Somit dürfte klar geworden sein:
Bereits seit gestern laufen Gespräche mit potentiellen Nachfolgern. Offenbar war eine Liste eventuell geeigneter Namen sofort nach der Trainerentlassung bereit, abgearbeitet zu werden. Die internen Führungsstreitigkeiten nach Aalen gingen nicht darum, ob Reck die geeignete Traineroption ist und bleibt, sondern nur darum, ob der Zeitpunkt, zu welchem die Presse Wind davon kriegt, dass Recks und Schuberts Positionen bereits wackeln, der geeignete ist. Sicher ist nun besser nachzuvollziehen, ab wann die Autorität des Trainers Reck wahrscheinlich schon den entscheidenden Knacks weg gekriegt hat, und er bei den Spielern, alles Menschen, die seit dem vierzehnten Lebensjahr oder so in den Gesetzen der "Branche" zuhause sind und diese völlig verinnerlicht haben, somit bereits wenigstens halb auf verlorenem Posten stand.
Weiterhin liegt zutage: die Kohle, die wir angeblich nie hatten, um ein Trainerteam zu holen, mit dem wir uns hin zu einer weiterführenden konzeptionellen Neuaufstellung nach Sasic orientieren, und somit die Aera Hellmich auch im sportlichen Bereich hinter uns lassen, ist sehr wohl vorhanden. Reck und Schubert waren gar nicht die Protagonisten dieses Neuanfangs, sondern der kommt erst jetzt. Die beiden sollten in einer Übergangsphase, warum auch immer (wahrscheinlich geht es um das Auslaufen der ganzen Restverträge vom Sonnenbankbruno), alles so zusammenkitten, dass es eine Weile mehr oder weniger wasserfest bleibt.
Alles in allem scheint dieses Agieren auf Sparflamme, welches man denjenigen auferlegte, denen man die Gestaltung dieser Jubiläumssaison anvertraut hat, keineswegs so alternativlos gewesen zu sein, wie man uns Anhängern suggerierte. Und die Klage, die selbst dem treuesten aller Getreuen, Reck, einmal entschlüpfte, er sei gehalten, mit nochmals verringertem Etat eine nochmals gesteigerte äussere Erwartung zu bedienen, war nicht nur der Stossseufzer eines geplagten Menschen, sondern hätte, gezielter lanciert durch einen mehr mit medialen Gepflogenheiten vertrauten und rücksichtsloseren Mann, als Reck es war, schon damals ein Schlaglicht auf einige der Gepflogenheiten hinter den berühmten Kulissen werfen können.
Strich drunter und Resümee: Reck scheiterte vielleicht auch, aber nicht nur, an seiner Unerfahrenheit. Allerdings ist diese nicht nur im sportlichen Bereich zu verorten. Als er noch zureichende Rückendeckung hatte, gelang es ihm, mit der Wackelpuddingtruppe von Milan und Bruno, die wir ja alle kennen, die Marke MSV (mit dem blauweissgestreiften Zebra) im Mittelfeld der letztjährigen Tabelle fest zu verankern. Wahrscheinlich hätte er, als mit allem Wassern gewaschener alter Fahrensmann, einiges an Forderungen für sich und die spielende Mannschaft darauf aufbauen können, er hat sich aber in ein rigides Sparen-um-jeden-Preis-Korsett hineinhängen lassen, welches in dem Moment schon gescheitert war, als Gjasula und Perthel aus dem Hinrundenkader gestrichen werden mussten.
Seitdem stand er auf verlorenem Posten und durfte, damit nicht alles auseinanderfliegt, jede Woche dabei mitmachen, sonnige Bilder aus der Saisonvorbereitung zu liefern, obwohl ihm das Wasser schon Unterkante Oberlippe stand. Und nach Aalen war er am Arm, niemand hätte ihm danach noch irgendetwas geglaubt, und wahrscheinlich ist Reck halt auch der Typ, der dann einfach weitermacht, solange noch was geht. Kann nur hoffen, man hat ihm wenigstens die Neulackierung seiner Karre bezahlt und seiner Frau nach den Drohanrufen ein paar Pralinen rausgeschickt.
