Nervenaufreibender Nachmittag. Habe mich lange nicht so nervös und angespannt erlebt. Zudem habe ich mich mehrfach dabei erwischt, taktische Anweisungen aufs Spielfeld zu schreien. Was natürlich kompletter Schwachsinn war und von meinem Jüngsten auch angemahnt wurde ("du bist hier nicht der Trainer!"). Aber irgendwo musste die Anspannung wohl hin.
Stimmung fand ich super. Hat heute richtig Spaß und Lust auf mehr gemacht. Die Gespaltenheit der Fanszene beim Abpfiff (Ultras und Altvordere komplett anti, die anderen eher partywillig) hat mir trotzdem missfallen. Ich kann aber beide Seiten irgendwie verstehen, nur die Aggressivität finde ich persönlich unpassend.
Zum Spiel: Ziegner mit "seinem" 3-4-1-2 und keinen großen Überraschungen in der Rollenbesetzung und Aufstellung, mal abgesehen von Stoppel als Zehner. Das war formationstechnisch auch der größte erkennbare Unterschied zum Schmidtschen 3-4-3 (dort hätte Ademi wohl die zentrale Rolle - dafür etwas höher - bekommen). Die Anfangsphase dann sehr druckvoll und mit dem 1:0 belohnt.
Pressingabläufe fand ich schon jetzt etwas griffiger als unter Schmidt (wenn auch nicht elementar anders). Man empfing den Gegner etwas tiefer (war dadurch kompakter) und lief nicht sofort "blind" an, sondern wählte sich die Momente, wo man im Sprint als Mannschaft voll drauf schob, gezielter aus. Meist wurde nach Außen gelenkt und dann von hinten kettenförmig mit meist passenden Abständen durchgeschoben. Es gab aber auch immer mal wieder Momente, wo vorne mehr in die Mitte gelenkt wurde. Dort sehe ich generell auch noch Potential für Verbesserung, genau wie in der Intensität und dem Timing von Stoppel und Ademi beim Anlaufen (Yeboah fand ich hingegen klasse).
Stoppels Positionierung im Pressing teilweise komplett sinnbefreit (stand zu hoch, nahm niemanden in den Deckungsschatten, lief nicht an, lenkte nicht (also fast komplett ohne Einfluss), dirigierte aber seine Hintermänner zu freien Gegenspieler, obwohl man eher ball- und zugriffsorientiert verteidigte, den Gegenspieler also nicht in Manndeckung nahm, sondern erst aus einer absichernden Position "auf press" ging, wenn der Ball gespielt wurde). Da frage ich mich manchmal wie man als Fußballer mit 20 Jahren Profierfahrung so wenig Interesse und Verständnis für die Abläufe gegen den Ball haben kann. In der Halbzeit wurde dahingehend auch etwas angepasst. Stoppel stand tiefer und hatte mehr Bindung zu unseren Sechsern. Die Freiburger Sechser wurden dann etwas mannorientierter von ihm und Knoll/Stierlin aufgenommen und übergeben.
Insgesamt war das Pressing etwas abwartender, aber auch ausbalancierter als unter Schmidt. Man stellte sich nicht komplett hinten rein und lief nur hinterher (wie in Mannheim in HZ1), sondern versuchte schon hoch zu stören bzw. das Freiburger Mittelfeld komplett abzudecken. Trotzdem stand man ziemlich kompakt, verschob gut ballorientiert und schloss bzw. kontrollierte die wichtige Mitte. Freiburg hatte zwar mehr Ball- und Spielkontrolle, kam aber spielerisch kaum in die gefährlichen Zonen. Wenn dann nur mit hohen Bällen, die aber ganz gut wegverteidigt wurden. Dieses Spielcharakteristik wurde natürlich durch die frühe Führung verstärkt (wir verwalteten das Ergebnis, Freiburg musste initiativ werden).
Die Expected Goals von Freiburg lagen unter 1. Solch niedrige Werte hatten wir zuletzt eigentlich nur gegen Gegner, die wir dominiert haben und die gegen uns eher passiv gespielt haben. Freiburg hatte aber 10% mehr Ballbesitz. Das zeigt zum einen, wieviel wir heute gegen den Ball investieren und zuarbeiten mussten, aber auch, dass wir das als Mannschaft einfach gut gemacht haben. Übrigens falen die seit Jahren diskutierten individuellen Schwächen in letzter Linie viel weniger ins Gewicht, wenn man sich - wie heute - gegenseitig unterstützt. Alle Verteidiger heute ohne grobe Patzer und sehr solide, selbst Gembalies mit einer aufmerksamen Leistung.
