Spielern hat das Kettenkarussell betreten, ein neuer Trainer sitzt auf dem heißen Stuhl, manche Recken sind geblieben, andere unter Tränen gegangen, also: Der gleiche Scheiß wie immer. Womit fing diese Saison an? Mit den Testspielen? Gegen Brügge präsentierte sich der MSV von seiner besseren Seite, kommentiert von einem Zuschauer mit dem Satz: „Ich will die alten Jungs zurück, das geht mir hier alles zu schnell“. Testspiele sind eine ziemlich dreckige Angelegenheit. Wo man bei Niederlagen abwinken würde, wohl wissend, dass es sich nur um ein Testspiel handelt, versucht man Siege auf die Qualität der Mannschaft zu beziehen und löst in sich selbst eine Erwartungshaltung aus, die richtig unangenehm werden kann. Man liebkost den Gedanken, dass man es wohl mit einer Mannschaft zu tun haben wird, die weiß, wie man einen Ball laufen lässt. Man kann mal bei den BVB – Fans nachfragen, wie es ist, wenn man den AS Rom 4:1 besiegt, und dann auch wahrhaftig glaubt, dass es mit Wörns und Kovac irgendwie hinhauen wird. Bei denen dauerte es bis zum ersten Saisonspiel, dann kam ein gewisser Ishiaku angerauscht und räumte erst einmal mit allen Luftblasen auf, die man sich in der Sommerhitze so formidabel ins Hirn gequetscht hatte. Ich saß in der ersten Reihe an der Eckfahne, sprang beim 3:0 auf meinen Stuhl, drehte mich zu den Borussen-Fans um und schrie denen wie wild ins Gesicht. Lang ist es her.
Heute stehe ich auch manchmal auf dem Stuhl. Meistens,damit ich eine bessere Position habe,um mein Zielfernrohr auf etwaige Rechtsverteidiger, Stürmer oder defensive Mittelfeldspieler zu richten. Aber wie ist es dazu gekommen? Was ist passiert, daß ein Fan aktuelle Röntgenbilder seiner Herzkranzgefässe an der Wand hängen hat, um zu überprüfen, ob der Quatsch nicht mittlerweile auf die eigene Gesundheit schlägt? Oft stehe ich sinnierend vor diesen Bildern und frage mich, was ich Gott eigentlich angetan habe, dass er mir diesen Verein, mit all seinen Nebenkriegsschauplätzen zumuten wollte. Ist das eine Prüfung, ein Testlauf, um dann an der Himmelspforte auf die Frage: „Und wie war es dort unten?“, mit geballter Faust antworten zu können: „Lass mich bloß in Ruhe, du Spinner, wir beide haben uns eh mal zu unterhalten.“
Die Saison fing in Mexiko an. Da saß man also in sengender Hitze auf der Halbinsel Yucatan, besann sich auf seine Wurzeln, beleidigte Amerikaner im Vorbeigehen und drohte Internet-Cafe Besitzern mit Gewalt, wenn sie nicht endlich den Laden aufmachen würden. Dann saß man dort, knallte sich den Kopfhörer aufs Ohr und lauschte der Stimme des Radio DU–Reporters, der etwas von Entwicklung erzählte, von Kampf und flüssigen Kombinationen. Der Dampf des Spiels gegen Rostock muss für alle, die sich ein Jahr lang mit schlimmstem Fußball abgeben mussten, ein Traum gewesen sein. Bis Babak Rafati kam und dem Treiben flugs ein Ende bereitete, Fernando Avalos wird sich nicht gerne an das Spiel erinnern. Aufgrund einer Fehlentscheidung verlor er seinen Stammplatz, findet sich mittlerweile auf der Tribüne wieder, und wird den Verein wohl verlassen, bevor er richtig angekommen ist. Kurz vorher hatte Rudi Bommer die Verpflichtung Ibrahim Salous mit den Worten kommentiert: „Ich kenne den Spieler nicht, hab aber gehört“, man kann hier einsetzen, was man will. Im Hinterstübchen nistete sich der Gedanke ein, daß Bommer irgendwann ein Problem kriegen wird, wenn er mit diesem Team nicht sofort Erfolge einheimst, aber gleichzeitig traute man dem Team, absolut subjektiv und ohne das nötige Wissen, diese auch zu. Oder man wünschte es sich. Das war es wohl eher.
