Viele empfinden Brasilien anscheinend als eine Art Urwaldtruppe, die man gerade soweit diszipliniert kriegt, dass sie zusammen zehn Minuten in einem Bus rumfahren können. Man soll da bitte mal hingucken, wo die überall wie Fussball spielen, und zum Teil wie lange schon auf höchstem Niveau. Bitte nicht unterschätzen, respektive in unser letztes Spiel nicht zuviel reingeheimnissen: gegen Algerien haben wir bis zum Beginn der Verlängerung völlig kopflos agiert, und sie haben uns mit einfachsten Mitteln fast geknackt. Gegen Ghana war es reinweg wüst, chaotischer habe ich auch die Brasilianer niemals erlebt. Strukturierte Spiele hat man gegen Portugal ab da gesehen, als denen Pepe fehlte, gegen die USA mit gebremstem Schaum, und überzeugend dann gegen Frankreich. Denen aber in dieser Begegnung die Kreativität, welche sie schon in anderen Begegnungen auszeichnete, sicher fehlte.
Ich seh im Bezug auf Brasilien ein Problem dahingehend, dass diese Mannschaft ein grosses Potential im Hinblick auf Überraschungen hat. Etwas, mit dem wir noch nie gut zurecht gekommen sind, und auch bei diesem Turnier eher nicht. Und alle, die für Brasilien auflaufen, sind Instinktfussballer mit technisch höchster Reife, selbst wenn sie nicht in der allerersten Liga spielen. Im Verbund mit dem Tempo, mit dem sie nach vorn kommen können (und dafür haben sie auch ohne Neymar Leute, etwa Marcelo, Hulk, Alves) erfordert das durchgängig hohe Konzentration. Am besten wird sein, man macht wieder eine schnelle Bude. Die Brasilianer wirkten immer störanfällig, und als es gegen Kolumbien unerwartet wieder enger wurde, schienen sie förmlich völlig den Kopf zu verlieren. Führen sie aber, wird der Druck auf die zweite Bude enorm, und mit klarem Kopf entblättert sich deren individuelle Brillianz.
Ich denke, sofern Löw alte Ambitionen, sein Offensivspiel aus der vergangenen WM an den Start zu bringen, noch heimlich hegt, verbieten sich derartige Überlegungen angesichts dieses Gegners nahezu von selbst. Wir werden wieder Deutsche sehen, die versuchen, es über gutes Stellungsspiel, Kampfkraft und Galligkeit zu richten, und die nach vorne insgesamt verhalten agieren, um Nadelstiche aus einer lückenlosen Verteidigung heraus vorzutragen.
Den Ausfall von Neymar sollte man weniger anhand einiger wahllos per Kamera eingefangener Statements aus der Bevölkerung zu bewerten versuchen. Hier wird da auch von unseren Medien etwas gepusht. Dass dort drüben alle schon am Rand der Verzweiflung stehen, mag man glauben oder nicht. Und dass sie versuchen, gegen die Verwarnungssperre Protest einzulegen, ist Standard. Ballack, Frings: haben wir auch schon öfters gemacht, nie mit Erfolg.