Es war gestern ein Spiel auf Augenhöhe, die Mannschaft hat mir gefallen.
Dieses Gefühl hatte ich auch und das dürfte die wichtigste Erkenntnis des Abends sein. Auf zwei, drei Positionen fehlte noch ein bisschen Qualität/Konzentration/Konstanz, aber sonst bewegten wir uns derzeit tatsächlich auf dem Niveau eines Aufstiegskandidaten. Dresden ist immerhin Zweitligaabsteiger, hat nach den Bayern den teuersten Kader und war - aufgrund des Trainerwechsels - auch bis in die Haarspitzen motiviert und entsprechend schwer zu spielen. Ich habe im "Alles vor Dresden"-Thread diesen Effekt versucht klein zureden. Aber ich habe mich geirrt. Dresden war extrem aggressiv und hat erkennbar anders gespielt als unter Kauczinski.
Formativ hatten wir die ersten 30 Minuten extreme Problem mit der 4-4-2-Raute, sowohl mit als auch gegen den Ball. Problematisch war dabei vor allem das Zentrum, wo Dresden eine 4-3-Überzahl hatte (ein Sechser, zwei Achter und ein Zehner gegen unsere Doppel-Sechs und Krempicki). Nun gut, dann mussten wir auch irgendwo auf dem Platz Überzahl haben, oder? Theoretisch ja, nämlich unsere AV. Für mich etwas überraschend (aber lobenswert) haben wir oft versucht gegen das Dresdner Angriffspressing flach aufzubauen.
Dabei wurde der Ball dann logischerweise auf unsere "freien" Spieler, also die AV gelenkt. Was hat Dresden gemacht? Die sind mit ihren Achtern(!) auf unsere AV angelaufen (man muss sich mal die Wege vorstellen, diese wären die unter Kauszinski nie gegangen) und haben das Zentrum in den Deckungsschatten genommen. Unsere offensiven Außen wurden von Dresden AV manngedeckt (was gerade Mickels nicht mochte), unsere IV von den Stürmern zugestellt und schon waren alle Optionen nach vorne abgeschnitten. Hinzu kam natürlich noch die geometrisch ungünstige Position des AV in der Ecke des Spielfelds. Er hat durch die Seitenlinie und die Torauslinie nur 90°Spielfeld "zur Verfügung", während man im Zentrum 360° hat, um den Anlaufdruck zu lösen.
Aus diesem Dilemma kamen wir zuerst nicht so richtig raus. Später wurde es besser. Da entwickelte man eine passende Gegendynamik und der Mut und die Umsetzung dabei hat mir gefallen und zeigte anschaulich den Fortschritt, den die Mannschaft in Sachen Selbstsicherheit und Auftreten gemacht. In diesem Zusammenhang verstehe ich auch einige negative Posts (allen voran
@Hansemann), die schon wieder den Untergang heraufbeschwören,
nicht. Schaut ihr euch die Spiele überhaupt an oder werden die Urteile nur anhand des Ergebnisses gefällt? Die Mannschaft tritt völlig anders als in den Wintermonaten auf. Das muss man doch sehen...
Was meine ich mit Gegendynamik? Dafür möchte ich etwas ausholen: Ich würde die Arbeit gegen den Ball grob in zwei Kategorien einteilen:
1. kompakter, passiver und abwartenden Block -> die wichtigen Räume sind dicht, wenn der Ball in diese Zone gespielt wird, hat man schnell Überzahl und kommt gut ins Doppeln. Der Gegner hat viel den Ball und versucht geduldig eine Lücke zu finden.
2. aggressives aktives Vorwärtsverteidigen -> man stresst und nervt den Gegner, ruhiger Ballbesitz ist für den Gegner nicht möglich. Aber man verteidigt auch in relativ großen Räumen, die Formationen sind eher gestreckt.
Probleme aus Sicht der angreifenden Mannschaft:
1. man bekommt aufgrund der engen Räume schwer Dynamik ist Spiel, man verliert sich schlimmstenfalls in Ballgeschiebe
2. man kommt nicht in kontrollierte Ballbesitzphasen, lebt mit der ständigen Angst von leichten Ballverlusten vor dem eigenen Tor und gibt Spiel- und Ballkontrolle ab (wird schlimmstenfalls komplett dominiert)
Aber die Probleme des einen Ansatzes müssten doch die Lösungen des anderen sein, oder? Und das heisst, dass man gegen ein Vorwärtsverteidigen die relativ großen Räume nutzt, um Dynamik ins eigene Spiel zu bekommen. Und das hat der MSV mit fortlaufender Spieldauer immer mehr probiert. Eine Lösung war z.B. das Dribbling. Szepanik (aber auch die anderen Verteidiger zeitweise) hat das z.B. oft erfolgreich praktiziert. Er hat den anlaufenden Gegenspieler im 1:1 aussteigen lassen und damit die erste Pressingwelle gebrochen. Das ging relativ leicht (auch wenn man dafür Mut und Selbstvertrauen braucht), weil die Räume dahinter offener waren und er eine Dynamik entwickeln konnte, die entgegengesetzt zur Anlaufrichtung war (das geht z.B. gegen einen kompakten Block nicht so leicht).