Die Saison ging los und der MSV lavierte sich durch das schwere Anfangsprogramm so gut es eben ging. In Wehen ließen sie Punkte liegen, spielten schlecht und ließen sich noch auf die Argumentation einer neu zusammen gewürfelten Truppe ein, die sich erst einmal einspielen müsse.Sie schlugen Augsburg glanzlos, aber effektiv und verdient.Bis dato hatten sie ein schlechtes, ein mäßiges und ein gutes Spiel hingelegt und somit schon einmal die Dynamik vorgegeben, die einen die ganze Hinrunde begleiten durfte.
Eine Dynamik ganz anderer Art entwickelten die Verantwortlichen des MSV. In einer nächtlichen Sitzung beschlossen sie, mit Bommer weiter zu machen und gaben das Ziel aus, wieder aufsteigen zu wollen. Bruno Hübner faselte hochgradig verwirrt etwas von „punktuellen Verstärkungen“, vier,fünf Recken sollten es sein, schließlich wäre offenkundig, dass Handlungsbedarf bestehe, was auch die einzige Einschätzung war, mit der er vollkommen Recht hatte. Der Sturm der Vorsaison knickte weg, die Außen mussten neu besetzt werden, ein neuer Innenverteidiger musste her. Defensive und Zentrale standen mehr oder minder, aber das Drumherum brauchte neue Impulse. Und dann begab sich Bruno auf seine unglaubliche Reise durch die Provinzen und über die Ersatzbänke dieser Republik und brachte von seiner langen Reise ein paar Kracher mit, die mich auch jetzt noch mit der Zunge schnalzen lassen.
Verpflichtet wurde der Spieler Wagner/Kouemaha/Salou, ein findiger Kerl, der mittlerweile dreifach abkassiert,und dem keiner anmerkt,daß es sich um ein und dieselbe Person handelt. Verpflichtet wurde der Spieler Tiago, der handgestoppte 23 Sekunden brauchte, um sich aus dem Kader zu spielen, als er meinte vier Aktionen hintereinander bringen zu müssen, die so unverfroren schlecht waren, dass man fast schon Absicht unterstellen konnte. Verpflichtet wurden die Außen Ede, Christ und Makiadi, und oh Wunder, oh Wunder, da hat der Bruno wenigstens einen aus dem Hut gezaubert, der mal wirklich was bringt. Nun ja, ob das ein Coup war? Ich mag es bezweifeln. Dieses Sprichwort mit dem blinden Huhn, kann dann auch hier angeführt werden und wollen wir Makiadi, und mit Abstrichen Christ, mal als die Ausnahme bezeichnen, welche die Regel nur wieder bestätigt. Ach ja, zu erwähnen bleibt, dass das Sozialhilfe – Programm um Tobias Willi erweitert wurde. Nicht, dass ihm nur sein Zwillingsbruder in der Person Nicky Adlers vorgestellt worden wäre, nein, auch sein afrikanisches Pendant, namens Serge Branco, der sich jetzt schon einen Ehrenplatz in meiner persönlichen Hitliste der miserabelsten Spieler des MSV Duisburg gesichert hat, durfte sich an den basalsten Aufgaben des Fußballs erproben. Phasenweise sah es auf der rechten Außenbahn aus, als wären wir hier an der Sportschule Wedau und müssten den B-Junioren beibringen, wie sie sich auf dem Feld zu bewegen haben, immer mit dem Hinweis, dass die Übungen mit dem Ball erst später folgen würden. Man kann sich vorstellen, wie Willi und Adler im Bolero ständig vertauscht werden, der Adler immer auf Autogramme angesprochen wird, um dann im Zwiegespräch zu erkennen, dass nun doch nicht er gemeint ist und so weiter und so fort. Ob die sich beim Training gegenseitig das Gesicht abgetastet haben? Markus Brzenskas Gesicht hat niemand abgetastet, der ist so groß, dass keiner da rankommt. Und er ist eine der Verpflichtungen, die den MSV auf lange Sicht weiterhelfen können. Was man von Heller und Schildenfeld (noch) nicht behaupten kann, schließlich wird einem zwar immer warm ums Herz, wenn Bruno Hübner von diesen redet („Bei so einem Spieler muss man einfach zugreifen“), gesehen hat man aber nichts. Gar nichts. In Fürth humpelt Schlicke vom Platz und Tararache betritt das Feld, Schildenfeld, gelernter Innenverteidiger sitzt draussen, und versteht die Welt nicht mehr. Der durchschnittliche Fußballfan auch nicht, aber das mit dem Verstehen wurde hier ja eh abgeschafft. Summa summarum: Die Einkaufstour Bruno Hübners sah aus, als hätte man einem Debilen ein wenig Geld in die Hand gedrückt und gesagt, kauf dir was Schönes. Und jede Verpflichtung führte dazu, dass sich die Spirale immer weiter drehte und der Debile langsam dem Wahnsinn verfiel. Es sah so aus, als hätten sie Spieler verpflichtet, von denen sie feststellen mussten, dass es wohl doch nicht das Gelbe vom Ei ist. Und irgendwann kam die Beflockungsmaschine nicht mehr nach, der MSV hatte einen riesigen Kader und Garagen in der Nähe des Trainingsgeländes angemietet, um die Spieler irgendwie noch unterbringen zu können. Herzlichen Glückwunsch, Jungs, auf der Ebene habt ihr es so richtig verrissen.
