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Porthos
Das mit der Dankbarkeit sehe ich genauso wie du: man konnte es Baumann hoch anrechnen, dass er sich unter diesen Bedingungen daran gewagt hat. Aber letztendlich winken ihm selbst auch, wenn er erfolgreich ist, wieder besser dotierte Anschlussverträge, ob jetzt bei uns oder woanders. Dass er Mut bewiesen hat, ist sicher ein Kriterium, aber daraus muss sich kein Automatismus dahingehend ableiten, dass nicht infrage gestellt werden darf.
Für mich geht es bei meiner Einschätzung um die Deckungsgleichheit formulierter Saisonziele mit dem bisher Erreichten, und sonst um nichts anderes. Sicher haben wir ganz gute Fussballer, die, mal rein vom Marktwert her betrachtet, ungefähr da spielen sollten, wo sie sich auch befinden, nämlich in der ersten Tabellenhälte. Und Baumann ist der erste Trainer seit langer Zeit, mit dem wir geplant in eine Saison gehen und uns stabil deutlich über dem anvisierten Strich behaupten. Kein wochenlanges Verharren auf Abstiegsplätzen mit Dauerchaos hinsichtlich von Mannschaftsaufstellungen, Spielern, die da, wo sie hingestellt werden, gar nicht funktionieren, oder rätselhaften Dauerkrisen nach Winterpausen. Kein Ich-wasch-mich-nicht-solange-bis-wir-das-nächste-Spiel-verlieren Aktionismus, keine komisches ins-Abseits-Stellen von eben noch zu entscheidenden Hoffnungsträgern apostrophierten spektakulären Neuzugängen, keine emotionalisierten Pressestatements mit der Behauptung von Geheimwissen, was sich dann als schiere Luftnummer erweist.
Wie ich es sehe, nutzt Baumann die ganze Breite des Kaders, hat weder Spieler, die er auf dem Platz als verlängerten Arm unbedingt braucht, weil sonst keiner das Spiel kapiert noch solche, die er mit Versprechen auf eine vielleicht grosse Zukunft mehr oder weniger als Lückenbüsser verheizt. Baumann hat schon bei seiner Verpflichtung eher nicht so die grossen Emotionen geweckt. Kein Sasic mit seiner gebrochenen Vita, kein spektakulärer Neururer, kein radikaler Verjüngerer Reck, der wie ein älterer Bruder an der Seitenlinie war. Und er hat in der Anfangsphase erst mal die Euphorie etwas kanalisiert, hinten einen soliden Defensivblock gebracht, welcher die Freiheiten für die übermotivierten Jungspunde vorn erst ermöglicht hat. Wichtig fand ich in dieser Phase, dass nicht durch zuviele konzeptionelle Vorgaben die Spielfreude dahingerafft wurde, wir gleich punkteten und uns Respekt in der Liga verschafften. Diese Phase konnte aber nicht endlos durchgehalten werden, da die anderen Mannschaften sich einspielten und bei uns viele Dinge noch gar nicht erarbeitet waren. Hier hat Baumann einiges umgestellt, aber auch wieder zurückgenommen, was nicht funktionierte, etwa das 4-1-4-1. Jetzt probieren wir gerade die zwei-Stürmer-Variante. Stagnation sehe ich da nicht.
Auch keine taktische Einfallslosigkeit. Unsere Positionen sind weniger eindeutig an bestimmte Namen geknüft, wenn die entsprechenden Spieler alle fit sind, als noch bei Runjaic. Ich weiss noch, wie oft bei dem Exslager zuletzt als Totalausfall angesehen wurde, und wie hartnäckig er den dennoch immer weiter aufstellte. Ich glaube, in der Beziehung ist Baumann schneller bei der Hand und entscheidungsfreudiger als sein Vorgänger. Er probiert was aus, was funkionieren kann, aber nicht muss. Was mich an Neururer erinnert. Sowas geht, wenn der Trainer am Ende noch alle Fäden in der Hand hat und weiss, wohin die führen, was bei einem Neururer in seiner zweiten Saison bei uns infrage gestellt werden musste. Baumann sollte irgendwann natürlich mal mannschaftliche Geschlossenheit herstellen können, aber da gibt es auch genug taktisch flexible und in der Aufstellung oft variierende Mannschaften, bei denen alles trotzdem geschlossen und wie aus einem Guss wirkt.
Was seine Vita angeht, hat er immerhin einen Aufstieg aus der dritten Liga in die zweite vorzuweisen, und da, wo er entlassen wurde, wurde es nach ihm eigentlich erst immer richtig schlecht. Im zweiten Jahr schien sich in Erfurt und in Osnabrück eine gewisse Stagnation einzustellen. Womit das genauer verbunden ist, müsste man erst mal explizit analysieren, um sich ein fundiertes Urteil zu erlauben. Stagnation sehe ich momentan nicht, aber vieles kann sich da noch ändern bis zum letzten Spieltag. Für mich sollte die Tendenz zum Saisonende hin nach oben gehen, auch wenn es nicht mehr um den Aufstieg geht. Wir müssen nicht jedes Spiel gewinnen, aber mehr Konstanz in den Leistungen über die ganzen neunzig Minuten aufbringen. Diese Geschlossenheit brauchen wir, wenn wir in der nächsten Saison mehr haben wollen, auf alle Fälle.
Und die Trainer müssen sich dran messen lassen, ob sie das hinkriegen. Nach der Winterpause sah es gut aus, aber wenn jetzt wieder ein lange Zeit mit nicht mehr als einem Punkt pro Spiel herausschaut, dann wird sicher die Frage zu stellen sein, ob Baumann unser Trainer bleiben sollte. Ich denke, so im Mai ungefähr wissen wir das schon genauer.