Ziegner deutete nach dem Spiel auf der PK an, dass er sich aber eigentlich mehr Spielkontrolle und Mut mit Ball gewünscht hätte. Das war während des Spiels auch mein Gefühl. Es gab einfach zu viele Phasen, in denen wir das Spiel nicht über den Ballbesitz beruhigen konnten, sondern diesen zu schnell verloren. Ursache für mich ganz klar das fehlende Selbstverständnis im Ballbesitz. Unsere Wingbacks sind bekanntermaßen nicht die größten Fußballer, aber auch unsere Doppel-Sechs einfach in einem katastrophalen Zustand. Freilaufverhalten, Spielverständnis, Mut den Ball zu fordern und aufzudrehen - alles schlicht nicht vorhanden (
im Taktikthread habe ich eine Szene mal rausgesucht). An dieser Stelle auch eine klare Kritik an der Kaderzusammenstellung und dem Training der letzten Monate und ein Appell an Heskamp/Ziegner hier dringend anzusetzen.
Knoll dahingehend für mich auch eine absolute Enttäuschung (trotz Bart und Tattoo). Raumverständnis gegen den Ball und gewisse Abräumerqualitäten sichern ihm im Moment den Stammplatz. Er kann mit links gute Flugbälle spielen und im kleinräumigen Spiel Bälle gut weiterspitzeln, aber das war es an Ballfertigkeiten auch schon. Perspektivisch sehe ich da für die nächste Saison schwarz. Zumindest in Verbindung mit Stierlin (der aufgrund seiner Lauf- und Zweikampfstärke wichtig, aber auch kein aufbaustarker Sechser ist). Einer von beiden kann spielen, aber bitte nicht beide zusammen. Die beiden sollen sich nächste Saison um einen Platz auf der Sechs duellieren, den anderen Platz bitte mit einem spielstärkeren Sechser besetzten. Für mich ist das die wichtigste Baustelle in der Kaderplanung (zumindest wenn Ziegner in etwa wieder dahin will, wo er mit Halle damals war).
Die Folge davon war, dass wir heute oft zum langen Ball greifen mussten. Zum Glück hat Ademi im Bälle festmachen einen starken Tag erwischt. So konnten wir die Schwächen im Aufbauspiel einigermaßen kompensieren (wenn auch nicht ausreichend). Das "Zocken" vorne hat mir eigentlich gewohnt gut gefallen. Yeboah, Stoppel und Ademi mit einigen guten Kombinationen auf kleinem Raum, aber von diesen Situationen gab es - aufgrund des schwachen Übergangsspiels und nicht allzu vielen Balleroberungen aus dem Pressing heraus - einfach zu wenige. Trotzdem lagen unsere Expected Goals mit fast 2 doppelt so hoch wie auf Freiburger Seite.
Wir hatten heute also eine eher ungewöhnliche Konstellation aus wenig Spielkontrolle, aber besseren Torchancen. Meist war das die letzten Wochen proportional zueinander. Somit war der Sieg trotz einer gewissen Unterlegenheit (gerade im Ballbesitz) nicht unverdient. Zumindest für mich ein klares Zeichen, dass wir wieder einen Strategen auf der Bank haben, der die mannschaftlichen Schwächen über die Taktik zumindest teilkompensieren kann. Daran hat es Schmidt nach meinen Eindrücken gemangelt. Er hat von der Mannschaft manchmal Dinge verlangt, die sie gar nicht umsetzen konnte bzw. ihr auch unpassende Pläne an die Hand gegeben. Das er danach die Schuld immer bei der Mannschaft gesucht und sich von Kritik ausgenommen hat, dürfte mit ein Grund gewesen sein, wieso es - trotz anfangs guter Bindung - zum Bruch mit dem Team kam. Das Team möchte ich damit aber ausdrücklich nicht von Kritik freisprechen. Sowas wie Straelen kann nicht nur der Trainer schuld sein.
Schon in Verl erwarte ich, dass zu erkennen ist, dass man die Unzulänglichkeiten im Ballbesitz angehen will. Verl ist da mit seinem hohen Jagen auch ein passender Gegner und man kann sich ergebnisdruckbefreit "ausprobieren". Ein gutes Spiel könnte mich milde stimmen und mit Vorfreude auf die neue Saison blicken lassen (wohlwissend das 2/3 des Kaders bleiben werden). In Sachen Stadionbesuch ist das schon lange geschehen. Hab fast wieder so viel Bock wie zu den besten Zeiten Mitte und Ende des 00er-Jahrzehnts...