Wenn wir schon beim Scheitern sind, darf man natürlich nicht Rudi Bommer vergessen, der wohl das ärmste Schwein in dieser ganzen Kette war, dann aber auch zu blöd, um die Spirale irgendwie aufhalten zu können. Die Verantwortlichen des MSV ließen sich auf ein riskantes Spiel ein, indem sie eine neue Mannschaft formierten, die sofort Erfolg zeigen musste, damit die Fanseele nicht kollabiert. Das klappt einmal, vielleicht zweimal, aber irgendwann geht es schief. Die Absprachen zwischen Bommer und Hübner waren anscheinend nicht vorhanden (siehe Salou), Walter Hellmich tönte im Prosecco-Rausch den sofortigen Aufstieg über den Äther, derweil Bommer und Hübner sich um mediale Glättung der Wogen bemühten, und alles nur noch schlimmer machten, als es eh schon war. Kulminationspunkt der ganzen Diskussion, die schon in der Vorsaison losging, war dann wohl Rudi Bommers mittlerweile legendäre Äußerung: „Sind alles meine Freunde“. Dilettantischer hat sich ein Trainer gegenüber den Fans des MSV noch nicht verhalten, und die Dünnhäutigkeit seiner Verbalentgleisungen hatte mittlerweile Tradition. Und die Freunde warteten schon. Gegen Aachen, das erste Spiel der Saison, dass ich live im Stadion verfolgen konnte.
Dort ging es rund, auf dem Rasen, daneben. Makiadis verzerrter Versuch die Fanseele auf die Seite der Mannschaft / des Trainers zu ziehen, ging so gründlich daneben, wie es nur einem Spieler gelingen kann, der sich nicht mit der mittlerweile ewig andauernden Diskussion herumschlagen musste. So einfach ist Fußball dann doch nicht, und die Stachel, die Bommer und Hellmich schon in der Vorsaison ins Herz eines Fans getrieben haben, saßen tiefer denn je. Dass sich die Verantwortlichen des MSV keinen Gefallen damit getan haben, Rudi Bommer noch länger an sich zu binden, wurde klar, als der wütende Mob das 3:2 mit „Bommer raus“ Rufen quittierte. Das muss ein Spieler nicht verstehen, mancher Fan tat es ja auch nicht. Ab diesem Zeitpunkt hatte sich das Thema Bommer erledigt, und Walter Hellmich setzte das Wohl und Wehe des Vereins auf eine infame Wette. Und die lautete: Wir müssen jetzt eine Menge gewinnen, um hier noch so etwas wie Überzeugungsarbeit leisten zu können.
