"Mannschaft auf den Zaun"
Sehr geehrte Damen und Herren,
als um 20:55 Uhr ein weißblauer Kader vor der Kurve saß, das Glück, der Schweiß und die Lust in die Gesichter gestanzt, machte dieses Publikum etwas, wofür ich diesen durchgeknallten 20 000 den Rest meines Lebens dankbar sein werde. Denn als es darum ging, den geeigneten Kandidaten für die Party auf dem Zaun auszuwählen, knallte der einzig sinnige Gesang dieses Abends aus dem Block, und es war der beste unter unzählig vielen besten Gesängen. Dieser lautete aber: „Mannschaft auf den Zaun“. Und als der komplette Kader dort unten das Gitter erklomm, schoßen langsam die scheiß Tränen in die Augen, kribbelte der Körper und die Hände reckten sich von ganz alleine in den Himmel, um allen Anwesenden den Tribut zu zollen, den sich jeder einzelne an diesem Tage verdient hatte. Ihr leistet immer größeres, Jungs....
Versucht man das Spiel objektiv zu betrachten, dann kann der leise Kritiker auf der Schulter darauf verweisen, dass Olcay Sahan den Mitspieler besser einbinden und dass Bruno Soares nicht jeden Ball Richtung Neudorf oder Nachthimmel klären muss. Ende der Kritik. Bruno Soares spielt gut, Olcay Sahan nahezu die beste Partie der Saison, Julian Koch ist überragend. Der Rest der Mannschaft hält ein verdammt hohes Niveau, was ihre Antizipation, ihren Mut und ihre spielerische Klasse ausmacht, von Maierhofer mal abgesehen, der aber nebenher alles dafür tat, die Bande auf und neben dem Feld bei Laune zu halten und der ackerte wie ein Irrer. Und was sie als Mannschaft gestern abend dort unten auf dem Feld ablieferten, war, was ihre Abgeklärtheit, Arbeit gegen den Ball und Abgewichstheit angeht, vielleicht der beste Auftritt, den sie bisher hingelegt haben. Sie kamen aufs Feld, beherrschten den Gegner, schoßen zwei Tore nach Standards und ließen überhaupt keinen Zweifel daran aufkommen, wer hier heute das bessere Team und der zwangsläufige Gewinner dieser Partie ist. Es war der vierte potentielle Erstligist, den sie in dieser Saison dominierten und schlugen. Sie haben all diesen Truppen den Schneid abgekauft, von Augsburg bis Lautern. Und dass machen sie immer wieder, indem sie dem Gegner keinerlei Raum zur Entfaltung bieten, indem ganz viele Leute gleichzeitig arbeiten und indem sie genug Klasse besitzen, um zig Spielzüge von jetzt auf gleich einzuleiten. Und diese Einleitung kommt von überall her. Von Sukalo wie von Trojan, von Koch wie von Maierhofer. Sie leisten einen Riesenaufwand, um diesen Fußball spielen zu können, sie arbeiten wie die Bekloppten. „Nach zehn Minuten wusste ich, dass man sich keine Sorgen mehr zu machen brauchte“, sagte mein Bruder nach der Partie. „Man wusste, dass sie sich auch heute wieder zerreissen“.
Sie wussten genau, worum es geht. Filp Trojan rennt nach dem 1:0 über das Feld und heizt das Publikum an. Stefan Maierhofer zeigt die üblichen Gesten, reißt die Arme nach oben und sorgt dafür, dass diese Gesänge lauter und lauter werden. Julian Koch, selbst er, dreht irgendwann durch und zeigt Fäuste Richtung Tribüne. Branimir Bajic erzielt das 1:0, ausgerechnet er, der sich jetzt endlich den Lohn abholte, den er sich schon seit ganz langer Zeit verdient hat. Goran Sukalo bezahlte sich selbst für die Stabilität, die er diesem Mittelfeld einverleibt. Und 90 Minuten lang tobt dieses Stadion als gäb es kein Morgen, derweil elf Mann die Nummer souverän und mit aller Klasse hinunterkurbelten. Keine Frage: Diese Mannschaft braucht immer noch eine gehörige Portion Glück, um die Nummer hier episch werden zu lassen. Aber jetzt stehen sie nur noch einen Schritt vor Berlin. Und wenn es sich eine Bande verdient hat, dann diese.
Um 19:22 Uhr starrte ich auf meine Uhr. Ich wollte einen Moment festgehalten wissen, ich habe ihn sogar heute in meinen kleinen Fußballkalender eingetragen, auf dass ich ihn niemals vergesse. Denn just in diesem Moment schallte dieses „Meidericher SV“ durch die Arena. Und als man um sich herumblickte, sah man, wie nahezu 20 000 Duisburger gleichzeitig standen. Von den Eventies bis hin zu den Irren und Verdammten des berühmten Block 10, von den Ultras bis zu den Forevers. Sie alle standen.
Gruß aus Neudorf
Micha