Ich glaube, der Fussball wird sich irgendwann so oder so endgültig spalten. Grausam, wenn einige Leute, so wie unlängst wieder der chronisch schwatzhafte Edmund Stoiber, so tun, als gäbe es nur einen Fussball, und nur einen Fan. Den Fan, den so einer im Auge hat, sehe ich auch relativ klar vor mir: es ist einer, der auf permanente Rekordjagd geht, sich grundsätzlich jedes Deutsche-Meister-Trikot plus jedes Pokalsieger-Trikot plus jedes Cl-Sieger-Trikot zulegt, den ganzen Tag You-Tube-Schnipsel von Ronaldo und Messi übers Handy hochlädt, auch an der Stankette beim Fussballturnier des eigenen Sohnes die ganze Zeit über Tabellenstände und Ergebnisse aktualisert, aber seit zehn Jahren keine einzelne Partie mehr länger wie zehn Minuten ernsthaft verfolgt hat. Ich denke, solche Art von Fans gibt es weltweit, vor allem in Asien scheinen sie gerade erst so richtig gross raus zu kommen, und sie versprechen Unsummen Geld einzubringen, über Product-Placement, werbefinanzierte Fernsehgelder, Direktvermarktung der Spielerimages an Spielehersteller wie EA-Sports sowie die Anbindung an das, was in der Werbebranche längst als "Brand" bekannt ist, nämlich den Fussballverein als Marke mit einer bestimmten Werthaltigkeit. Von der es cool ist, wenn man sie ebenfalls konsumiert, so ähnlich wie bei Coca Cola.
Bayern ist der deutsche Vorreiter dieser Entwicklung, kein Name ist damit mehr verbunden als der von Uli Hoeness, die vielfältigen Bezüge zu Adidas etc. sind ja alle unlängst aufgedeckt und hinterfragt worden. Dass es so gekommen ist, wie es jetzt kam, war also, 50 + 1 hin oder her, irgendwie schon länger absehbar, der beispiellose Erfolg der Bayern auf nationaler Ebene, die Tatsache, dass du wirklich auch auf Helgoland noch Einwohner antriffst, die "Bayern-Fans" sind (Menschen, die "ihren" Verein zum Grossteil noch nie im Leben in einem wirklichen Stadion als reale Mannschaft haben spielen sehen) spricht natürlich für sich. Unabweisbar hat Stoiber recht, wenn er davon faselt, dass dieser Markt weiterhin im Wachsen begriffen ist. Allerdings hat er denkbar unrecht, wenn es darum geht, dass dies die einzige gültige Art und Weise ist, wie man das Fansein betrachten darf. Man kann sogar sagen, dass sich die Leute von Bayern damit auf eine andere Wahrnehmungsebene begeben, niemand kann ihren Feinden, die bereits in der Gruppenphase der Cl Bayern-Spiele nur noch gucken, um zuzusehen, wie denen möglichst demütigend aus der Lederhose geholfen wird, etwa vorwerfen, den deutschen Fussball zu verraten. Es sind sie selbst, die lokale Gegebenheiten geringschätzen, die klassisch überkommene Fussballkultur zugunsten asiatischer Wettsüchtiger mit Füssen treten.
Ausfluss solcher Entwicklungen ist dann der Vorschlag, dass Endspiel um den DFB-Pokal müsste in China ausgetragen werden. Und natürlich werden die Fans, die dem FCB und Stoibers Spiessgesellen die Taschen noch mehr anfüllen sollen, sich kaum in ein zugiges Dritt- oder Zweitligastadion setzen, und sich dort erdigen Fussball von der Machart reinziehen, der eigentlich die Basis der Erfolgsgeschichte des Fussballs von uns Deutschen nach dem Krieg gewesen ist. Wenn es darum geht, statt um asiatische Häppchenkultur und Maximalvermarktung: diesen Fussball gibt es immer noch, er ist das Rückgrat des Fussballs an sich, das andere ist eine Blase, die vorüber gehen kann. Wenn es um die Grösse der Show geht, wirkt eine Helene Fischer bestenfalls wie eine der Hupfdohlen, die eine Lady Gaga bei der Pausenshow des Superbowl umkreisen. Wirkt eigentlich unser FCB gegen Real mittlerweile wie ein Verein, der von etwas lautstarken Provinzlern geführt wird, so ähnlich, wie früher unser Vizekusen mit dem nervigen 'Calli' Calmund. Ich glaube, die Stoibers etc. lehnen sich ziemlich was aus dem Fenster, sind derzeit halb besoffen von der ganzen hereinkommenden Kohle. Vielleicht ist auch der für mein Dafürhalten an den Haaren herbeigezogene Abgang von Tuchel schon ein Indiz für Grössenwahn beim BVB, wer weiss.
Ich glaube an den Amateurfussball, daran, dass man auf breiter Basis viel mehr Mädchen dazu motivieren sollte, auch mitzutun, daran, dass man wieder Mannschaftsdienlichkeit, Vertrauen und unprätentiös "gearbeiteten" Fussball an die erste, zweite und auch dritte Stelle setzt, dass unsere nationalen Tugenden in diesem Bereich wieder verherrlicht werden. Wenn man es genau nimmt, haben wir die letzte Weltmeisterschaft mit unseren "klassischen" Eigenschaften ins Land geholt, und die davor auch. Der Wert des 50 + 1 darf nicht vom Verband selbst unterspült werden, es sollte nicht endlos die Schraube in Richtung Eventkultur angezogen werden, sonst werden die Spielerberater, die 'Zuchtstationen' in Afrika, Brasilien etc., wo Jungs unter äusserst harten Bedingungen gedrillt werden, ohne dass mehr als ein Bruchteil von ihnen jemals auch nur eine kleine Chance bekommen wird, immer allmächtiger. Es geht dabei auch um erfolgsbesoffe Reporter, die einen Rangnick im Interview sogar die dümmlichen Parolen der Werbeabteilung seines grossen und einzigen Gönners nachplappern lassen, ohne etwas zu hinterfragen. Also um den politisch gewollten Auftrag unseres öffentlich-rechtlichen Systems. Wenn ein Tom Bartels zugleich bei EA-Sports kommentiert, sollte das mit einem öffentlich-rechtlichen Auftrag z.B. wieder unvereinbar sein.
Hier geht es nicht darum, diesem Mann die Kohle nicht zu gönnen. Sondern darum, dass auf einmal jedes von ihm kommentierte Spiel so wirkt, als sei EA-Sports dessen Hauptsponsor. Es kommt nicht drauf an, ob Leute reich oder spinnert sind, einer wie Toni Kroos repräsentiert trotz Millionenverdienst für mich echte Vorbildfunktionen, so wie es auch früher ein Netzer, ein Beckenbauer, ein Matthäus hingekriegt haben. Es muss aber wieder über den Fussball kommen, nicht über die tolle Frise oder die komischen Augenbrauen! Vor allem darf der Fussball im Stadion nicht sterben, dürfen Jahreskarten für bestimmte Clubs nicht eine Art Erkennungsmarke für relativ wenige Gutsituierte sein, während dem die anderen vor halb leeren Rängen vor sich hinvegetieren. Wenn es soweit kommt, werde ich mich definitiv endgültig nur noch an den unteren Ligen orientieren, zum Glück haben wir da ja ein breit gefächertes Angebot. Schon jetzt lösen viele Paarungen in Liga eins in mir kaum noch etwas aus, ehrlich gesagt.