OK, jeder, der sich ein bisschen mit Fussball beschäftigt, konnte wissen, dass auch beim MSV nicht nur die weissblau gestreifte Fraternalität gelebt wird, und dass alle Brüder unter der fröhlich lachenden Sonne sind, die dort Verantwortung tragen. Aber es muss dennoch gesehen werden, was schief gelaufen ist, und wofür Reck gar nichts konnte:
- offenbar ist das Konzept, welches die Verantwortlichen für die Saison 12/13 erarbeitet haben, schon so früh am Saisonbeginn und so vollständig in sich zusammengebrochen, wie es im Profifussball beinahe ohne Beispiel dasteht. Reck war nur der äussere Repräsentant dieses Konzeptes, die Gallionsfigur am Piratenschiff, die zuerst zerschmettert wird beim Aufprall auf die Klippen. Man kann nicht umhin, dem Kleinenbroicher recht zu geben: Navigator und Kapitän haben diesen Crash gebaut.
- ein gewaltiger Imageschaden wurde produziert. Eine Identifikationsfigur wie Reck, der mit seiner handfesten Art und seiner Authentizität, sowie auch mit seiner erfolgreichen Arbeit, in einem der grössten Krisenjahre des MSV seit seiner Gründung, den Fortbestand des Profibereiches unter widrigsten Umständen überhaupt erst möglich machte, wurde ohne jede vereinsseitige Unterstützung der Lächerlichkeit preisgegeben, nicht nur demontiert, sondern über offenem Feuer verbrannt. Die spielenden Akteure stehen vor allem Fussballinteressierten als bemitleidenswerter Haufen da, und werden von den Fans entweder stumm verachtet, oder offen verspottet.
- alle Gegner, die in absehbarer Zeit auf uns zukommen, werden versuchen, die aufgezeigten konzeptionellen Schwächen der Mannschaft zu nutzen. Zu einem Zeitpunkt, der nicht ungünstiger hätte sein können, wird der nun doch avisierte Neuanfang bereits mit extremen Hypotheken belastet sein. Vermutlich ist die Mannschaft gespalten. Grlic darf jetzt, in der Trainingsjacke im Regen stehend und ohne Co-Trainer, mit dem Smartphone die notwendigen Weichenstellungen für die Zukunft einleiten, während er gleichzeitig Rapport in der Truppe erzielen muss und diese auf den nächsten Gegner vorbereiten soll, der, wie gesagt, schon auf sichere drei Punkte lauert.
- der Kredit bei den Fans ist in einer Saison, die höchstwahrscheinlich noch vieles an Widrigkeiten für diese in Petto hat, schon aufgebraucht. Er wurde auch nicht "verbraucht", sondern regelrecht abgefackelt. Alles, was man sich hinsichtlich der wieder verbesserten Vernetzung im Grossraum Duisburg vorgenommen hatte, ist bis auf weiteres obsolet. Tatsächlich wäre es ratsam, Aktionen, wie diese Müllwagensache für ganz lange Zeit auf Eis zu legen, um sich nicht zum Gespött der Allgemeinheit zu machen.
Soweit mein Resümee. Sehr bitter. Aber jetzt sollte eine Zeit des Nachdenkens und Nachhakens sein. Schluss mit blauweissgetreifter Häkeldecke. Insgeheim bin auch ich froh, dass jetzt zwei weit entfernte Auswärtsspiele anstehen (denn ich fahre immer nur zu den näherliegenden) und es eine Länderspielpause gibt. Man muss sich mal erholen. Vielleicht fahre ich derweil mal zu ein paar Spielen irgendwelcher Vereine hier in der Gegend. Ich möchte einfach mal wieder ein bisschen Fussball im Stadion gucken, ohne, dass die Existenzangst alles überlagert, man diese verzweifelten Witzchen reisst, tröstend Körperkontakt zu unbekannten Menschen in der Nähe aufsucht, um dann doch versteinert und mit vollständig betäubtem Kopf nach Hause zu kommen.
Stimmt schon, auch der Abstiegskampf schweisst zusammen. Auf den Rängen war es eng und emotional dicht, trotz der grösser werdenen Abstände infolge des Zuschauerschwundes. Aber den Kopf kriegt man ganz schnell nicht mehr frei. Und jetzt bin ich echt froh, die Truppe ein paar Wochen mal nicht sehen zu müssen. Lange her, seit ich dieses Gefühl hatte.