Aber auch kombinativ haben unsere Jungs die Anlaufdynamik und Räume versucht zu nutzten und daraus eine eigene Dynamik zu entwickeln. Da kommt es vor allem auf das Bewegungsspiel, die Dreiecksbildung und das direkte, schnelle Spiel an. Auch hier gab es mit fortlaufender Spieldauer immer mutigere Lösungen. Ein himmelweiter Unterschied zu den ersten 25 Spielen in dieser Saison. Und davor ziehe ich meinen Hut (auch wenn nicht jeder Spielzug funktionierte).
Auch bei unserem Angriffspressing hatten wir mit der Raute von Dresden so unsere Schwierigkeiten (klar, wieder Unterzahl im Zentrum). Hier habe ich die Probleme vor allem bei unseren offensiven Außen gesehen, die sich nicht so richtig entscheiden konnten, ob sie die Achter des Gegners oder die AV übernehmen sollten und deswegen oft etwas zugriffslos dazwischen standen. Zudem sind beide ja nicht unbedingt für dafür bekannt, Bälle im Anlaufen zu erobern. Das war wohl auch ein Grund wieso wir - weniger als sonst - Dominanz übers Pressing erzielen konnten.
In diesem Zusammenhang auch interessant wie hoch unsere Kette stand und wie oft Dresden dann auch - aufgrund des fehlenden Zugriffs vorne - hinter die Kette kam. Trotzdem ist relativ wenig angebrannt, weil Sicker und Gembalies mit ihrem Speed unglaublich viel zugelaufen haben. Gembalies kam da eher über seine Endgeschwindigkeit, Sicker mehr über dem Antritt und die Beweglichkeit. Man merkte gestern aber sehr schön wie nötig die Geschwindigkeit da hinten ist, wenn wir vorne draufpressen wollen. Ergo war die Saisonanalyse von Grlic und seinem "Stuff" im Sommer schon schlüssig. Leider passten dann die Spieler, die geholt wurden, dazu nicht.
Obwohl Sicker für mich herausragte, fand ich Gembalies auch ziemlich gut und so stark wie im Moment habe ich ihn selten gesehen. Leider wieder einmal mit einem Totalaussetzer. Ich weiß wirklich nicht, wie man damit umgehen soll und ob da noch Hoffnung auf Besserung besteht. Er verschuldet gefühlt jedes dritte Spiel einen Gegentreffer. Das ist einfach zu viel.
Ansonsten fand ich alle Spieler im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut. Jansen konnte als Balleroberer und Körperdazwischenschieber natürlich nicht das Kama-Niveau erreichen, war in Sachen Positionierung bei Ballbesitz dafür aber stärker. Mickels kam leider nicht in die Situationen, die er brauchte. Das würde ich aber nicht so sehr ihm zuschreiben, sondern eher der Spielcharakteristik. Engin hätte vielleicht besser zum Spiel gepasst. Krempicki zeigte sich mir persönlich in Halbzeit 1 etwas zu selten im Zehnerraum, wobei ich auch akzeptieren kann, dass er unter Dotchev eher so eine Art zweiter Stürmer spielt. Aber die Räume hinter den Dresdner Achter hätten wir eigentlich besser bespielen müssen. Vermeij fehlte sichtbar noch Spielpraxis und Timing in seinen Aktionen. Aziz und Stoppel sind mit ihrer Ballhaltequalitäten Unterschiedspieler, die wir unbedingt auch nächste Saison brauchen. Sauer und Szepanik haben sich in der eher unruhigen und riskanten Spiecharakteristik (Verteidigen und Angreifen in eher großen Räumen) auch sichtbar wohl gefühlt.
Insgesamt sehe ich es wie Dotchev. Mit der Leistung kann man sehr zufrieden sein. Mit dem Ergebnis nicht. Und natürlich steigen wir nicht ab oder geraten nochmal in Abstiegsgefahr. Dafür sind wir einfach zu gut.