Hoffnung im Schrank
Weltmeister Jürgen Kohler soll den Verein vor dem Abstieg retten. Sein Ansatz: Fast-Food-Schelte und psychologische Beratung. Das Team ist noch skeptisch.
Von Ulrich Hartmann
Seine Vergangenheit hat Jürgen Kohler im Keller versteckt, tief drunten im Haus in einem Schrank. Die Vergangenheit besteht aus lauter bunten Fußballtrikots, einem Stück WM-Rasen, einer WM-Medaille, einem WM-Trikot, in dem das deutsche Team 1990 Weltmeister geworden ist, und aus einem Paar WM-Schuhen, das Kohler damals getragen hat.
Es gäbe viele Gründe, sich diese Dinge immer wieder anzuschauen und in Erinnerung zu schwelgen. Der Gewinn der WM 1990 hat Kohler zu einem der größten deutschen Fußballer gemacht. Doch das will er nicht mehr hören. "Den Titel habe ich abgehakt", sagt er. "Ich bin ein Mensch, der nach vorne blickt."
Jürgen Kohler ist 40 Jahre alt und seit einem Monat Trainer beim MSV Duisburg. Es ist seine erste Trainerstelle bei einem Bundesligaklub, und der MSV muss am Saisonende vielleicht in die zweite Liga absteigen. Kohler soll den Klub vor diesem Schicksal bewahren, doch dabei helfen ihm glorreiche Gefühle aus der Vergangenheit nicht weiter. "Dass ich Weltmeister bin", sagt er, "bringt mir in Duisburg nichts."
Kohler hat diese Stelle in Duisburg aber schon auch deshalb bekommen, weil er 20 Jahre lang einer der besten deutschen Verteidiger war und weil die Protagonisten von damals im ewigen Bewusstsein der Nation für immer einen Stein im Brett haben – aber die Fußballer des MSV werden deshalb kein bisschen besser spielen, wenn am 28. Januar die Rückrunde beginnt.
„Ich muss mir was stricken“
Also muss Kohler schuften. Er muss beweisen, dass er zum Trainer taugt. Der Duisburger Mannschaftskapitän hat ihm das neulich auch ganz unverblümt so ausrichten lassen. Der Torwart Georg Koch nimmt nie ein Blatt vor den Mund, und statt Kohler freundliche Komplimente zu machen, hat er in einem Interview gesagt: "Es wird sich zeigen, ob er unsere gute fußballerische Qualität zum Tragen bringen kann. Das ist die Kunst eines Trainers."
Diese Aussage ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert; zum einen, weil sie Zweifel offenbart, vor allem aber, weil Koch suggeriert, dass da ein enormes Potenzial in der Duisburger Mannschaft schlummert, welches nur geweckt werden muss. Dies aber entspricht nur sehr bedingt der Wahrheit. Meistens waren die MSV-Spieler in der Hinrunde überfordert.
Sie haben nur zwei von 17 Spielen gewonnen, beide knapp mit 1:0. Sie haben mit 15 Toren die wenigsten der Liga geschossen und bilden mit durchschnittlich 29 Jahren die älteste Mannschaft im Wettbewerb. So haben sie meistens auch gespielt. "Ich muss mir jetzt was stricken aus dem Material, das ich da bekommen habe", sagt Kohler.
Dass das sehr nüchtern klingt, täuscht über den Elan hinweg, mit dem er seinen Posten angetreten hat. Kohler hatte viel Zeit, sich auf seinen ersten Job als Cheftrainer vorzubereiten.
Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn im Sommer 2002 war er neun Monate Trainer der deutschen U-21-Auswahl, danach ein Jahr lang ein eher überflüssiger Sportdirektor bei Bayer Leverkusen, und seit Sommer 2004 hatte er frei.
Er hat in dieser Zeit bei namhaften Trainern hospitiert, bei Christoph Daum, Fabio Capello oder Arsène Wenger; er hat viel gelesen und gelernt, und das alles versucht er jetzt umzusetzen. Den MSV-Fußballern hat er einen Sportpsychologen hingestellt und einen Ernährungsberater, beide haben Vorträge gehalten über Dinge, mit denen sich die Spieler bislang nicht besonders beschäftigt hatten.
"Wenn jetzt einer immer noch gern zu McDonalds geht", sagt Kohler, "dann soll er da weiter hingehen, aber vielleicht nicht mehr so oft." Ob das alles beim Kampf um den Klassenerhalt hilft, weiß Kohler selbst nicht so genau. "Die Spieler waren zumindest neugierig auf die Arbeit mit dem Psychologen", sagt er, "das war für die eine völlig neue Geschichte, und jeder reagiert da ja anders drauf."
Der kleinste Etat in der Liga
Um Ernährung und Psychologie geht es bis zum Start der Rückrunde zunächst einmal nicht mehr. Kohler muss jetzt Spielformen einüben im Training, er muss den Spielern seine Vorstellung von Fußball vermitteln. Und er muss die Mannschaft verstärken. Selbst wenn sich fortan keiner mehr im Fast-Food-Restaurant ernährt, ist die alte Mannschaft kaum konkurrenzfähig.
Mit dem Rumänen Mihai Tararache und Marco Calgiuri aus der zweiten Mannschaft des VfB Stuttgart hat Duisburg in der Winterpause zwei defensive Mittelfeldspieler verpflichtet, weitere Neue könnten folgen. Es gibt da eine Liste von Kandidaten, "aber wir haben den kleinsten Etat der Liga", sagt Kohler, und das erschwert die Akquise von qualifiziertem Personal.
Auch deshalb muss der neue Trainer versuchen, verborgene Substanzen zu schürfen, und bei einigen hat er zumindest etwas Optimismus geweckt. "Ich glaube heute sehr viel mehr an den Nichtabstieg als noch vor drei Wochen", sagt etwa der Mittelfeldspieler Dirk Lottner. Wenn gar nichts mehr hilft, nimmt Kohler seine Spieler zu Motivationszwecken vielleicht auch mal mit hinunter in den Keller zu jenem Schrank, in dem er die Devotionalien seiner Vergangenheit versteckt. Zu irgendwas müssen die doch noch gut sein.
(SZ vom 21.01.2006)