Taten sie nicht, das Problem Bommer wurde verschleppt. Sie gewannen glanzlos in Nürnberg und verkauften das Spiel noch unter dem Deckmantel der Effizienz, eine Woche später hatten sie selbst gegen desolate Freiburger nichts entgegenzusetzen. Das Spiel gegen Ingolstadt sorgte für Beruhigung, ein Galaauftritt gegen eine Truppe, die dem MSV so viel Platz ließ, dass sie das abrufen konnten, was sie auszeichnen sollte. Schnelles, flüssiges Kombinationsspiel mit agilen Außen und Stürmern, die trafen. Daraufhin folgte ein Punkt in Mainz, den man Marcel Herzog ans Revers heften kann, und kurzzeitig konnte man sich der Illusion hingeben, dass es doch noch was wird, irgendwas, aber bloß nicht dieses Herumgekrauche im Mittelfeld einer Liga, die sich besser verkauft, als sie eigentlich ist. Aber auch diese Seifenblase sollte zerplatzen.
Ab jetzt gingen Fans und Spieler eine ziemlich deprimierende Liaison ein und vorneweg marschierte ein Team, welches Rudi Bommer das Grab schaufelte. Bis zu einer gewissen Minute sah es gegen Pauli recht gut aus. Die Mannschaft machte Druck und musste das 2:0 nachlegen. Dann kam Serge Branco und läutete den ersten Akt des Weihefestspiels ein, dass da lautete „Rudi Bommers Demontage“. Ein einziger Tritt hat genügt, ein einziges, unnötiges Rauschen an der Außenlinie der MSV-Arena. Es kam einer Panzerfahrt gleich. Unnötig, der Gegner mit dem Tor zum Rücken, flexte Branco diesen einmal gekonnt aus dem Leben. Der Rest ist bekannt, der MSV verlor das Spiel 2:1 und konnte sich nun ziemlich aufgekratzt nach Koblenz begeben. Sie versprachen Rehabilitation. Reanimation wäre wohl besser gewesen.
Das Spiel in Koblenz war ein Offenbarungseid. Es offenbarte, dass der MSV dann ein Problem bekommt, wenn er vom Gegner beschäftigt wird. Dass sich das Team nicht aus der Umklammerung eines kämpfenden Gegners lösen kann, weder mit spielerischen Mitteln, die nur phasenweise abgerufen werden können, noch mit Annahme des Kampfes, den sie oft erst gar nicht annehmen wollen, weil sie sich immer noch auf den Zufall ihres spielerischen Vermögens verlassen. Es war das Vorführen der berühmten Nicht – Fisch – nicht – Fleisch Taktik, die man aus der Vorsaison kannte, wo man sich immer wieder die Frage stellte, was dieses Team eigentlich vorhat. Es war die 90-minütige Präsentation des Fußballs, der Rudi Bommer immer vorgeworfen wurde. Ab dem Zeitpunkt war Schluss, selbst beim Tor des MSV hätte man kotzen können, weil es dem Spielverlauf so gar nicht entsprach. Rudi Bommer ließ es sich dann auch nicht nehmen, von einem verdienten Unentschieden zu reden. Herzlichen Glückwunsch. Der häufig im Stadion gehörte Satz: „Wollt ihr uns eigentlich verarschen?“, hatte hier seine Berechtigung gefunden.
Über Ahlen zu schreiben, fällt schwer, weil man immer noch nicht fassen kann, was da eigentlich los war. Es war die Demonstration einer Fankultur, die in ihr eigenes Messer lief und die keine andere Möglichkeit hatte, so zu reagieren. Man muss darüber keine Worte mehr verlieren, es wurde genug, hier, regional und überregional kommentiert, zerlegt und diskutiert, als dass man dem noch etwas hinzufügen könnte. Aus persönlicher Sicht war es das dreckigste und zynischste, was ich in einem Stadion je erlebt habe. Rudi Bommer bekam zum einen das ab, was er sich selber zurechtgelegt hatte, zum anderen das, was seine Führungsetage ihm grandios versaut hat. Wenn man wissen will, was an diesem Tag passiert ist, muss man tief in die Materie des MSV Duisburg einsteigen und eine Entwicklung nachzeichnen, die ihren Anfang mit Walter Hellmichs Machtantritt nahm. Und eines soll hier kurz angemerkt werden: Bei allen Fehlern, die alle Verantwortlichen des MSV auf allen Ebenen begangen haben, glaube ich immer noch, dass ein umsichtiger, demütiger, der Fankultur offen gegenüberstehender Präsident die Spiralentwicklung hätte, wenn nicht aufhalten, so doch abfedern können. In erster Linie hat unser Präses alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Er hat die Fronten verhärtet, Fans beleidigt, Saisonziele ausgegeben, die seitens der sportlichen Leitung dementiert worden sind, und so dauerhaft für eine flirrende Unruhe gesorgt, die nur darauf wartete zu explodieren. Das tat sie. Und wie. Wer da war, wird es sein Leben lang nicht vergessen.
