@Markus An der Tendenz, dass Fussball aus Zuschauersicht immer mehr zum Fernsehsesselsport verkommt, wäre dann also der Auswärtsspiele-Stream des WDR schuld? Finde ich eine ziemlich steile These!
Ich würde mal behaupten, der Auswärtsstream sollte sich um diejenigen kümmern, die echt nicht die Zeit haben, Auswärts zu fahren, so wie ich zum Beispiel. Klar, vor zwanzig Jahren gab es gar nix, und vor vierzig Jahren hatten längst nicht alle nen Farbfernseher, und manche noch nicht mal Telefon; aber heute ist eben heute; da kann man ruhig mal drüber nachdenken, wieviel es wohl tatsächlich kostet, einen festen Stream-Sendeplatz, von mir aus unkommentiert (braucht eh kein Mensch) zu etablieren. Und, da dies nicht geschieht, darüber nachdenken, warum es nicht geschieht. Zumal ein Intendant wie Tom Buhrow überhaupt keinen Hehl daraus macht, dass er vieles hier in Deutschland kleingeistig und rückständig findet, wahrscheinlich auch Menschen, die weiterhin zu den Fussballvereinen pilgern, zu denen ihre Eltern schon hielten. Ist für mich kein Geheule, sondern zeigt, dass die Verbraucher mehr kritisches Bewusstsein entwickelt haben, als sie vor zwanzig respektive vierzig Jahren hatten.
Dass Fernsehübertragungen, oder gar wackelige Streams, die Leute hingegen aus dem Stadion raushalten, halte ich für ein Gerücht. Dann müssten alle Stadien in der logischen Folge, bei der Lückenlosigkeit der Berichterstattung über die erste Liga etwa bei Sky, leer stehen, was trotz mittlerweile horrender Preise bekanntlich nicht der Fall ist. Diejenigen, welche die Stadionzuschauer zu reiner Staffage herabregulieren, das sind die Anbieter wie Sky zusammen mit den dicken Walfischen von Vereinen, denen es um Gewinnmaximierung für die Kartelle der Investoren geht. Dass der WDR dem irgendwie sonderlich kritisch gegenübersteht, konnte ich, vielleicht hab ich ja da was verpasst, noch nicht feststellen. In der Sportschau wird Rasenballsport fleissig verherrlicht, und aus jeder Einlassung eines Rummenigge Honig gesaugt, als habe der Papst mal wieder eine Botschaft unter die Leute gestreut. Drittligafussball wird lächelnd en passant als Lückenbüsser gebracht, weil sie eben vor 18.30 keine Lizenz haben, bewegte Bilder der DFL zu zeigen.
Wie soll ein Mädchen oder Junge da dazu gebracht werden, sich vielleicht ein MSV-Shirt (oder von mir aus auch eins von Preussen Münster, wenn sie/er da oben wohnt) zuzulegen, und diese Auswahl beim Fussballtraining offensiv verteidigen können, wenn die Typen vom Fernsehen aus diesem Fussball einen reinen Pausenfüller machen? Ohne feste Sendeplätze wird sich kein Mensch, für den es nicht schon eine Herzenssache ist, durch die Internetwüsten fressen, um rauszufinden, ob nach vier Wochen vielleicht doch mal wieder ein MSV-Spiel gestreamt wird.
Irgendwelche neuen Verbraucherschichten kann man so niemals erschliessen. Das Resultat ist dann, dass man mit aller Gewalt wieder hoch an die Fleischtöpfe muss, oder im Schlagschatten eingeht wie eine Primel. Eine starke dritte LIga hingegen, die etwas für die Menschen in der Region bedeutet, vor allem für diejenigen, die eben keine klassischen Stadiongänger sind, und die über diesen Mechanismus neue Stadiongänger und Sympathisanten generiert, muss vom regionalen Fernsehen Unterstützung kriegen. Im Osten haben sie das kapiert.
Buhrow, der sicher sowieso lieber Football auf ProSieben MAXX anschaut, und dabei weiter von seiner Amerika-Zeit als Korrespondent träumt, wird es wahrscheinlich nie kapieren, gar nicht kapieren können.
Was die Öffentlich-Rechtlichen angeht, haben die einen Auftrag, nämlich den, an der Ausdifferenzierung von Meinungsbildung mitzuwirken. Erst dies rechtfertigt die Gebühren, die man dafür zu entrichten hat. Ich habe damit null Problem und finde, es gibt eine Menge Sachen, für die man mit weniger Grund mehr bezahlen muss. Ich fahre viel Auto, und höre z.B. sehr oft WDR-Radio, kann ich nur wärmstens empfehlen. Was den Sport betrifft, ist der WDR allerdings kaum bereit, sich im Hinblick auf die Stärkung von regionalem Bewusstsein (was ja auch was mit der eigenen Identität zu tun hat) einzulassen. Sportschau etc. sind aussschliesslich auf Spitzensport ausgerichtet. Lokale Sportveranstaltungen müssen schon international ausstrahlen (z.B. CHIO Aachen) bevor die sich herablassen, ihren Sendewagen auf die Autobahn zu setzen.
