@Zebra
Sowohl im Verlauf des aus unserer Sicht maximal erfolgreichen Brasilien-Turniers, aber auch beim "Sommermärchen" von 2006 schon, waren diejenigen, die an sich mehr Gelegenheitsgucker, jedenfalls fachlich ziemlich unkritisch waren, doch weitaus in der Mehrheit und somit für den Eindruck, dass die Nationalmannschaft sich auf einer Welle positiver Anteilnahme vorwärts bewegt, bestimmend, nicht die "Experten" oder wenigstens diejenigen, die viel Fussball gucken, und deswegen Vergleichsmöglichkeiten haben. Aber: würde die Nationalmannschaft nicht derartiges Interesse bei eigentlich mehr unbedarften Fans auslösen, hätte sie weitaus weniger finanzielle Optionen. Mercedes und Nutella würde sie bestimmt nicht in dem Umfang sponsern, zum Beispiel.
Deshalb ist ein Testspiel auch nur bedingt ein Test. Es ist mehr als das, nämlich über die Tickets eine direkte Einnahmequelle, und über die mediale Aufmerksamkeit eine Lokomotive, um möglichst viele potente Sponsoren anzulocken, oder deren Engagement fortgesetzt zu rechtfertigen. Das läuft bei der deutschen Nationalmannschaft genauso wie bei allen anderen auch, und der WM-Titel war schlussendlich ein gigantischer wirtschaftlicher Erfolg für viele. Das wäre nie mit den "richtigen" Fans, die tatsächlich in spartanischer Körperhaltung und mit durchweg ernstem Gesicht einfach nur Fussball gucken wollen, und die meist noch nicht mal viel Bier im Stadion wegtrinken, weil Ablenkungen vom Spielgeschehen gar nicht erwünscht sind, gelaufen.
Für mich besteht die kritische Öffentlichkeit insgesamt aber auch aus viel mehr als aus pfeifenden Gelegenheitsstadiongängern. Sie setzt sich aus denjenigen zusammen, denen es wirklich um die Sache geht, und denen es gelingt, argumentativ an die Spitze all der derjenigen anderen zu sein, die einfach vorwiegend nur etwas Lustiges, Buntes und Gemeinschaftsstiftendes erleben wollen. Die Letzteren sind aber nun mal die, welche die massenweise Kohle bringen und sekundär dafür sorgen, dass das Niveau eine bestimmte Höhe überhaupt dauerhaft halten kann.
Gerade wir Deutschen haben immer auch Erfolge deswegen gehabt, weil wir verbandsseitig über die weltweit beste Logistik verfügen. Ohne Gelegenheitsgucker wäre davon nicht mal halb soviel umsetzbar, und man kann an einem Verband wie Brasilien sehen, wohin es führt. Dort ist das Publikum enorm sachkundig und kritisch, speist aber vergleichsweise nur wenig Geld ins System ein, und die Folge ist ein logistisches Chaos bei jedem Turnier. Es wird kaum einen anderen Trainer in irgendeiner Sportart geben, der Reisemöglichkeiten hat wie Löw mit seinem Stab. Lange vor den Turnieren ist jedes Detail im Bezug auf Ernährung, Unterbringung und Trainungsmöglichkeiten, sind Transportfragen, ist die Gesundheitsvorsorge, Freizeit etc.pp. penibelst ausgecheckt.
Ich finde im übrigen, für die Eintrittspreise, die verlangt, und wohl mit Hilfe einer aggressiven Vermarktung auch erzielt werden (Stichwort "Die Mannschaft") kann der zahlende Stadionkunde auch etwas verlangen. Zumindest das, was ihm angekündigt wird. Und da sind wir zurück bei Gündogan, oder anderen aktuellen Äusserungen im Vor- oder Nachfeld der letztlich geglückten Qualifikation.
Niemand hätte was dagegen, wenn Gündogan gesagt hätte: es werden bestimmt richtig schlechte Testspiele gegen Holland und Frankreich, ich kann einem schwer arbeitenden Familienvater nur davon abraten, seinen halbwüchsigen Kindern und sich selbst das für soviel Geld anzutun. Und man hätte auch bereits gegen Georgien die zahlenden Zuschauer davor warnen können, erfüllt mit schlichter Vorfreude und allzu gutgläubig im Massen das riesige Leipziger Stadion anzufüllen.
Irgendwie ahnte man ja, dass es ein Gegurke vor dem Herrn werden würde, aber wer vorher explizit nur drauf achtete, was der Bundestrainer und andere den Journalisten in die Mikros und Blöcke sprach, der musste doch erwarten, dass unser letztes Qualispiel ein rauschender Triumphzug sein würde. Letztes Jahr hatte es bereits geheissen, dass wir mehr oder weniger bedarften Zuschauer angesichts mässiger spielerischer Qualität auf eine ganz andere zweite Hälfte der Quali rechnen dürfen, und jetzt wird uns für Entgangenes ein Titanenkampf für die letzten Testspiele des Jahres schon wieder schmackhaft gemacht, nachdem die avisierte Qualitätsverbesserung leider nicht konstant auf Strecke implementierbar war.
Dieser Teil der nationalmannschaftseigenen Öffentlichkeitsarbeit stört mich persönlich wenig, ich kann einerseits relativ gut ziemlich unansehnlichen Fussball gucken, und weiss andererseits auch, dass viel von der ganzen Vorankündigerei mit Vorsicht zu geniessen ist, aber ich möchte diejenigen, die hier vergleichsweise wenig Erfahrung haben und sich deswegen, auf den Weltmeistertrainer vertrauend, viel mehr von dem Leipzig-Spiel versprochen haben, als es je halten konnte, mal ausdrücklich in Schutz nehmen. Dafür, was dort angeboten wurde, waren das nicht mal sehr viele Pfiffe.