@MSV_Fan_HT
Problem mit deiner Argumentation: sie ist so tiefenentspannt, dass man mit den Grundzügen davon (Leben und leben lassen, Fairness, alle wollen nur ein bisschen den Sonnenschein in der Kurve geniessen) alles mögliche rechtfertigen und alles mögliche andere relativieren kann. Genau auf dieser lässigen Indifferenz schwimmen Leute wie Dietrich Mateschitz wie die Fettaugen. Natürlich sprichst du ihnen mit der Behauptung, jeder könnte es
ja halten wie er will, damit, wie er sich als Fan selbstdarstellt, aus dem Herzen, und zuerst wirkt das ja auch unverdächtig - allerdings wird dir dann schon schlecht, wenn viele Fans zugleich in gleichförmiger Manier den Unmut über das künstlichste aller Kunstprodukte schlechthin, RasenBallsport, zum Ausdruck bringen wollen, und du sparst auch nicht mit ziemlich böser Häme über bestimmte Anhänger im Allgemeinen. Nur eben nicht hinsichtlich dieser einfachen Leutchen, die sich halt in Leipzig drüber freuen, dass sie mal wieder guten Fussi zu sehen kriegen. Echt rührend, diese schicke Attitüde mit dem schulterklopfenden Verständnis für diejenigen, die es sich wegen der Vertreibung von Honecker und Mielke redlich verdient haben, dass ihnen jetzt Mateschitz und Rangnick ins Haus gefallen sind.
Das Problem ist nur: die leben natürlich nicht in einer in der Hinsicht freien Welt, wie du sie uns weismachen willst, du lebst nicht darinnen, ich lebe auch nicht darinnen. Und nicht mal Chr. Lindner von der Rumpf-FDP oder die Damen und Herren von der AfD würden sich heute noch zu sagen trauen, dass wir in einer solch "freien" Welt leben. Und das ist auch gut so, dass wir in einer regulierten Welt leben: du kannst deine Kinder vermutlich auch zur Schule schicken, ohne dass du eigentlich Angst haben musst, dass die von Tieren gefressen oder von Raubrittern einfach verschleppt werden. In deinem Job wird es Tarifabsprachen geben, vielleicht fette Boni, wenn du mehr machst als nur das, was du sollst. Und wenn sie dich aussortieren, fällst du keineswegs ins Bodenlose. Alles eine Frage der Absprachen, der Vernetzung, der kleinteiligen Regulierung, würde ich sagen. Natürlich findet sich immer irgend ein Schwafler, der behauptet, solches Glück haben wir dem fähigen Unternehmertum und dem grossen Herzen von solchen Leuten wie Mateschitz zu verdanken - allerdings glaubt doch selbst die allerletzte Klatschpappentussi nicht mehr im Ernst dran, dass dies wirklich so stimmt. Was unkontrolliertes Unternehmertum bedeutet, sieht man etwa bei den griechischen Redern, oder bei einigen russischen Ölmagnaten.
Wir selbst haben gesehen, was die Allmacht einer Einzelperson in einem solchen Gefüge von Partialinteressen und Investitionskonglomeraten, wie sie ein Verein zwangsläufig darstellt, bedeutet: Jahrelang hatten wir genug Geld, aber dennoch synthetische Mannschaften, die nichts wirklich hinkriegten, wenn es drauf ankam. Das lag einzig und allein an der Tatsache, dass Hellmich im Gesamtgefüge schlicht finanziell zu bedeutend war und deshalb jenseits vorgeblicher Mehrheitsverhältnisse und demokratischer Kontrollinstanzen so einfach die Geschicke manipulieren konnte wie ein chinesischer Fürst in der Ming-Dynastie oder ein afrikanischer Diktator. Gleiches gilt für Hoffenheim, wo jeder weiss, wie es da etwa damit gelaufen ist, wie Tim Wiese bei denen für teuer Geld installiert wurde, weil der Hopp irgendwie total auf den stand, oder so. Aus zwei solcher Beispiele lässt sich doch schon nichts anderes ableiten, als dass autokratische alte Typen, die einfach unanständig reich geworden sind und keinen Bock haben, immer nur Golf zu spielen, Gift für eine gewachsene Fankultur, aber auch Gift für das Wachsen einer Fankultur sind. Weder ein Hopp noch ein Hellmich musste sich jemals irgendwelcher Kritik öffentlich stellen. Ein Mateschitz verbietet sich sowas sogar von wichtigen Funktionären der DFL und lässt eine Heerschar von Anwälten von der Leine, während er Gott weiss wo Gott weiss was macht - wie soll sich da eine Fankultur etablieren, die sich als gleichwertig einbezogen zumindest empfindet?
