Tuchel, und auch Leute, die der Mannschaft anscheinend nahe stehen, haben mehrfach gesagt, dass sie keine Wahl hatten. Sie haben doch gespielt, und das Beste draus gemacht.Tuchel hat auch klar gemacht, dass es ihnen persönlich, der hauptsächlich betroffenen Mannschaft, nicht irgendwie um die Kohle gegangen ist, oder darum, gegenüber ihrem Arbeitgeber einer Disziplinarmassnahme zu entgehen, sondern um ihren grossen gemeinsamen Traum, das CL - Halbfinale. Deshalb haben sie mit dem Mut der Verzweiflung eben gespielt. Und deshalb sind diese Jungens für mich tatsächlich Helden. Sie allein haben alles reingeworfen und sich einer Situation gestellt, auf die dich kein Mensch und keine noch so professionelle Einstellung je vorbereiten können. Denen zu unterstellen, sie wollten nur die Prämie nicht verlieren, oder hätten in der kurzen Zeit irgendeine Gelegenheit gehabt, ein politisches Manifest gegen die UEFA zu formulieren, kann nur aus einer völligen Verkennung der Sachlage resultieren.
Ich persönlich habe allerdings ein Problem damit, dass man daraus eine Heldentat im Namen der Demokratie stricken musste. Vor allem, wie sowas routiniert immer wieder von Politikern kommt, die von Bodyguards so dicht umstellt sind, dass man sie zwischen diesen Kanten kaum erkennen kann, oder von Funktionären, deren Anliegen in Wahrheit der enge Terminkalender ist. Und die eigentlich nur Angst haben, dass irgendein Werbetreibender hinterher in Regress geht. Fakt ist, dass diese Spieler in der Tat Helden waren, das Funktionärswesen aber einen sehr schwarzen Tag hatte. Dass man seine Spieler, wenn sie denn spielen, als Fans auch unterstützt, ist ja wohl eine Selbstverständlichkeit.
Ich finde, hier muss eine Diskussion rein, wieso so kurzfristig gespielt wurde, und wieso das offenbar autoritär am grünen Tisch so entschieden wurde, ohne die Mannschaft, die Opfer des Anschlages wurde, einzubeziehen.
Aber es gibt noch eine zweite nötige Diskussion, nämlich die, wieso mittlerweile so reflexhaft immer wieder in die gleichen Schubladen gegriffen wird, wenn es um Terror geht. Da geht es eigentlich schon darum, dass es problematisch ist, wenn immer wieder sogleich die Vermutung aufkommt, und unhinterfragt weitergegeben wird, der Hintergrund sei "islamistisch". Das spielt konkret dem IS in die Hände, der genau den Eindruck erwecken will, er sei allgegenwärtig, und jeden könnte es demzufolge jederzeit treffen.
Das zweite sind die Solidaritätsbekundungen bestimmter Politiker, die sie aber nie abhalten, den Leuten zugleich Angst zu machen. Gestern kritisierte Merkel sofort die Sicherheitslage in NRW im Allgemeinen, was natürlich auf den unmittelbar anstehenden Wahlkampf hier gemünzt war. Zugleich stellt sich Parteifreund de Maiziere breitbeinig beim Fussballspiel hin, und verkündet seine Solidarität. Das ist eine Instrumentalisierung des Geschehens, und auch der Spieler. Für mich heisst freiheitliche Grundordnung auch, dass man so etwas politisch nicht ausnutzt, aus Fussball keinen Krieg im Namen einer Ideologie strickt, die Leute einzeln und frei entscheiden lässt, ob sie auch Helden sein wollen.
Die Terroristen wollen gerade, dass die Differenzierungsfähigkeit unter dem Eindruck permanenten Schreckens nachlässt, darauf sollte man sehr achten!
Dass die Funktionäre mal wieder auf ganzer Linie versagt haben, ist hingegen leider fast schon wieder der Normalfall. Was Watzke da anscheinend für einen Schlingerkurs fährt, bleibt dennoch total unverständlich. Ich fand nur gut, wie klar und eindeutig Tuchel in dieser Sache war!