| 09.06.06, 10:08 Uhr |
Der Korruptionsskandal in der Serie A überschattet die ersten Tage der Italiener in Deutschland.
Duisburg und Italien, das passt irgendwie nicht zusammen. Graue Fabrikhallen, schwarze Rauchsäulen auf der einen Seite. Lebenslust, Leichtigkeit, schnelle Autos, schöne Frauen, fetzige Mode und leckere Küche auf der anderen. Und dann erst beim Fußball: Im Revier spielen die Abstiegsstolperfußballer aus Duisburg, zwischen Mailand und Rom kickt die europäische Elite.
Üben hinter dichtem Blattwerk
Das war mal so.
Jetzt sind auch die stolzen Fußball-Millionäre vom Apennin ganz unten gelandet. Kein Hauch von Arroganz, als sich Totti, de Rossi, Toni & Co. am Donnerstagmorgen das erste Mal auf dem MSV-Trainingsplatz warm laufen und die Muskeln dehnen. Versteckt hinter dichtem Blattwerk von Buchen und Eichen treibt Italiens Maestro der Trainergilde, Marcello Lippi, seine Starfußballer über den satt grünen Rasen im hintersten Winkel des Trainingszentrums im Stadtteil Meiderich.
“Skandal macht das Team stärker“
Hohe Zäune und Sichtschutzmatten lassen kaum einen optischen Zugriff der Tifosi zu, die an den strengen Sicherheitskontrollen scheitern. Sie können keinen Blick erhaschen auf ihre Stars, an die sie nach wie vor glauben. Wie Andrea und Enzo, die fest davon überzeugt sind, dass Italien es allen zeigen wird: „Italien ist eine Turniermannschaft, der Skandal macht die Mannschaft nur noch stärker“, hofft Fußballexperte Enzo. Der seit 30 Jahren in Deutschland lebende Apulier musste allerdings schon am Morgen in seiner rosaroten Lieblingszeitung „Gazetta dello Sport“ lesen: „Die Ankunft war gleich ein Eigentor“.
Tatsächlich hatten nur 500 Fans am Flughafen und 2000 vor dem Mannschaftshotel auf die Stars gewartet. Euphorie gleich null, vergleicht man die Anreise mit den nur 130 Kilometer entfernt residierenden Portugiesen, die von mehr als 10 000 Anhängern empfangen wurden.
Wohl beste Innenverteidigung der Welt
Aber das ist Lippi wohl nur Recht. Er will seine Mannschaft fern der Öffentlichkeit halten und im Verborgenen mit ihr arbeiten. Denn nach wie vor gilt Italien als Endspieltipp. Allein die wohl beste Innenverteidigung der Welt – Cannavaro und Nesta – ist im Vergleich zu Mertesacker und Metzelder eine sichere Bank für wenige Gegentore. Auch Buffon im Tor, ein Luca Toni in der Spitze, ein del Piero oder Regisseur Totti im Mittelfeld zählen zum Besten, was sich in den nächsten Tagen in den deutschen WM-Stadien zeigen wird.
Dennoch ist es mit dem Selbstbewusstsein nicht weit her. Zu viele Nationalspieler und der grauhaarige Lippi selbst sind in den Fußballskandal um mögliche Spielmanipulationen verwickelt. In den letzten Tagen mussten der Trainer und seine Spieler in Rom bei Chefermittler Francesco Saverio Borrelli zum Verhör erscheinen. Das störte die Vorbereitung. Juve-Spieler wie Cannavaro werden sich nach der WM einen neuen Verein suchen müssen, weil ihrem Meisterklub wegen Schiebung der Zwangsabstieg droht.
Zum Skandal kommt Verletzungspech
Der 58 Jahre alte Lippi, der vor seinem Nationalengagement Juve zu multiplen Erfolgen führte, ist auch in Deutschland genervt vom Skandal und den rund 300 italienischen Journalisten. „Wir werden uns nicht verschanzen“, kontert er gereizt in seiner ersten Pressekonferenz in Duisburg auf provozierende Fragen der italienischen Berichterstatter. Schnippisch wischt er den Skandal vom Tisch und sagt: „Lasst uns doch jetzt über die WM sprechen.“ Mannschaftskapitän Cannavaro pflichtet seinem Trainer bei: „Wir dürfen nicht verzweifeln, sondern müssen zusammen stehen.“
Ein doppeldeutiger Satz. Denn außer vom Skandal sind die Azzurri vom Verletzungspech verfolgt. Mit Alessandro Nesta, Gennaro Gattuso und Gianluca Zambrotta fehlen wahrscheinlich gleich drei Stammspieler beim Auftaktspiel der Italiener am Montag in Hannover gegen Ghana. „Technisch und taktisch gut“ ordnet Lippi die Afrikaner ein, aber er baue „auf das Team“.
Öffentliches Training während der ersten Spiele
Um keine Negativstimmung rund um das italienische Versteckspiel in Duisburg aufkommen zu lassen, hat Lippi für heute Abend ein öffentliches Training im Stadion des MSV Duisburg angesetzt. Doch der heimliche Wunsch, möglicherweise auch diesen Termin an der Öffentlichkeit vorbei zu platzieren, ist ihm misslungen. Ausverkauft ist die MSV-Arena heute Abend um 20 Uhr. 24 000 Tifosi haben sich die kostenlosen Tickets gesichert, obwohl zur gleichen Zeit die beiden ersten Spiele der WM über den Fernsehschirm laufen. Nur Andrea und Enzo sind nicht dabei. Die beiden müssen in Düsseldorf in ihrem Lokal „Il Molo“ WM-Gäste bedienen.
http://focus.msn.de/sport/wm2006/team-italien_nid_30176.html