Mal abgesehen von allem Bekenntnissen für oder gegen den Fussball in der europäischen Königsklasse: ich guck das schon, seitdem ich ein Kind war, und habe es mit dem Papa und dem Bruder schon geguckt, als es noch im pixeligen Quasi-Standbild von ARD oder ZDF übertragen wurde, und der Kommentator etwa alle drei Minuten eine einzige trockene Anmerkung machte, zumeist der herausgebellte Name eines ballführenden Spielers. Und damals wie heute lebt es nicht von den siebzehn verschiedenen Superzeitlupen oder riesig abgebildeten, von Emotion verzerrten Spielergesichtern. Oder von der Gelegenheit, endlich mal bei einem Gewinnspiel ein Auto zu gewinnen.
Sondern von Aktionen, wie sie Messi gestern hatte. Oder eben auch davon, dass der drückende, milliardenschwere Favorit von einer gegnerischen Truppe, die sich um einen echt alt aussehenden und körperlich echt langsamen italienischen Weinbauern scharrt, düpiert wird, wie es einen Tag zuvor zu besichtigen war.
Für mich sind diese beiden Spieltage der allerbeste Beweis dafür, dass der Fussball noch lebt, und zwar in dem Sinn, dass er permanent veränderlich ist. Auch mit noch so viel Geld kannst du dir keine Sicherheiten kaufen. Der angeblich weltbeste Trainer wird, obwohl man dachte, mit dem unbesiegbar zu sein, von seinem als Notfalloption nach längerer Verwirrung installierten Nach-Nach-Nachfolger düpiert. Messi, zwischenzeitlich längst abgeschrieben als neurotischer Dauer-Kotzer und Langweiler, verzaubert in zwanzig grandiosen Minuten wieder die ganze Fussballwelt, nachdem die zweite Halbzeit zwischen Barca und Bayern bis dahin ungefähr so spannend gewesen ist wie der Kick der Betriebsmannschaften von Wasserwerk gegen E-Werk. Ich kann auf sowas immer noch völlig ausflippen, und dann ist es in dem Moment einmal ganz egal, wieviel Kohle im System ist. Und ich muss auch nicht zehnmal extra betonen, dass ich an sich MSV-Fan bin. Verstehe nicht, warum dieser Zusammenhang die ganze Zeit über alles dominieren muss. Ich bin auch schon seit der Kindheit MSV-Fan, wer es nicht glauben mag, weil ich hin und wieder mal noch ein Fussballspiel anderer Mannschaften nebenher gucke, soll es halt nicht glauben. Meinen Seelenfrieden stört das überhaupt nicht.
Ich glaube, die Entschuldigungen, auch die Vergleiche des Barca von vor zwei Jahren oder vom letzten Jahr mit dem jetzigen, all dies greift schlicht zu kurz. Die sind zurück, haben wieder echte Weltklasse. Trotzdem wurde gerade in dem Spiel gegen Bayern ersichtlich, dass sie nicht unschlagbar sind. Sie verlassen sich weithin unverändert auf die überragende individuelle Qualität, stehen weit gefächert, riskieren auch gegen zwei oder drei Gegner in der eigenen Hälfte noch Tempodribblings und riskante Zuspiele. Vorne gibt es nicht nur Harmonie, sondern einen permanenten 'Battle' der Topstars um die Zuschauergunst. Ohne das alles verbindende Element Messi würde alles auseinanderfallen. Er hat, neben seiner überragenden Qualität als Stürmer und offensiver Spielmacher, nunmehr auch die Funktionen eines Taktgebers übernommen, so scheint es, die früher einen Xavi Hernandez so unverzichtbar für das Barca-Spiel machten.
Den Bayern ist es über weite Strecken der Partie hinweg eigentlich gelungen, die Schwachstellen Barcas aufzuzeigen, und sie hatten sogar einige wirksame Mittelchen dagegen auf Lager. Aber in den entscheidenden Sequenzen fehlte ihnen die Abstimmung, hatten sie auf dem Platz keine funktionierende Hierarchie. Hier geht es nicht darum, dass einer mit einer Fresse wie Effenberg am Leib der vielbeschworene 'Leader' ist. Im Gegenteil, diese Funktion kann auch einem Männlein wie Messi zukommen, Kraft dessen, dass die anderen seine Instinkte und seine Möglichkeiten, das eigene Spiel optimal voran zu bringen, schlicht akzeptieren. Das ist immer noch die aus Holland stammende Barca-Schule der flachen, aber äusserst effizienten Hierarchie, des Antistarkultes, welche sich gegen Madrid, Chelsea und alle anderen einst durchsetzte, welche gestern reüssierte. Dagegen fehlte bei Bayern wieder jegliche Linie, es war ganz dasselbe, wie im letzten Jahr. Guardiola hat es nicht geschafft, dass überhaupt irgendeine Hierarchie existiert. Jeder scheint so ungefähr das zu machen, was ihm gerade am naheliegendsten erscheint. Hier geht tatsächlich keine Mannschaft auf den Platz, sondern eine Ansammlung ambitionierter Individualisten.
So, kurzes Resümee eines wieder mal viel zu umfangreichen Beitrages: Fussball ist und bleibt vorerst ein Sport, in dem nur Erfolg hat, wer die Mannschaft etwas höher stellen kann als die individuelle Einzelleistung. Trotz aller Egozentrik von viel zu reichen jungen Männern, und dem Hype durch eine gnadenlos deren Überegos anhimmelnde Öffentlichkeit, wurde es auf allerhöchstem fussballerischem Niveau an zwei Abenden hintereinander zweimal bewiesen. Am Ende hat es nicht Neymar oder Suarez, Bale oder Ronaldo gerichtet, sondern waren Typen erforderlich wie Andrea Pirlo und Lionel Messi, bei denen man das Gefühl hat, sie reden in einer Woche keine zwei zusammenhängenden Sätze. Finde ich eigentlich ganz interessant.