Tornado, Dicken, Bomber... es hat hier schon schlechtere Kosenamen für Spieler gegeben, und jeder dieser Namen beinhaltet ziemlich viele Geschichten und Bilder. Wer solche Namen aufgedrückt bekommt, der muss etwas besonderes gewesen sein. Er muss seinen Stempel in die Herzen gedrückt, und er muss aus der Masse an Fußballern herausgeragt haben. Aber was war das, was dich so herausragend gemacht hat? Warum erinnern wir uns an dich und diese Zeiten?
Als ich das vierte Kapitel meines Buches an den Verlag geschickt habe, fragte mich Simon, der Kerl, der für die Nummer zuständig war, was als nächstes kommen würde. Ich schrieb ihm: „Ich hab jetzt lange genug Walter Hellmich und Peter Neururer beleidigt. Jetzt kommen die Liebeserklärungen...“
Es gab seinerzeit ein Kapitel, welches mir besonders am Herzen lag, wo ich dachte, dass ich hier etwas zu würdigen hätte, und wo ich mich gottverdammt nochmal anzustrengen hatte. Es nennt sich „Als ich anfing, den Dicken zu lieben...“, und es erzählt von einem Kerl, den ich mit ziemlich großen Kinderaugen bewundert habe. Es war damals diese schräge Truppe um Struckmann, Macherey, Notthof, Kober und Schmidt, die vielleicht beste Bande, die ich zu meiner Lebzeit jemals auf diesem Feld gesehen habe. Für mich ward ihr unschlagbar. Seinerzeit, als ihr die Oberliga einmal auf links gedreht habt, stand ich zum ersten Mal auf dem Stehplatz und zitterte am ganzen Körper, der Virus nistete sich ein und ich hab ihn bis heute nicht loswerden können. Als der MSV seinerzeit richtig am Ende war, als keiner mehr einen Pfifferling auf diesen Verein gab, habt ihr euch zusammengefunden und das Ding in die Hand genommen. Und plötzlich den wahnsinnigsten Fußball gespielt, den ich je gesehen habe. Ihr habt diesen Verein damals von der Oberliga in den Profifußball und zwei Jahre später zurück in die Bundesliga geführt. Es waren diese magischen Jahre, als die Wedau lichterloh brannte. Als gegen Essen die komplette Haupttribüne in ein leuchtendes Meer verwandelt wurde, damals, als komplett Duisburg die Grotenburg abriss, als ihr im DFB-Pokal für Furore gesorgt habt, als ihr Saarbrücken überfallen und gegen Blau-Weiß 90 Berlin durch dein Tor eine Saison gekrönt habt, die immer noch einmalig in der Historie dieses Vereins ist. 29 Tore bei 34 Ligaeinsätzen, es blieben keine Fragen mehr offen. Ein Jahr später kam dann dieser Moment, die 15. Minute im Spiel gegen den KSC, als du dich komplett unsterblich gemacht hast. Oliver Kahn erinnert sich bis heute an dich, da sei dir mal sicher.
Seit diesen Jahren mussten sich verdammt viele Teams an euch messen, und es gab vielleicht seitdem nie wieder einen, der auch nur annähernd an dich herankam. Und das lag nicht an deiner Abgewichstheit und deiner Torgier, es lag auch nicht an deiner Technik, die viel stärker war, als man es bei deinem Anblick vermutete. Es lag an etwas anderem, etwas viel Wertvollerem. Würde mein Kind mich irgendwann fragen: „Papa, was ist ein Sportsmann für dich?“, dann würde ich sagen: „Raul. Weil er den Gegner nach dem Spiel lobt und nicht durchdreht, weil er immer bescheiden wirkt, obwohl er Weltklasse spielt, weil er mannschaftsdienlich ist und anscheinend liebt, was er tut, weil er die Fans achtet und respektiert“. Und würde mich das Kind dann fragen: „Papa, hatten wir auch mal so einen?“, würde ich nicken. Und dann würde ich die Geschichte erzählen, wie ich anfing, den Dicken zu lieben...
Wir haben auf den Schulhöfen so getan, als wären wir du, wir haben die Klinsmanns und Völlers dieser Welt demontiert, niemand konnte sich uns in den Weg stellen. Wir haben unseren Kindern von deinen Heldentaten berichtet, und ihnen erzählt, dass wir damals genau wussten, warum wir diesen Verein so sehr lieben. Wegen dir haben viele Menschen in dieser Stadt ihr Herz an die Nummer verloren, und nicht umsonst haben wir dich zur Legende ernannt.Du bist der Grund, warum ich heute ins Stadion gehe, so einfach ist das.
Ich habe überhaupt kein Recht dir vorzuschreiben, was du zu tun oder zu lassen hast, du wirst wissen, was du machst, und deine Entscheidung, so bitter sie für uns sein mag, haben wir schlichtweg zu akzeptieren.
Aber eins kann ich dir sagen: So einen wie dich gabs hier ein einziges mal. Und es wäre mir eine Ehre, wenn ich in zehn Jahren mit meinem Kind, meinem Neffen oder sonstwem in dieser Arena sitzen könnte und auf die Frage: „Wie sah der Dicke eigentlich aus?“ antworten könnte: „Schau mal, da drüben sitzt er...“
Kämpfe, Junge...
Kämpfe...