Gutes Spiel der Deutschen, anküpfend an die solide Leistung gegen Frankreich. Klasse, wie man Schwächen bei unterschiedlichen Gegnern antizipieren kann: die sofort eklatant zurückgekehrte brasilianische Unordnung nach dem ziemlich frühen Führungsstor wurde ausgenutzt, um die förmlich aus dem Stadion zu schiessen, bevor sie überhaupt dazu kamen, ihre eigenen Abstimmungsprobleme richtig mitzukriegen. Wieder Kroos der alles entscheidende Taktiker, Schweinsteiger diesmal eine grandios wirksame Rückabsicherung, Khedira schön Druck gemacht, ohne die Kontrolle zu verlieren. Und selbst Özil durfte, wenn auch als eine sympathische Randfigur, dabei mitmachen.
Müller hält das alles irgendwie gut zusammen, das reichte gegen Brasilianer, die total auseinanderfielen. Hier war die eigentliche Katastrophe wohl nicht der Ausfall Neymars, sondern derjenige Thiago Silvas. Fussballhistorischer Untergang des Gastgebers. Alle, die dort vor Ort sind, finden deren Art von Gastfreundschaft grandios, und die grossartige Athmosphäre bei dem Wettbewerb ist sicher auch zum Teil brasilianischer Mentalität zu verdanken, also tut einem schon leid, wenn die so abgefertigt werden. Dennoch muss man eindeutig feststellen: es war völlig verdient, kein Tor zu wenig. So kann und darf sich eine Nationalmannschaft auf dem Niveau nicht demontieren lassen.
Was gefiel bei uns: Jogi-Fussi gibt es immer noch, die Kombinationen in den Strafraum mit unerwarteten Variationen und hinterlistigen Abschlüssen, das Kurzpassspiel in alle Richtungen und mit viel Tempo. Und war getragen von einer solide gestaffelten Hintermannschaft, welche es nicht übertrieb mit dem Vorwärtsstürmen. Löw verzichtete auf taktische Mätzchen und Lahm blieb drum natürlich dort, wo er überragend gut ist. Ausserdem scheint aktuell die Mannschaft optimal zentriert, und die gesundheitlichen Wackelkandidaten Klose, Khedira und Schweinsteiger sind topfit, in dem Moment, wo sie es sein müssen, und solange wie sei es sein müssen. Alle Auswechslungen greifen.
Das lange scheinbare Sorgenkind, die Abwehr, sie glänzt, in allerbestem Saft stehend: Neuer, Boateng, Hummels, Höwedes, Lahm sind diejenigen, welche die erforderliche Ruhe ins Spiel bringen, indem sie all ihre Aufgaben zuverlässig, mutig und selbstbewusst erledigen. Hier hat sich eine Stammformation mit Perspektive herausgebildet. Im Mittelfeld ist Kroos derjenige, welcher nun die richtigen Impulse setzt, sollte er nach Real gehen und dort reüssieren, wird er sicher ein kommender echter Weltstar für die Nationalmannschaft sein können und vielleicht die Versprechen einlösen, die Özil und Khedira nie richtig halten konnten. Neuer endgültig jenseits aller Zweifel.
Einen wie Müller braucht sowieso jede Mannschaft. Habe vergessen, wer dieses Bonmot verbreitete, aber es stimmt: in jeder Nationalmannschaft wäre Thomas Müller heutzutage sicher Stammspieler. Bleibt noch Özil, der selbst heute ein bisschen fehl am Platze wirkte: dass er Kroos in der Zentrale wieder verdrängt ist undenkbar, ihm fehlt in der Defensive so gut wie alles. Niemand weiss, wo der so richtig hingehören könnte, momentan. Wenn Reus noch dazugekommen wäre, ferner Götzte sich deutlich mehr hineindrängelt, dann sieht man nicht, wie er einen Platz in der Startelf behalten können sollte. Wichtig: grandiose Standardtore, welche heute wieder den Reigen eröffneten.
Die Brasilianer eindimensional, wie im Tunnel: sofort viel Druck nach vorne, die wollten unbedingt, dass sie die erste Bude machen und uns dann mit strahlenden Tricks und 'Joga Bonito' an die Wand spielen, damit die Herzen der Massen ihnen endgültig zufliegen sollten. Die hatten ihre Nerven echt schlechter im Griff wie sonst einige afrikanische Teams, waren zu null Prozent den veränderten Anforderungen angepasst worden, die taktische Aussrichtung bestand allein darin, alles wieder gut zu machen, was Neymar passiert ist. Schade, schade: diese Spieler, die eigenlich so berauschend schön spielen können, so unter jedem Wert verheizt werden zu sehen, das war schon trübe.
Nicht nur bei mir, auch bei vielen anderen, ist der Rausch eines grossen Fussballfestes irgendwie ausgeblieben: die Einseitigkeit der Begegnung, die schon früh gegebene Sicherheit, dass wir weiter sind, eine Art Schock darüber, wie immer weitere Tore einfach so fielen, verhinderten einen grossen Fussballabend am Ende. Das schmälert die Leistung unserer Nationalmannschaft kein bisschen. Ab sofort sind wir Top-Titelfavorit, und ich fand den Umgang unserer Spieler damit bemerkenswert: Jetzt haben sie, soviel spürte man deutlich, nicht nur den unbedingten Willen, sondern auch die unbedingte Abgeklärtheit, um dieses Ding im Stil der ganz Grossen nach Hause zu schaukeln.
Auf diese Mannschaft, wie sie sich gegen Frankreich und Brasilien präsentierte, unter Ablegung der taktischen Mätzchen, und daraus resultierender Verkrampfungen, einen geradlinigen, dominierenden, gefährlichen, aber nicht wahnwitzigen Fussball präsentierend, der Ergebnissport war, aber auch schön anzusehen wegen dem guten Stellungsspiel und der Präzision beim Laufen-Lassen des Balls, kann man wirklich stolz sein. Sie scheint noch rechtzeitig fertig geworden zu sein, trotz Lieferschwierigkeiten und teilweise hanebüchenden Ablenkungsmanövern der Konstrukteure: eine Präzisisonsmaschine für den Mannschaftssport, deren Teile bestens aufeinander abgestimmt sind.