@Kleinenbroicher
Was Reck angeht, hast du insoweit recht, als dass seine Bilanz letztes Jahr nicht so schlecht aussah. Allerdings ist dieser direkte Vergleich ziemlich schräg, weil die Saison noch gar nicht vorbei ist. Dass Reck unumstritten gewesen sei, stimmt allerdings ganz und gar nicht. Kosta Runjaic geniesst, zu recht oder unrecht, einen wesentlich höheren Vertrauensvorschuss, als ihn Reck je hatte.
Viele haben letztes Jahr auch nach Saisonende dafür plädiert, Reck mit einem freundlichen Dankeschön wieder auf den Posten eines Torwarttrainers, von wo er ja hergekommen war, zurückzuversetzen. Ich will aber gar nicht drumrumreden, dass ich persönlich zu den Leuten gehörte, die sich für Reck ausgesprochen haben. Hierbei habe ich bestimmte Tendenzen vielleicht übersehen, so ähnlich, wie du aktuell bei Frontzeck von Pauli. Ich mochte den Mann von seiner Art her vielleicht, und habe ihm deshalb einen nicht gerechtfertigten Bonus gegeben. Viele mochten Reck ja explizit auch nicht, und womöglich gab es da auch "negatives Bauchgefühl".
Immerhin gibt es aber Fussballexperten vom Range eines Timo Perthel, Ranisav Jovanovic oder Sören Brandy, die sich von einem Oliver Reck immerhin soviel versprochen haben, dass sie ihre berufliche Zukunft mit ihm verknüpften. Wenigstens ein Indiz dafür, dass die Probleme, in welche Reck uns direkt hineinführen würde, nicht von allem Anfang an klar auf dem Tisch lagen und nur für ausgeprochene Blindfische zu übersehen waren.
Reck hat für mich durchaus den Anspruch "Perspektivtrainer" verkörpert, insbesondere wegen Spielern wie Wiedwald, Hoffmann und Exslager, die er entscheidend nach vorne gebracht hat, und wegen seiner Verbindung mit Schubert vom NLZ. Gescheitert ist er für mein Gefühl an mangelnder taktischer Flexibilität bezüglich seines Spielsystems, welche verhinderte, dass er Ausfälle und Veränderungen angemessen kompensieren konnte, sowie an unausgereifter eigener Planung bei der Zusammenstellung der Trainingseinheiten.
Wenn ich damit auf Runjaic zurückkomme, dann beobachte ich, dass er diese entscheidenden Fehler von Reck nicht nur ausgeglichen hat, sondern dass gerade in Feldern, wo die Mannschaft zu Saisonbeginn eklatante Schwächen aufwies, jetzt ihre Stärken liegen: die Truppe ist austrainiert bis in die letzte Haarspitze und kann gegen jeden Gegner jedes Tempo zu jedem Zeitpunkt mitgehen. Und weiter wird sie immer weniger davon bestimmt, wenn Stammkräfte ausfallen. Sie spielt einen sehr schnellen dynamischen Fussball mit viel Umschalten, nutzt lange Bälle und das Kurzpassspiel zu gleichen Teilen, gestaltet die Räume im Pressing extrem eng.
All das gab es bei Reck nicht. Er spielte immer das gleiche System, das, im Nachgang betrachtet, ganz an der Person Jürgen Gjasula aufgehängt war. Reck kam über eine klassisch tief stehende Defensive zum Erfolg. Die gute Verteidigung als Grundlage findet sich bei Runjaic zwar auch, aber hier steht die Mannschaft durchweg höher und schaltet schneller und flüssiger um. Zugestehen muss man, dass Reck weder einen fitten Perthel noch einen Jovanovic in Hochform hatte, als es in die neue Saison ging. Zuguterletzt hat er einfach auch seltenes Pech gehabt, der Olli.
Ich benutze die Zuschreibung Perspektivtrainer nicht, um darzustellen, dass ich mir sicher bin, dass mit Runjaic jetzt goldene Zeiten anbrechen. Der Reiz, wenn man ins Stadion geht, besteht darin, dass man nicht weiss, wie es ausgeht. Wenn Runjaic bleibt, kann er ebenso krachend scheitern wie Reck. Aus den genannten Gründen sehe ich das nicht. Aber Garantien gibt dir keiner. Wenn man es schon wüsste, bräuchte man ja auch nicht mehr hinfahren und sich die Spiele angucken.
Ein Perspektivtrainer ist für mich einer, der eine Mannschaft vorwiegend mit eigenen Ressourcen und ohne eklatante Neuverschuldung über mehrere Jahre auf ein deutlich höheres Niveau hin orientiert. Das Musterexemplar dieser Art der Berufsauffassung ist aktuell Pep Guardiola, diese Trainer hat es aber immer gegeben.
Der "Retter" hingegen ist einer, den man holt, um ziemlich schnell ein konkretes Ziel zu erreichen, ohne Rücksicht auf sportliche oder finanzielle Ressourcen zu nehmen. Hier gibt es einfach die Hoffnung, dass mit dem Erreichen des Zieles die Geldströme wieder fliessen. Musterbeispiel für diese Hochrisikooption ist Jose Mourinho.
Nimmt man diese beiden mal als Muster, sieht man auch, warum wir uns nicht weiter leisten konnten, "Retter" wie Neururer (ich würde mit einigen Einschränkungen letztendlich auch Sasic dieser Kategorie zuschlagen) zu beschäftigen. Sobald der Retter nach seinem Erfolg oder Misserfolg von dannen zieht, hinterlässt er einen tiefen Krater wie nach einem Raketenstart, um welchen sich dann andere kümmern müssen.
Diese Option hatte sich für uns verbraucht. Noch ein Versuch mit einem "Retter" hätte bei uns wohl da geendet, wo Aachen jetzt ist. Vielleicht hat nur die Misere bei den Verantwortlichen diese Erkenntnis herbeigezwungen, nach dem Motto "Not macht erfinderisch". Das ist aber meist so, von daher muss Runjaic kein Schlechter sein, nur weil er in einer schlechten Lage dazu gekommen ist.