Das können wir von der WM lernen
Ziffzer und Reuter im tz-Interview
Finanziell haben die Löwen ihre Brände gelöscht, sportlich steht nach dem großen Spieler-Exodus eine Saison mit vielen Unbekannten an. Und dann ist da noch der drohende Rechtsstreit wegen des neuen Trikotsponsors „betandwin“. Viel Gesprächsstoff. Die tz traf sich mit den Löwen-Bossen Dr. Stefan Ziffzer und Stefan Reuter.
Herr Ziffzer, Herr Reuter, die vielleicht stimmungsvollste WM aller Zeiten geht in ihr letztes Wochenende. Wie haben Sie dieses Mega-Event erlebt – und wie kann 1860 davon profitieren?
Ziffzer: Ich muss zugeben, dass ich ziemlich skeptisch auf diese WM zugegangen bin, aber was dann passiert ist, hat mich völlig überrascht. Dass mich die Stimmung so mitreißen würde, das hätte ich weder vom Land noch von mir erwartet.
Reuter: Als 1860 können wir viel rausziehen aus dieser WM. Die gute Stimmung in der Allianz Arena wurde weltweit transportiert, das Interesse ist nochmal gestiegen. Und sportlich kann sich unsere Mannschaft die Nationalmannschaft zum Vorbild nehmen. Wie man mit Rückschlägen umgeht, wie wichtig der Teamgeist ist und was für eine Bedeutung die körperliche Verfassung hat – all das hat die Nationalmannschaft gezeigt. Ich denke, dass jeder jetzt kapiert hat, dass eine gute Vorbereitung was bringt.
Wie lässt sich der Fall Matthias Lehmann mit dem Teamgedanken vereinbaren? Wollten Sie mit der Entscheidung, ihn nicht mit ins Trainingslager zu nehmen, ein Exempel statuieren?
Reuter: Ich sehe das nicht so dramatisch. Der Erfolg der Mannschaft steht im Vordergrund und es gibt Regeln, die von jedem befolgt werden müssen. Matthias hat sich an verschiedene Abmachungen nicht gehalten und wir haben reagiert. Es ist ja nicht so, dass wir Undinge von den Spielern verlangen.
Ziffzer: Fakt ist: Lehmann ist nicht in optimaler körperlicher Verfassung, er trainiert jetzt in München und wird nach der Rückkehr der Mannschaft aus Kärnten einen Leistungstest machen. Wenn er den besteht, trainiert er wieder ganz normal mit. Wir haben kein Interesse, ihn an die Wand zu nageln.
Welches Saisonziel können Sie guten Gewissens verkünden?
Reuter: Wichtig ist, dass sich die Spieler als Mannschaft präsentieren und die Tugenden, die man von Löwen erwartet, zeigen: Laufbereitschaft, Begeisterung, sich gegenseitig helfen.
Ziffzer: Das Wort Aufstieg wollen wir nicht in den Mund nehmen. Wichtig ist, dass die Mannschaft stabil wird, dass sie eine Einheit wird.
Einkäufe sind nur möglich, wenn zuvor Spieler verkauft werden?
Ziffzer: So ist es, es gibt keine Alternative. Finanziell sind wir jetzt ausgeglichen, darum haben wir ja die Lizenz bekommen.
Aber in der Saison 2007/08 haben wir aufgrund der unveränderten Stadionmiete noch einmal ein Loch von zwei Millionen Euro auszugleichen. Strukturell ausgeglichen sind wir erst im Jahr darauf, dann kommt die reduzierte Miete zum Tragen.
Wie soll sich an der Einnahmesituation künftig entscheidend was verbessern, wenn ein Zuschauerschnitt von 37 000 gerade mal die Kosten deckt?
Ziffzer: Es kommt finanziell gesehen gar nicht so sehr auf die Zuschauerzahlen an, wie viele denken. Das soll allerdings nicht heißen, dass uns unsere Fans nicht wichtig wären. Wenn wir spielen, kommt die Stimmung durchaus an die bei der WM heran – im Gegensatz zu anderen, wo die Stimmung ziemlich überschaubar ist...
Können Sie Ihre Sichtweise mit Zahlen begründen?