Klar, der Fussball ist auch ein Geschäft. Aber es gibt auch den Fussball - jedenfalls bis heute noch - der kein Geschäft ist, sondern gewachsenes Gemeinschaftsgefühl. Spass da dran haben, anderen Leuten zuzusehen, die eine ambitionierte Leistung erbringen. Vielleicht selbst ein bisschen kicken, oder die Kinder dabei engagiert anfeuern. Dieser zweite Teil ist derjenige, bei welchem sehr viel mehr Menschen sehr viel mehr Herzblut investieren, und der leider in deiner künstlichen Sonnenschein-Welt weder in Leipzig noch woanders noch vorkommt. Fussball ist auch Identifikation mit einer Region, wo man mal lebte, oder alt zu werden gedenkt. Der lokale Club, wo man auf der Asche die ersten Torabschlüsse versuchte, vielleicht zum ersten Mal mitkriegte, dass die Mädchen in ihren Trainingsanzügen auf der Bahn irgendwie nicht ungeil sind, etc. pp. Von diesem ganzen Fussball wird zwar immer noch gern geredet und die Embleme, die damit verbunden sind, werden fleissig in die Kameras gehalten. Aber vorkommen in den Alltagsmedien tut er kaum noch in dem Umfang, der ihm eigentlich gerecht werden würde, im Gegenteil: irrwitzige Löhne und Ablösen bestimmen das öffentliche Bild, es hat sich eine Internationale des Fussballs ganz oben gebildet wie eine hauchdünne Kruste über dem ganzen Pudding.
In Wahrheit aber ist deine schöne freie Welt stinklangweilig, und die Internationale des Fussballs ist es genauso, selbst schon für die Mehrzahl der Kids, zwei Wochen nachdem das neue Fifa raus ist. Für mich ist Fussball (und ich geh mal davon aus, für die meisten anderen, die ihn leidenschaftlich lieben, ebenso) wie das ganze Leben, wie ein Modell des Sozialen überhaupt. Eine dünne Kruste oben drüber macht vielleicht mehr Appetit, aber es ist nicht der ganze Pudding, man wird weder satt davon, noch hat die Kruste ohne das andere irgendeinen Reiz. Und weil ein Mateschitz und sein Beckenbauer sowas genau wissen, müssen sie mit falschen Karten spielen, um die Illusion zu erzeugen, dass ihr Produkt alle vollgültigen Eigenschaften aufweist, die der Kunde bei den anderen Puddings ebenfalls voraussetzt. Hier geht die Schere auseinander, unterscheiden sich zuguterletzt auch waghalsige Machwerke wie Hoffenheim, Bayer Leverkusen oder VW Wolfsburg nochmal eindeutig von diesem absoluten Kunstdingens da, was irgendwie aus den österreichischen Wäldern über die Alpen gekrochen gekommen ist.
Das Problem von Blasen, die sich anstelle von wachsender Substanz bilden, seitdem die Globalisierung unglaubliche Zusammenballungen an wirtschaftlicher Potenz auf engstem Raum möglich gemacht hat, ist allfällig und oft genug aus traurigen Anlässen heraus beschrieben, und was nach dem Platzen solcher Blasen geschieht, hat man im Finanzsektor ebenso feststellen können wie im Immobilienbereich: auf einmal tauchen hinter den Zahlen die Gesichter realer Menschen auf, die keine Rente mehr kriegen, deren Erspartes von Investoren abgesahnt wurde, deren Fussballverein zum Ausverkauf zurechtgetakelt werden soll. Natürlich kann man Warnungen davor als die aufgeblasene Selbstbeweihräucherung von einigen Ewiggestrigen abklassifizieren, aber in Wahrheit wäre dies doch eine zynische Umkehrung: wer heutzutage noch ungebrochen an beste Absichten bei solchen wie Mateschitz, Rangnick und Co. glauben kann, der hat von den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren, egal ob bei uns oder da draussen in der "freien" Welt, irgendwie nichts mitgekriegt, oder nichts mitkriegen wollen. Entweder hast du wie das Dornröschen hinter irgendeiner Hecke rumgelegen und süss geschlummert, oder du bist dieser Typ, der mit einem Pferd oder Schwein loszieht und hinterher noch drei Kiesel oder so in der Hand hat, und dann froh ist, dass er endlich über rein gar nichts mehr nachdenken muss. Klar, so kann man es natürlich auch machen, wenn man sich gut fühlen will.