Ich will diese Metaphorik vom "Begleiten eines Sterbenden" nicht annehmen. Fakt ist doch, dass wir sportlich keineswegs einem Sterbenden geglichen haben, wenn man sich die Rückrunde der aktuellen Saison ansieht. Wir haben nicht immer schönen, aber sehr effektiven Fussball gespielt, hatten vielversprechende Jungens in der Manschaft und auf dem Zettel für Neuverpflichtungen. In der Arena gab es Drama, Wettkampf und den Wahnsinn von mit Mut, Wut und Muskelschmalz gedrehten Spielen und Tendenzen.
Und das war letzte Saison auch so. Denkt man an den Schlussakkord in Düsseldorf seinerzeit, war das nicht der letzte Röchler einer Fastleiche, sondern die Demonstration einer vitalen, lebenskräftigen Einheit zwischen Spielern und Anhängern, die Annahme einer sportlichen Herausforderung mit ganzer Leidenschaft und Hingabe. Und selbiges gilt auch für die Pokalsaison und sogar für die erste Neururer-Halbzeit. Es war nicht immer schön, aber immer spannend, immer sind wir am Ende wieder zurückgekommen, nicht auf Krücken, sondern im Sturmlauf.
Für mich geht das Bild so: ein junger Hund, der nichts will als spielen und herumtollen, der strotzt vor Kraft, und dem fette fiese Typen immer mehr Gewichte anhängen, Spielräume einschränken, bis er mal apathisch rumliegt, mal wütend um sich beisst. Dann wird ihm, weil das Experiment vorbei ist, mit einem harten Schlag mit dem Kantholz der Schädel zertrümmert. So wird für mich ein Schuh daraus: unsere Liebe, unser Hoffen, unsere Solidarität, unser Gemeinschaftsgefühl, all das waren nur Nebenaspekte in einem Szenario, welches in "Wahrheit" aus ganz anderen Motivationen und Antrieben hervorgegangen ist.
Bei der DFL besteht all das, was unser MSV ist, nur aus endlosen Kolonnen trister Zahlenreihen, die als Papierauszug auf einem Schreibtisch rumliegen. Das bisschen, was der MSV dort, in dieser schrecklichen Einöde bedeutet, ist tragischer Weise das Entscheidende, nicht das Globale und Allumfassende, was er für uns Fans bedeutet, das, was wir doch alle gemeinsam nicht nur "spüren", sondern mit ganzem Herzen, jeder Faser unseres Selbst, durchdringen können, dessen Wahrheit so evident ist, dass es schwer Depressive aus den Stühlen reisst, Fusslahme zum Tanzen bringt, Schüchterne auf den Zaun treibt, wenn das glorreiche Siegtor doch noch fällt.
Dies ist auch ein grosses Sozialprojekt, das jäh und unabgefedert zu scheitern droht, oder schon gescheitert ist, etwas, das den Anspruch, niemanden zurückzulassen, vollständig erfüllt, den Frau Kraft im jüngsten Wahlkampf so elegant formulieren konnte, während sie die funkenversengten Stahlarbeiter mit Dienstleistern, Computerfreaks, alleinerziehenden Frauen, Rentnern, Invaliden und jungen Leuten, die ihre Zukunft suchen, zu versöhnen schien. Zehnjährige, Fünfzehnjährige, die ihre moralischen Standards darüber befestigen, dass sie sehen, wie es sich lohnt, fleissig zu sein, seinen Weg konsequent zu Ende zu gehen, alte Männer, denen sich im Stadion Woche für Woche bestätigt hat, dass ihr Durchhalten nicht für den hohlen Zahn war, junge Typen, die sich für eine gute Sache vorbehaltlos engagieren und lernen, dass sich das auch lohnt. Sie alle stehen da, betrogen von einigen Finanzjongleuren, die jetzt ihre Rechenschieber einpacken, in die Limos steigen und eins weiter ziehen.
Wenn man das konsequent durchdenkt, kommt man wirklich zu Systemfragen an sich, wird die ganze Sache in krasser Weise politisch. Hier geht um viel mehr als einen angenehmen Zeitvertreib. Auch um mehr als einen Chefsekretär Kentsch. Vielleicht setzte ich mich jetzt mal hin und mache mir ein paar Notizen für Bürgschaftsgeber Peer Steinbrück. Habe im Urin, dass er im Sommer hier und da in NRW mal auftauchen könnte, vielleicht zusammen mit Hannelore Kraft oder Sylvia Löhrmann. Vielleicht will er ja auch mal ein schönes Oberligaspiel gucken kommen, wenn die Sicherheit gewährleistet werden kann. Anfrage kostet jedenfalls nix.
Ein Faktum für mich, dass der MSV nicht nur von Hellmich eingenommen wurde, sondern dass die Politik ihm diesen, mitsamt den Bürgerinnen und Bürgern, also "lebendem Inventar", wenn man so will, auch schön zerteilt wie eine Schlachtplatte, mundgerecht geliefert hat. Hellmich kann für sich wenigstens noch die Wechselwirkungen der freien Marktwirtschaft in Anspruch nehmen, denen er als Unternehmer halt ausgesetzt ist. Die Politik aber, will sie ihre Relevanz nicht ganz und gar einbüssen, ist verpflichtet, den Bürger und die Bürgerin nicht als Spielball der Interessen oder Salz in der Suppe mit reinzuwerfen, sondern diese gegebenenfalls zu schützen.
So, jetzt kümmert euch um die Leute, die jetzt vielleicht mal ne Flasche werfen, weil man gerade alles zerstört hat, was sie an das Gute im System glauben liess. Und habt den Mut, die Polizei mal nach hinten zu stellen. Link vor Ort, Kraft vor Ort, Löhrmann vor Ort, Steinbrück vor Ort! Was mich angeht, kämpft ihr dabei auch schon um Stimmen für die nächste(n) Wahl(en). Je länger das Schweigen, je schlechter die Aussichten.