Es gab mal Überlegungen, am Wochenende Live-Spiele der dritten Liga im Fernsehen zu bringen, und zwar (was ich extrem wichtig fände!) auf einem regelmässigen Sendeplatz. Das ist allerdings längst wieder gestorben. Da könnte wenigstens ein popeliger Stream sein, finde ich. Dass sogar darüber schon diskutiert werden muss, nicht einmal das mehr geht, ist für mich ein Armutszeugnis. Es zeigt, dass die Vereine auf dem Niveau, auf dem der MSV sich befindet, mittlerweile komplett abgeschrieben haben, dass ihnen die Indentifikationskraft für die Region vollkommen egal ist. Die Tatsache, dass der MSV hier immer noch eine Macht ist (wie sich ja unlängst bei den Rettungsdemonstrationen gezeigt hat, sich aber auch daran zeigt, wie wir uns sportlich weiterhin durchkämpfen, sogar wieder Land zurückgewinnen) sie überhaupt nicht berührt. Wenn wir wieder in der Zweiten ankommen, und dort vielleicht einen grandiosen Hinrundenstart hinlegen, werden sie alle ankommen, und sich darüber einen abberichten, wie toll wichtig regional bezogener Fussball für eine darbende Gegend wie Duisburg ist, etc.
Dass solcherlei Bewusstsein bereits jetzt in ihre Überlegungen einfliessen könnten, davon kann allerdings keine Rede sein, da helfen sie einstweilen lieber fleissig Herrn Mateschitz beim Absetzen von Süsslimonaden mit fragwürdigen Inhaltsstoffen. Diese ungenierte Prodouktwerbung ist für ihn kostenfrei, eine freundliche Spende der vereinigten Gebührenentrichter. Kritische Berichterstattung? Vom WDR höchstens im Bezug auf die Fans, die dagegen protestieren, und denen man unterstellt, es wäre der reine Neid von Habenichtsen, der sie dazu verannlasst. Wenn mal eine kritische Doku läuft, dann irgendwo spät in der Nacht. Man hat ja Arnd Zeigler, den Mann, der uns dran erinnert, dass es vor der Sintflut schon das Fussballballett gegeben hat.
All dies zeigt für mich in einiger Ausführlichkeit dargelegt, dass die den Fussballgucker sowieso für ein bisschen doof halten, und insgeheim der Meinung sind, dass diese Knaller bestenfalls dafür taugen, dass man mit ihnen Einschaltquote macht. Fussball soll Quote machen. Die befassen sich nicht mit diesem Sport, sondern melken auch die überzüchtete Turbo-Kuh. Da, wo es auch nur um Kleckerbeträge geht, die zu investieren wären, um zig Tausenden, die halt nicht ins Stadion können, oder vielleicht die Kohle auch gar nicht haben, um nach Erfurt oder sonstwo hin zu fahren, ein Highlight am Wochenende zu verschaffen, ist es ihnen ganz gleich. Da winken halt keine Werbeeinnahmen. In zynischer Verachtung des Publikums werden irgendwelche Schnulzen aus der Mottenkiste gesendet, die nicht mal mehr Kalkofe als schlechtesten Film aller Zeiten bringen könnte, ohne sich einen Shitstorm einzuhandeln.
Hierbei geht es weniger speziell nur um den MSV selbst, als um die Situation etwa des Profifussballs abseits der ganz grossen Geldflüsse in einer Gegend, die vor noch nicht allzu langer Zeit vor Erstligaclubs nur so strotzte. Darum, den Leuten wieder ein Bewusstsein dafür zu vermitteln, dass hier abseits von Herne West und Lüdenscheid Nord eine Fussballkultur weiterexistiert, die ihr mediales Schattendasein sehr zu unrecht führt. Heute, das hat sich mittlerweile wirklich geändert, ist nur noch das etwas, das im Fernsehen gezeigt wird. Das gilt jedenfalls so lange, bis man Leute dafür gewinnen konnte, sich wirklich zu interessieren. Ich werde immer wieder drauf angesprochen, wo der MSV eigentlich gerade spielt. Wäre geil, dass ich wenigstens auf einen wöchentlichen Stream hinweisen könnte, auf dem die Interessierten dann auch zuverlässig das Gesuchte finden. Das ist, wie es ist, etwa bei heutigen Kids; und darum hat sich ein Sender mit einem Bildungsauftrag zu kümmern. Aber auch um so manchen Greis in einem Altersheim, der sich mal wieder nach ein paar Zebrastreifen vor Grasgrün sehnt. Den Koch, der sowieso am Wochenende immer arbeiten muss, aber sich übern Laptop einklinken könnte; den Malleurlauber und den Schnürsenkelvertreter, der im Hotel in Aserbaidschan allein mit der Minibar rumsitzt, und der über einen Stream vor Glück heulen würde, etc. pp.
Wenn sie statt dessen alte Piratenschinken zeigen, sollten sie einem erklären, warum. Denn sie sind auch dazu verpflichtet, Transparenz dazu herzustellen, was sie mit der ganzen eingenommenen Kohle veranstalten. Schliesslich leben wir ja in einer Demokratie.