Wer das schon etwas länger guckt, kann, nein muss, sich an klassischen deutschen Fussball, früher oft und zum Teil zu unrecht als 'Rumpelfussball' klassifiziert, erinnert fühlen. Sprich: die anderen spielen schön, wir machen das einzige Tor. In dem Fall schon sehr früh im Spielverlauf und durch einen blitzsauberen Standard. Grandios, danach die Geschlossenheit und Disziplin über die ganze verbleibende Zeit hinweg. Gelegentliche Nadelstiche zur Entlastung, aber alle, auch der sonst übereifrige Khedira, stellten sich ganz und gar in den Dienst der grossartigen Defensive.
Humorlos wurde den Franzosen der Zahn gezogen, der Witz dabei, dass es fast schmerzfrei geschah, und der Gegner anscheinend viel zu spät mitkriegte, dass er es nicht mehr schaffen kann. Verdienter Einzug in Halbfinale. Wenn es kein grosses Spiel mehr wurde, lag das an den Franzosen, welche in Zugzwang waren, denen aber die wirklich genial-kreativen Momente fehlten, am Ende schlicht das Glück fehlte. Neuer ist da, wenn er gebraucht wird. Der Abschluss von Benzema auf seine Hand spektakulär, aber da ist Neuer einfach nur grandios im Halten der sozusagen vorgegeben Position, was wegen dem Gewimmel um ihn rum aber auch gross ist. Der Reflex kommt dann von selbst.
Dass damit alle Kritik aus der Vergangenheit widerlegt wäre, ist allerdings deswegen quatsch, weil fast sämtliche Kritiker genau so ein Spiel, eine solche Spielweise der Deutschen in den entscheidenden Momenten einer Begegnung immer wieder vergeblich angefordert haben. Hier geht es nicht um schön oder nicht schön, sondern um sicher oder unsicher. Im Bezug auf Jogi Löw sind mehrere Interpretationen dafür denkbar, dass er jetzt zu klassischen Tugenden (nicht deutschen, sondern allgemeingültigen im Fussball) zurückkehrt. Günstig für ihn wäre die Aussage, das Lahm-Mittelfeld war nur ne Notlösung. Ungünstig für ihn, dass er erst unter dem massiven Einspruch der Kritiker und im Angesicht des gänzlichen Scheiterns seiner bisherigen Konzeptionen im Algerien-Spiel jetzt letztendlich doch noch zur "Vernunft" gebracht werden konnte.
Letztendlich gleich: das ist ganz sein Sieg, so wie ein Aus gegen Algerien, ohne Neuers Wahnwitz definitiv anzunehmen, ganz sein Scheitern gewesen wäre. Darüber hinaus muss man den Mann halt bewundern, denn er hat wirklich den Mut dazu, immer wieder wirkliche Sachentscheidungen zu bringen, welche überraschen: Mertesacker, den viele nach seinem ungerechtfertigten Wutausbruch erst recht ins Herz geschlossen hatten, rauszunehmen, Hummels in die Verantwortung zu stellen, der eben noch krankheitsbedingt ausgefallen war, ist allerhand. Die Entscheidungen für Schweini, Khedira und Klose konnten dagegen nicht wirklich überraschen. Leider auch nicht, dass Özil drauf war, und Götze mal wieder nicht. Auf was man bei Mesut Özil derzeit noch wartet, bleibt ein Rätsel. Schürrle als Joker ist wiederum ganz verständlich.
Was anscheinend nicht geht: mit dieser soliden, deutlich tiefer gestaffelten Defensivformation noch Schwung nach vorn rein zu bekommen. Was Jogi Löw selbst als sein unveräusserliches Mantra definiert hatte, woran er sogar sein Sein als Bundestrainer immer wieder eindeutig koppelte, das explosiv-schnelle Umschaltspiel, ist nicht nur weniger geworden sondern: es existiert nicht mehr. Löw ist seit diesem Turnier jedenfalls kein Trainer mehr, mit dem, wie bei Arsene Wenger oder Guardiola, eine bestimmte Ausrichtung fest verknüpft wäre. Alle Diskussionen darum, ob der neue deutsche Weg der richtige ist, sind damit auch aufs Eis gelegt. Aktuell mutet es so an, als sei Berti Vogts nach dem Ausscheiden der Amis gleich rübergewechselt in den Beraterstab des deutschen Bundestrainers.
Noch ist nichts entschieden: holt Löw diesen fetten Pott (auf einmal scheint er echt in Reichweite gerückt, man fasst es noch kaum) wird er als Taktikfuchs vom Kaliber eines Herberger in die Geschichte eingehen, wozu sein ausgeprägter Akzent und andere sorgfältig gepflegte Skurrilitäten das ihre beitragen dürften. Scheitern wir aber gegen Brasilien, wo nach dem Gesetz unserer eigenen Serie (immer ein unsäglich schlechtes Spiel nach einem ziemlich guten) wieder das Chaos regieren könnte, wird man vielleicht Löw doch eher als Opportunisten ohne eigenes Profil bewerten.
In Deutschland, soviel ist mal sicher, erwirbst du dir mit dem Einzug ins Halbfinale noch keine bleibenden Meriten als Trainer.