In Fürth schlug sich das Team selbst, Serge Branco sei abermals gedankt, und endlich durfte Olcay Sahan auftrumpfen. Es ist bezeichnend, dass gerade der Spieler, dem man vom Namen und seiner spielerischen Herkunft her, am wenigsten zugetraut hätte, das Ruder an sich zu reißen, noch den besten Eindruck hinterlassen hat. Quirlig, dauerhaft unterwegs, mit einem feinen Zug zum Tor, einer schönen Grundschnelligkeit und Ballbehandlung sollte man schnell bemerken, dass ein neuer Spieler diesem Team mal ausnahmsweise weiterhelfen kann. Aber es bleibt auch festzuhalten: Sahan alleine wird es nicht richten und seine Position ist nicht dazu angetan, ein gesamtes Spiel zu gestalten. Er wird immer agil aussehen, aber seine Vorzüge wird er nur ausspielen können, wenn er in Szene gesetzt werden kann, und wenn im Sturm endlich wieder Leute stehen, die nicht zufällig und ohne Legitimation die Bezeichnung Stürmer für sich in Anspruch nehmen.
Das Heimspiel gegen Frankfurt war das erste unter Neururer, die einzige Tatsache, die dazu führte, dass das Publikum nicht sofort wieder ausrastete. Neururer wurde mit einem Bonus ausgestattet, der bis zum Ende der Hinrunde andauern sollte und man mag sich nicht vorstellen, was nach dem Auftritt gegen Fürth in der Arena los gewesen wäre, hätte Bommer noch das Traineramt inne gehabt. Neururer versuchte etwas, das gründlich misslang, und viele Fans, wie auch Ivo Grlic fragten sich nach dem Spiel, welches System hier heute eigentlich gespielt worden ist. Tararache hat wohl auf links gespielt, überliefert und bestätigt ist das nicht, auf dem Feld war so etwas wie taktische Grundordnung nicht zu erkennen. Sahan ließ sich fallen und tauchte dann phasenweise auf der einen oder anderen Seite auf, was zur Folge hatte, dass sich in dem Gewusel keine klaren Positionen herauskristallisierten. Das Spiel ging 0:0 aus, war äußerst schwach und ließ schon etwas von der Eigenart des neuen Trainers erkennen, der es sich nicht nehmen ließ, die Torwartdiskussion wieder anzuheizen, indem er den soliden, von den Fans geliebten Marcel Herzog gegen den weniger soliden und weniger geliebten Tom Starke wechselte.
Der Auftritt in Oberhausen war ein Traum, der nicht ausschließlich der Tabelle und Punkten geschuldet war. Es war die Chance das Ruder noch einmal herumzureißen, und die Jungs taten, was ihnen befohlen. Sie setzten die Oberhausener dauerhaft unter Druck, nahmen die Zweikämpfe an und ließen zwischendurch ihr spielerisches Können aufblitzen. An dem Tag lief es so gut, dass selbst Nicky Adler ein Tor schießen konnte, was ich für eine der größten Sensationen der neuesten Fußball – Geschichte halte, nur noch getoppt von Willis Kopfballtor gegen den SC Freiburg aus der letzten Aufstiegssaison. Der Reviernachbar wurde geschlagen und endlich wieder in seine Schranken verwiesen. Es war auch nervig, ständig darauf angesprochen zu werden, dass sich hier so etwas wie eine Wachablösung vollziehen würde. Wenn wir schon nichts holen, so muss der Rhein – Herne Kanal, diese Jauchegrube, wenigstens noch uns gehören und daher war es Balsam für jede geschundene Fan – Seele, als Oberhausen mal wieder aus dem Stadion gefegt wurde.