Ziffzer: Aber sicher. In der vergangenen Saison hatten wir insgesamt 600 000 zahlende Zuschauer im Stadion. Bei einem durchschnittlichen Ticketpreis von 12 Euro macht das 7 Millionen Euro. 10 Millionen würden wir nochmal einnehmen, wenn wir alle 3000 Business- Seats verkaufen würden. So sind die Verhältnisse. Also: Bei den Zuschauern sind wir Weltmeister. Bei den Business-Seats Bezirksklasse.
Wie erklären Sie die Diskrepanz?
Ziffzer: Unsere Klientel ist einfach anders strukturiert als die des FC Bayern. Im Olympiastadion oder für das VIP-Zelt vor zwei Jahren in der Grünwalder-Saison wurden ein paar hundert VIP-Karten verkauft. Von dieser Basis auf ein paar tausend Business-Seats in der Arena zu schließen, das war vorsichtig ausgedrückt schon sehr optimistisch.
Wie ist der Plan jetzt?
Ziffzer: Wir wollen jedes Jahr 200 neue Kunden gewinnen, das macht pro anno rund 600 000 Euro Steigerung. In diesen Schritten wollen wir uns nach vorne bewegen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitpunkt stehen wir in Sachen Dauerkarten, Business-Seats und Werbung besser da. Und das nach dieser verkorksten Saison.
Wie hat sich Ihre Akzeptanz innerhalb des Klubs entwickelt?
Ziffzer: Von null bis hundert ist alles dabei, was Ihre Fantasie erlaubt. Emotionen spielen bei 1860 nun mal eine große Rolle, da ist es klar, dass nicht alle erfreut sind, wenn sie Wahrheiten entgegennehmen müssen, mit denen sie vielleicht so nicht gerechnet haben.
Was reizt Sie eigentlich an dem Job?
Ziffzer: Mich reizen die Unwägbarkeiten. Den Adrenalinkick empfinde ich nur in einem sportlichen Umfeld. Dieses „Innenpfosten rein statt Innenpfosten raus“, das brauche ich, so irr es klingt.
Reuter: Ich mag’s auch spannend, aber so eine Situation wie beim letzten Heimspiel gegen Saarbrücken muss ich nicht mehr erleben. Auf diesen Druck kann ich gerne verzichten.
Der Saisonauftakt in Fürth ist durch den Reisinger-Wechsel zusätzlich brisant. Angst vor einem Fehlstart?
Ziffzer: Entscheidend ist für uns, wie die Mannschaft auftritt. Wenn die Tugenden, die Stefan vorhin gefordert hat, nicht erkennbar sind, dann ist gleich Feuer unterm Dach. Wenn einer meint, er müsse nicht laufen, dann wird das in Zukunft nicht mehr toleriert werden. Wir werden entschlossener und konsequenter handeln als in der letzten Saison.
Wie schätzen Sie die 2. Liga ein?
Reuter: Sie ist vom Papier her stärker als letzte Saison. Mit Köln, Kaiserslautern und Augsburg kommen Mannschaften dazu, die die Liga attraktiver machen.
Und dem TSV 1860 das Stadion füllen...
Ziffzer: Schön wär’s. Aber dazu müssen wir auch selbst attraktiv sein.
Zum Thema betandwin – jetzt will sich sogar die Staatsanwaltschaft einschalten...
Ziffzer: Wir sind überrascht, mit welchem Druck und mit welchen Einschüchterungen die Politik auftritt. Es steht außer Frage, dass unser Partner mindestens in Sachsen und im europäischen Ausland zugelassen ist. Und das Bundesverfassungsgericht untersagt keine Werbung für ein Produkt, das in Deutschland und in der EU zugelassen ist. Wir hoffen, dass wir den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ erleben werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Staatsmonopol sind nicht gegeben. Und wenn ich sehe, dass Oddset (der staatliche Wettanbieter, d. Red.) in seiner Werbung verkündet, wie sich der Umsatz durch die WM gesteigert hat, dann frage ich mich schon, was das mit Eindämmung der Wettsucht zu tun hat. Es geht nur um Staatsinteressen und ich bin erschüttert, wie rücksichtslos die durchgesetzt werden sollen.
Hat der Rechtsstreit Auswirkungen auf den Sponsoring-Vertrag mit 1860?
Ziffzer: Nein, der Vertrag gilt, insofern bin ich beruhigt. Aber in der Sache ist das alles andere als beruhigend.
http://www.tz-online.de/tzheute/art1061,228693.html?fCMS=1e27faba896e90e259a05d32658b8a1b