@svs77
Vielleicht muss man mit Beweisen am Ende auch warten, bis in dreissig Jahren Roland Kentsch seine Biographie (denkbarer Titel in Variation einer genialen alten Zeltinger-Nummer: "Ich war ein Asi mit Niveau") rausbringt.
Der springende Punkt ist, dass deine These, Roland Kentsch wäre aus vereinspolitischen Gründen zum Alleinverantwortlichen gestempelt worden, für mich nicht haltbar ist. Im Gegenteil, er gibt Interviews, reicht Lizenzunterlagen ein, schätzt öffentlich die Perspektiven für die Möglichkeit, Profifussball an der Wedau zu erhalten, ab. Vielleicht kriegt er jetzt einen ersehnten Posten beim DFB, war zu lesen. Ich sehe nicht, dass er in irgendeiner Beziehung ein Opfer ist. Dass mal gepfiffen wird, wenn er im Stadion auftaucht, ist halt so. Schliesslich kriegen Manager dafür, dass sie sowas abkönnen, auch ein paar Mark fünfzig extra. Als er zuletzt dort zu sehen war, habe ich aber keinesfalls einen Sturm der Entrüstung bemerken können.
Was mit an der Linie von Rüttgers immer gefallen und an der Linie von Kentsch immer missfallen hat, ist meinerseits primär nicht das Ergebnis von Rechenexempeln. Für mich war Rüttgers, nach allem, was öffentlich wahrnehmbar wurde, stets ein Mann, der das alte Rau-Wahlkampfmotto "versöhnen statt spalten" als seine Agenda glaubwürdig abbilden konnte.
So hat er sich auch in den Posts im Portal und Stellungnahmen in der Presse nach seinem Rücktritt, als durchaus Bitterkeit mitschwang, eben nicht dazu hinreissen lassen, Kentsch endgültig an den Pranger zu stellen, obwohl er deutliche Kritik an ihm übte. Die sich aber auf den Umgang mit anderen Verantwortlichen beim MSV bezog, nicht auf von Kentsch angestellte Berechnungen oder verwendete Berechnungsgrundlagen. Und Differenzierungen gegenüber dem Themenkomplex Hellmich aus seiner Sicht hat sich Rüttgers ebenfalls nicht nehmen lassen, auch wenn ihm dies, wie zuletzt, hier ernste Kritik eingetragen hat.
Ich will damit nicht sagen, dass ich seine Standpunkte immer richtig fand oder finde, noch bewerten, ob er Mitschuld daran trägt, dass sich zwischen dem hoffnungsvollen Aufbruchsgefühl des Sommers und dem raschen und absoluten Wetterumschwung nur ganz kurz danach, der wie ein Wirbelsturm hineinfuhr in das Gefühl zarter Hoffnung, ein Spannungsbogen ergab, der beinahe alles zerbrochen hätte. Aber Rüttgers hat weder an seinem Stuhl geklebt, als der Untergang drohte, noch zusätzlich Druck aufgebaut, um die Situation für einen Handstreich zu nutzen. Das hat Kentsch getan, und nicht in der Art eines Musterschülers, den man falsch beschuldigt, sondern in der aggressiven Manier eines abgehangenen Machtmenschen, der hochkochende Emotionen strategisch nutzt.
Ich finde es naiv, anzunehmen, Menschen wie Kentsch müssten freundliche Zeitgenossen sein. Im Gegenteil, ein harter Hund kann zuweilen in so einer Position viel mehr nützen als ein netter Nachbar. Aber evident ist doch, dass die chaotische Misere der Post-Hellmich-Äera für den Verein nachhaltig nur überwunden werden wird, wenn Animositäten und Grabenkämpfe endlich zu einem Ende gebracht werden können. Rüttgers hat sich für mein Gefühl immer in diesem Sinne verhalten, von Kentsch muss leider das Gegenteil gesagt werden. Dabei hätte es seinerseits genügt, mal zu schweigen.