Gegen Lautern wurde das alte Muster bestätigt. Wer gegen den MSV was holen will, muss die Räume eng machen und den Jungs den Ball überlassen, die wissen nämlich damit überhaupt nichts anzufangen. Sie ackerten 70 Minuten lang, dann brachen sie kollektiv zusammen, von der Bank kamen als Impulse Ede und Adler, ein Witz. Das war es dann auch, das Spiel ist schnell erzählt und das 0:0 war das fairste Ergebnis, dass man zwei einfallslosen Truppen ausstellen konnte. Gegen Osnabrück sah man eine Kopie des Spiels gegen Koblenz. Das Mittelfeld wurde in Minute 18 das letzte Mal gesichtet, bevor es in der Versenkung verschwand. Die Osnabrücker konnten sich in der Hälfte des MSV einnisten und den Kasten Tom Starkes torpedieren, derweil der MSV es nicht mehr schaffte, einen Spielzug über vier, fünf Stationen hinzubekommen. Kouemaha schlug seinem Gegenspieler zweimal in die Fresse und machte sich lächerlich, so gut er konnte, Caceres machte mehr Fehler, als möglich, und es wurde ganz schnell Zeit, diese Hinrunde zu beenden.
Was bleibt zu erwarten? Wenn sie schlau sind, legen sie in der Winterpause nach, obwohl sie nur zwei Positionen verändern müssen. Vielleicht sogar nur eine, man mag es noch nicht wirklich sagen. Zum einen brauchen sie einen Stürmer, einen, der knipst, der in schlechten Phasen angespielt werden, der aus dem Nichts heraus ein Tor machen kann. Sie brauchen einen Ahanfouf, der Spiele, die auf der Kippe standen im Alleingang entschied, also einen Spieler, der den Unterschied macht. Und wir brauchen einen hinter den Spitzen, der das Spiel wirklich und wahrhaftig schnell machen kann. Ivo Grlics Zeit ist wohl dahin, als 6-er könnte ich ihn mir hervorragend vorstellen. Eigentlich müsste Makiadi auf die Position hinter den Spitzen, also dahin, wo der Ball ist, aber eigentlich müsste man dann die Außenposition neu besetzen, ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Hinten können sie sich sortieren, das defensive Mittelfeld kann mit drei unterschiedlichen Leuten besetzt werden, Makiadi, Sahan und Christ sind auf den außen gut aufgehoben.
Aber wie wird diese Saison für den gemeinen Fan ausklingen? Ich glaube, dass man sich getrost vom Thema Aufstieg verabschieden darf. Es müsste eine Menge richtig und sofort laufen, damit es damit noch was wird und es bleibt sogar fraglich, ob man sich einen erneuten Aufstieg wünschen sollte. Um dann wieder 10 neue Spieler zu kaufen? Wieder Neuanfang, wieder Kapitulation, wieder „Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt“, wieder „Wir glauben bis zum Schluss dran“, wieder „Wir haben die Klasse einfach nicht gehabt“, wieder „Am Trainer wird festgehalten, aber sicher, so einen Mann setzt man nicht einfach vor die Tür“? Natürlich will ich nach oben. Natürlich will ich die Großen ärgern, ein wenig mitmischen und meine eigene kleine Liga mit Bielefeld, Cottbus, Bochum, Gladbach, Köln, mit denen ganz besonders und Nürnberg (Name austauschbar) pflegen. Ich will wieder in diesen dreckigen Abstiegskampf, wo mit Haken und Ösen gekämpft wird, weil dass nun mal der Fußball ist, mit dem ich groß geworden bin. Ich will Meisterschaften und Pokale gewinnen, diesen Verein auf ewig im Herzen tragen und voller Stolz auf Truppen zurückblicken können, die sich diesen Namen redlich verdient haben. Aber dazu muss auf der anderen Seite was passieren. Und wenn sich die Verantwortlichen weiterhin in Selbstbeweihräucherungs – Kaskaden flüchten, Allerweltssätze formulieren, einen Kader mit einem Haufen Feinde des Fußballs anreichern, sich in ihren Formulierungen auch noch uneinig sind, grundsätzlich und in schöner Regelmäßigkeit medial scheitern und die Interaktion mit den Fans weiterhin verweigern, wird das wohl nichts. Dann kann ich lange warten, bis der „neue MSV“ mir mal ein Konzept vorstellt, dessen Hintergedanken ich nachvollziehen kann und an welches ich glaube.
Ich wünsche allen Beteiligten, Schreiberlingen, Pöblern und Leitern dieses Forums ein herausragendes Weihnachtsfest, viel Glück und alles Gute. Endlich Pause.
Gruss aus Essen
Micha